Burning Days – Einer für alle, alle gegen einen

Moviekritik: Burning Days
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©Trigon-Film

Neuanfänge sind schwierig. Man kennt niemanden. Man möchte anerkannt werden. Man will höflich sein, ohne die eigene Integrität aufs Spiel zu setzen. Wieviel soll man akzeptieren, um bestehende Harmonien nicht zu stören und als valides Gruppenmitglied gesehen zu werden? Wie sehr soll man eigenen Wertvorstellungen festhalten, wenn man an einen neuen Ort gelangt, auf den man sich zwingenderweise einlassen muss? Keine einfachen Fragen.

 

Diese Unsicherheiten muss Emre konfrontieren, der neu in der (fiktiven) Stadt Yaniklar in Anatolien als Staatsanwalt tätig ist. Es beginnt relativ harmlos: Die Stadtbewohner jagen ein Wildschwein durch die Stadt und schiessen unerlaubterweise in die Luft. Schon da möchte Emre hart durchgreifen. Er muss aber feststellen, dass die Dinge in dieser ruralen Region nicht so einfach funktionieren. Schwieriger noch ist es, rechtliche Schritte gegen den übermässigen Verbrauch von Grundwasser einzuleiten, die rund um die Stadt schon zu tiefen Dolinen geführt haben. In Gesprächen mit verschiedenen Stadtbewohnern hört Emre völlig unterschiedliche Perspektiven und weiss bald nicht mehr, wem er glauben soll. Schnell eskalieren die Situationen und werden immer verworrener und folgenträchtiger. Er sieht sich gefangen in einem Netz der Verstrickungen.

 

Es gelingt Regisseur Emin Alper, die Figuren in seinem Film auf intrigierende Weise zu zeichnen. Der junge, ambitionierte Staatsanwalt mit seinem klaren Wertekompass wird mit der Bevölkerung dieser Steppenregion konfrontiert, die seine Rolle zwar sehr respektiert, ihn aber auch als Aussenseiter sieht und teilweise nicht ganz ernst nimmt. Aber auch Nebenfiguren, die in anderen Filmen wohl eindimensional ihre Relevanz für die Entwicklung der Hauptfigur erfüllen würden, werden hier als vielschichtige Figuren dargestellt. So ist beispielsweise der Sohn des Bürgermeisters, der seine privilegierte Situation zu seinem Vorteil missbraucht, eine dem Klischee widersprechende durchaus gewitzte Persönlichkeit.

 

In «Burning Days» haben wir auch einen Film, der ästhetisch ansprechend gefilmt ist. Die Bilder sind in ihrer Farbpracht und Komposition so ansprechend, die Landschaften sehen so schön aus, dass man in vielen Momenten den Film am liebsten pausieren und ein Bild davon ausdrucken und aufhängen würde. Auch in der Bildsprache gelingt es Alper gut, die Isolation und Andersartigkeit des Protagonisten darzustellen. Das gegenseitige Misstrauen zwischen dem Staatsanwalt und verschiedenen Bewohnern wird durch diese Bildsprache verstärkt; so wird Emre häufig alleine dargestellt, wenn er beispielsweise gerade betrunken auf einem Sofa liegt, sich in einem See badet oder an seinem Schreibtisch sitzt.

 

Im dritten Akt geht die sichere Führung Alpers unglücklicherweise ein Stück weit verloren. Die verworrenen Handlungsfäden und entgegengesetzten Aussagen werden für das Publikum nicht auf befriedigende Weise entworren. Während dies wohl den Realismus und die durch Emre erlebte Undurchsichtigkeit darstellen sollte, wird das Filmerlebnis durch diese Regieentscheidung beeinträchtigt. In diesem letzten Teil gibt es zudem einige Szenen mit hoher dramatischer Spannung und eine Wendung, die so nicht ganz zum restlichen Charakter des Filmes passen, der eher analytisch und stoisch gestaltet ist. Schliesslich endet der Film auf so offene und abrupte Weise, dass man eine Fortsetzung erwarten würde, die – zumindest noch – nicht geplant ist.

 

Dieser anatolische Film behandelt Themen wie Wasserknappheit, Populismus und Homophobie, verpackt als spannender Krimi, der leider keine perfekte Landung schafft.

 

  • Burning Days - Kurak Günler (Türkei 2022)
  • Regie & Drehbuch: Emin Alper
  • Besetzung: Selahattin Pasali, Erol Babaoglu, Ekin Koç, Erdem Şenocak, Sinan Demirer
  • Laufzeit: 129 Minuten
  • Kinostart: 20. Oktober 2022

 

Jonas Stetter / Do, 20. Okt 2022