Was ist Schicksal?

Filmkritik: The Place Beyond The Pines
Bildquelle: 
Im Verleih von Ascot Elite

Derek Cianfrance gehört zu den vielversprechendsten Nachwuchsregisseuren seiner Zeit. Mit «Blue Valentine» zeigte er uns vor drei Jahren die bitteren Momente einer alltäglichen Liebesgeschichte, die so realitätsnah erzählt wurde, dass wir die Hoffnungen und Enttäuschung hautnah mitfühlen konnten. In «The Place Beyond The Pines» spielt «Blue Valentine»-Hauptdarsteller Ryan Gosling nun einen halsbrecherischen Motoradkünstler namens Luke, der mit einem Jahrmarkt von Stadt zu Stadt zieht. In Schenectady, nahe New York, lernt er die hübsche Romina (Eva Mendes, «Last Night») kennen. Als Luke ein Jahr später wieder vor Rominas Tür steht, erlebt er eine grosse Überraschung: Er ist Vater geworden. Und obwohl Romina den Sohn mit ihrem neuen Freund grosszieht, will Luke seine väterlichen Pflichten erfüllen, für den Nachwuchs da sein, seinen Sohn versorgen. Von einem Automechaniker namens Robin (grossartig: Ben Mendelsohn, «Killing them softly») angestiftet, überfällt Luke daher neuerdings Banken. Einige Kilometer weit weg, im ruhigen Teil von Schenectady, geniesst währenddessen auch Polizist Avery (Bradley Cooper, «Silver Linings Playbook», «Hangover»-Reihe) Vaterfreuden. So dauert es nicht lange, bis sich die Schicksale der beiden jungen Väter und ihrer zwei Söhne am Ende einer hitzigen Verfolgungsjagd unwiderruflich verflechten. Ein Platz inmitten eines Kiefernwalds wird dabei zum entscheidenden magischen Ort, wo sich die Schicksale der Beteiligten kreuzen.

 

Unterschiedlicher könnten Väter kaum sein. Der Kleinstadtpolizist (Bild 1) kontrastiert den Bankräuber (Bild 2). Und doch stehen bei den beiden Männern die Kinder im Zentrum. (Mit Maus über Bild fahren.) 

 

Ryan Gosling kann nichts verwüsten. Das wird zu Beginn schnell klar. Ob gefakete Schnörkel-Tattoos, blondierte Haare mit Gelbstich oder 80er-Jahre-Klamotten: Ryan ist und bleibt cool. Ganz im Gegenteil zu Bradley Cooper, der einen sehr spiessigen und korrekten Vorstädter verkörpert. Welten prallen hier aufeinander, Welten die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch das genau Gleiche für ihre Kinder wünschen: eine bessere Zukunft. Inwiefern diese Zukunft von der Vergangenheit bestimmt ist, will der Film erkunden und begründen. Dafür nimmt sich Cianfrance, der auch das Drehbuch schrieb, genug Zeit. Er erzählt die Geschichte interessanterweise in drei linear nacheinander folgenden Teilen und aus drei unterschiedlichen Perspektiven. Dabei vergeht genug Zeit. So sehen wir im dritten Teil die Söhne bereits als junge Heranwachsende.

 

 

Luke und Romina geben als Familie - mit und ohne Nachwuchs - eine gute Figur ab. 

 

Hier zeigt sich ausserdem erneut Cianfrances gutes Händchen bei der Wahl seiner Darsteller. Insbesondere Dane DeHaan, der Luke und Rominas Sohn Jason verkörpert, erinnert mit seiner Präsens und Intensivität an den jungen Leonardo DiCaprio. Ihre bis dahin beste Leistung zeigt Eva Mendes. Statt erneut ein laszives Sexobjekt darzustellen, gibt sie zum ersten Mal ihr schauspielerisches Talent preis. Die Romanze zwischen ihr und Gosling, die während der Dreharbeiten entsprang, ist auch auf der Leinwand deutlich sicht- und spürbar. Auch die dichte Atmosphäre und starke Bildsprache - wie sie bereits bei «Blue Valentine» von Cianfrance zelebriert wurden - finden ihren berechtigten Platz. Das Ganze wird aber mit einer grossen Portion Action aufgemischt und erinnert in vielen Teilen an einen spannenden Thriller. Ein Film, bei dem eben Inhalt und Form perfekt aufeinander abgestimmt sind. Eine zeitlose epische Geschichte über Väter und Söhne, die sehr visionär und zeitgemäss erzählt wird. Eine kleine Produktion, die grosse Filmgeschichte schreiben könnte. Ein möglicher Oscar-Gewinner, bereits im Juni.

 

  • The Place Beyond The Pines (2013)
  • Regie : Derek Cianfrance
  • Drehbuch : Derek Cianfrance, Ben Coccio, Darius Marder
  • Besetzung:  Ryan Gosling, Eva Mendes, Bradley Cooper, Ben Mendelsohn, Rose Byrne, Ray Liotta
  • Dauer:  140 Minuten
  • Ab 20. Juni 2013 im Kino

 

Bilder: Im Verleih von Ascot Elite.

Tanja Lipak / Mi, 19. Jun 2013