Zärtliche Hommage an das Kino

DVD-Kritik: Hugo Cabret
Bildquelle: 
Im Verleih von ASCOT ELITE

Der Waisenjunge Hugo Cabret lebt alleine im Pariser Hauptbahnhof in den 1930ern und sorgt für die kunstvollen Uhren. Sein Vater, ein bekannter Uhrmacher, kam bei einem Brand in einem Museum ums Leben und Hugos Onkel, der eigentlich die Uhren pflegen sollte, ist längst verschwunden. Also wartet er die Uhren, damit ihn niemand bemerkt. Er ölt sie, zieht sie auf und achtet pflichtbewusst darauf, dass sie genau ticken. Aus der Ferne beobachtet er das Treiben im Bahnhof, wie den alten Georges, der einen Stand mit Zaubertricks und Aufziehfiguren besitzt. Hin und wieder stiehlt Hugo etwas, damit er über die Runden kommt. Mal ein Brot oder eine Flasche Milch. Der Trick dabei ist, sich vom verbitterten Bahnhofvorsteher nicht erwischen zu lassen. Als Hugo Georges eine kleine Aufziehmaus stehlen will, wird er erwischt und Georges nimmt ihm, etwas verwirrt, das Notizbuch seines Vaters ab. 

 

Bild 1: Hugo versteckt sich vor dem Bahnhofvorstand ausserhalb der grossen Uhr … (Bild 2) oder hinter einem Pfosten. (Mit Maus über Bild fahren)

 

Hugo ist verzweifelt. Sein Vater und er haben vor langer Zeit im Museum einen automatischen Menschen gefunden und angefangen, ihn zu reparieren. Nach dem Tod seines Vaters hat Hugo die Arbeit weitergeführt und die Zeichnungen im Notizbuch waren ihm dabei stets einen grosse Hilfe. Isabelle, die seit dem Tod ihrer Eltern bei Georges lebt, hilft Hugo dabei, den Roboter zu reparieren und als er endlich funktioniert und sein Geheimnis preisgibt, staunen die beiden nicht schlecht. Er hat dem grossen Regisseur Georges Méliès gehört. Ab jetzt beginnt für die beiden Jugendlichen eine Reise durch die frühe Filmgeschichte. 

 

Von Vertigo bis Buster Keaton

 

Altmeister Martin Scorsese war selbst ein wichtiger Teil der Filmgeschichte, hat mit dem New Hollywood und Filmen wie «Boxcar Bertha» oder «Taxi Driver» das Kino wie wir es heute kennen, mit ermöglicht. Er zählt zu einer jungen Gruppe von Filmemachern, die sich in der Hollywoodkonvention gefangen fühlten und deren Gesetze brachen, um erzählerisch neue Wege zu gehen. Bei «Hugo Cabret» bleibt Scorsese jedoch dem klassischen Hollywood insofern treu als dass man als Zuschauer immer weiss, woran man ist und die Handlung läuft mit wenigen kleinen Ausnahmen gradlinig. Viel wichtiger scheint Scorsese seine Hommage an das Kino. Von Hitchcocks «Vertigo» bist zu Buster Keatons Filmen sind im Oscar®-gekrönten Film Reminiszenzen an das Kino versteckt. 

 

Bild 1: Bei der Arbeit im Inneren der grossen Uhr. Bild 2: Liebvoll repariert Hugo den Automatenmenschen.

 

Scorsese hat den Film, der auf einem Roman von Brian Selznick basiert, für seine Kinder inszeniert. Als sie ihm den Stoff vorschlugen, war Scorsese sofort begeistert und drehte den Film für das Kino in 3D, eine Premiere für ihn. Aber, technischer Schnick-Schnack hin oder her, der Film funktioniert wegen seiner Schauspieler. Allen voran Asa Butterfield («Son Of Rambow») als Hugo Cabret und Chloë Grace Moretz (Hit Girl in «Kick-Ass») als Isabelle. Die beiden Jungdarsteller haben so viel Esprit und agieren mit so viel Leidenschaft, dass man ihnen jedes Leuchten in den Augen und jeden rennend zurückgelegten Meter einfach glaubt. Tieftraurig spielt Ben Kingsley («Gandhi») den zurückgezogenen Meisterregisseur Méliès, denn er ist stellvertretend für die Anfänge der Filmgeschichte im Zentrum der zweiten Hälfte des Films. 

 

Nur noch 80 Filme sind erhalten

 

Der Film ist aber nicht nur eine berührende Geschichte, sondern gleichzeitig eine Verneinung vor Georges Mèliés. Der französische Illusionist gilt als Pionier der Filmgeschichte und auf ihn geht die Nutzung des Mediums, um Geschichten zu erzählen, zurück. Zudem gilt er als Erfinder der Stop-Motion-Filmtechnik, mit der Leute wie Tim Burton noch heute arbeiten. «Hugo Cabret» zeigt, wie Méliès auf einem Jahrmarkt die Cinematografen der Gebrüder Lumière entdeckte und sich gleich selbst ins Filmgeschäft stürzte. Er verkaufte alles und baute ein Studio aus Glas, damit das Sonnenlicht eindringen konnte. Er produzierte mehr als 500 Filme. Seine «Reise zum Mond» enthält eines der bekanntesten Filmbilder überhaupt. Der Mond in Grossaufnahme mit einer Raumkapsel im Auge. Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs sank der Bedarf an Mélièrs Filmen und er sah sich gezwungen sein Filmmaterial an einen Schuhfabrik zu verkaufen, damit es eingeschmolzen werden konnte. Darum sind heute nur noch ca. 80 seiner Filme erhalten. 

 

Bild 1: Isabelle und Hugo studieren die Filmgeschichte. Bild 2: Hugo erfährt, dass sein Vater tot ist.

 

Martin Scorsese liefert mit «Hugo Cabret» eine zärtliche Hommage an das Medium, das ihn gross gemacht hat und verpackt seine Geschichtsstunde in ein zweistündiges Märchen. Zurecht wurde er für 11 Oscars® nominiert, von denen er fünf gewinnen konnte. «Hugo Cabret» ist schon jetzt ein zeitloses Meisterwerk über einen der grossen Filmmagier, inszeniert von einem der ganz grossen Filmemacher unserer Zeit.

 

  • Hugo Cabret (USA 2011)
  • Regie: Martin Scorsese
  • Darsteller: Asa Butterfield, Chloë Grace Moretz, Ben Kingsley, Sacha Baron Cohen
  • Laufzeit: 121 Minuten
  • DVD-Start: Im Handel erhältlich

 

 

Bilder: Im Verleih von ASCOT ELITE

Patrick Holenstein / Mo, 03. Sep 2012