Der stille Kampf für zwei Entführungsopfer

Thriller oder Krimis sind nicht nur fesselnd, sondern erlauben gelegentlich, Mäuschen zu spielen und in die Ermittlungsarbeit in anderen Teilen der Welt zu blicken. So ein Fenster in den Alltag einer Polizeieinheit in Kathmandu ermöglicht der Film «Pooja, Sir».
Die junge queere Ermittlerin Pooja wird für einen Fall nach Kathmandu geholt - ihre erste Ermittlung überhaupt, quasi der sprichwörtliche Falls ins kalte Wasser. Entsprechend steht sie unter Beobachtung der Medien und ihrer Vorgesetzten. Während der Proteste der Madhesi, einer unterdrückten ethnischen Gruppierung Nepals, werden zwei Buben entführt. Der eine stammt aus gutem Haus, der andere aus einer einfachen Familie. Rasch machen Gerüchte die Runde, die Madhesi würden hinter dem Verbrechen stecken, was zu politischen Zwecken direkt instrumentalisiert wird. Als eine Lösegeldforderung gestellt wird, scheint sich der Verdacht zu erhärten. Die Polizeibeamtin Mamata, die zur Ethnie der Madhesi gehört, übernimmt die Vermittlung zwischen Polizei und Entführer und hilft damit Pooja erheblich. Während Pooja zielstrebig versucht, die beiden Jungs zu finden, muss sie sich zwischen Unruhen und patriarchalen Strukturen beweisen und mit Ruhe und Verstand den Fall lösen.
Intensive Recherche und persönliche Erfahrungen
«Basiert auf Erfahrungen der Filmemacher» ist am Anfang des Films zu lesen. Einerseits dürfte damit gemeint sein, dass Regisseur Deepak Rauniyar selbst Madhesi ist und persönliche Erfahrungen wie Ausgrenzung oder rassistische Beleidigungen erfahren hat. Andererseits hat sich Rauiyar gemeinsam mit seiner Frau - Asha Magrati spielt im Film Pooja – durch viele Berichte gelesen und zur Recherche selbst Interviews geführt, um aus erster Hand wichtige Einblicke zu erhalten. Weil Deepak Rauniyar so ziemlich der einzige Regisseur in der nepalesischen Filmbranche ist, der Madhesi-Wurzeln hat, entschloss er sich etwas gegen die Vorurteile zu tun und den Madhesi eine Plattform zu geben. Seine Frau hat ihn dabei aktiv unterstützt.
Die beiden Jungs werden mitten auf der Strasse entführt. (©trigon-film.org)
Wie aufrichtig das Paar auf Details geachtet hat, erkennt man darin, dass die Kommissarin im Film queer ist, was nicht «woke» sein soll, sondern durchaus die Realität spiegelt: «Unser Schreibprozess ist tief verwurzelt in Recherchen, Interviews und Erfahrungen aus erster Hand. Da die Geschichte aus Ashas Sicht erzählt wird, war es nur natürlich, dass die Hauptfigur weiblich sein würde. Als wir Polizeibeamte der gleichen Altersgruppe befragten, stellten wir fest, dass viele von ihnen queer waren. Das fanden wir interessant und beeindruckend», erklärt Regisseur Rauniyar in einer Medienmitteilung. Dass ihm solche menschlichen Aspekte wichtig sind, unterstreicht sowohl die Qualität seiner Arbeit als auch die Authentizität des Films.
Konträr dazu wirkt, wie kühl und reduziert der Krimi erzählt wird. Wir bewegen uns abseits jeglicher Hochglanzinszenierung, dafür in einer Kulisse, die man sonst nicht so kennt, die dadurch aber fasziniert. Es sind die Strassen von Kathmandu, die trotz Ausschreitungen lebensfroh sind und auf denen Kinder spielen und Menschen spielen. Die Farben wirken dabei wir ein Mosaik aus unterschiedlichen Stilen. Das funktioniert deshalb gut, weil der Film gar nicht versucht, zu intensivieren, sondern sich klar auf Pooja beziehungsweise ihren Fall konzentriert und somit wie automatisch einlädt, die Strukturen, mit denen die Polizistin kämpft, kennenzulernen.
Wenig Action, dafür Fokus auf die pragmatische Ermittlerin
Der Film hält sich mir Action bewusst zurück, vielmehr besteht der gezeigte Alltag aus einem Hindernislauf aus Diskussionen, kleinen Rückschlägen und Frustration. Also die normalen Begleiterscheinungen eines Jobs. Interessant ist dagegen, wie sich Pooja dem stellt. Es wäre bestimmt verlockend, zu rebellieren und mit dem Kopf durch unsichtbare Wände zu stossen. Das verleiht der introvertiert scheinenden Hauptfigur eine sehr menschliche Aura und man bewundert sie schon fast für ihre Kaltblütigkeit. Die Polizisten und sonstigen wichtigen Männer deuten beispielweise klar auf die politischen Gegner als Schuldige, was durchaus für Ärger sorgt. Doch Pooja ist es wichtig, sämtliche Aspekte und Fakten zu kennen. Sie entscheidet sich daher für Zurückhaltung und saubere Arbeit und auf lange Sicht erweist sich der pragmatische Ansatz als effektiver als die Konfrontation. Emotionen erlaubt sich Poola nur, wenn sie unbeobachtet ist oder mit ihrem dementen Vater telefoniert. Plausibel, dass sich eine junge Polizistin in ihrem ersten Fall so verhält. Zudem wird die schwere und oft mühsame Polizeiarbeit realistisch gezeigt, was uns in die unbekannte Welt im Polizeiapparat in Kathmandu eintauchen lässt. In diesen Momenten glänzt der Film.
Die Ermittlerin Pooja im Kreise ihrer Kollegen (©trigon-film.org)
Die Inszenierung baut sich über mehrere Ebenen auf, was interessant ist, weil Pooja das verbindende Element ist. Da sind die politischen Zeiten, die auf den Strassen allgegenwärtig sind. Oder die Entführung, die als Ereignis fungiert, das die junge Frau erst nach Kathmandu führt. Aber auch Pooja selbst, die sich wie ein Mann benimmt, mit Sir angesprochen werden möchte und sich die Brüste abbindet. Und immer wieder sehen wir Einordnungen. Etwa zwei junge Madhesi, die wegen ihrer Ethnie am Take Away nicht bedient werden. Diese Handlungsebenen verknoten sich immer mehr und zum Schluss entsteht ein kleines Universum, quasi ein Fenster in die Welt von Kathmandu im Jahr 2015, in dem der Film spielt. Zudem ist interessant, dass im Grunde nicht nur der Fall spannend wirkt, sondern ebenso die Menschen, die in schwierigen Lebensumständen ihren Platz zu finden versuchen, und somit die soziale Kultur in Nepal.
Schwierige Reise und versöhnliches Ende in Venedig
Zum Schluss noch ein spannender Punkt, den Regisseur Deepak Rauniyar in einem Interview erwähnt hat. Den Film zu drehen, war für ihn «eine Achterbahnfahrt». Damit meint der Filmemacher, dass die Dreharbeiten zweimal abgesagt werden mussten. Zuerst wegen der Pandemie und später, als sie die erschütternde Nachricht der Krebserkrankung von Lebensgefährtin Asha erreichte. «Als wir schliesslich nach Nepal zurückkehren konnten, um den Film zu realisieren, waren die Investoren verschwunden und Zuschüsse gestrichen worden», erläutert er. Es hätte aber auch so noch viel schiefgehen können, doch genau in solchen Momenten entstanden schöne Geschichten. «Wir drehten im extrem heissen Sommer während der Hauptmonsunzeit in einer überschwemmungsgefährdeten Stadt. Aber es regnete nur, wenn wir es brauchten», erzählt der Regisseur Die Einheimischen hätten durchaus verärgert sein können, als sie die traumatischen Szenen nachgestellt hätten, «aber während der Protestszenen verteilten sie Wasser an unsere Crew und dankten uns, dass wir den Film machten. Da wurde mir klar, dass wir etwas Besonderes geschaffen hatten, nicht nur für Asha und mich, sondern für Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen. Es ist wirklich ein Produkt der Liebe und des Mitgefühls», betont er und unterstreicht, wie wichtig ihm der Film ist.
Dass der Film schliesslich am Filmfestival in Venedig gezeigt wurde, ist für den Regisseur und die schwierige Reise, die der Film gegangen ist, ein wunderbarer Abschluss. «In Anbetracht all dieser Umstände ist unser Aufenthalt hier am Lido etwas ganz Besonderes und sehr bewegend. Die Bekanntgabe unserer Auswahl hat Hunderten von Menschen Freude bereitet», erzählt Deepak Rauniyar.
«Pooja, Sir» ist vielschichtig. Einerseits spiegelt er die sozialen Strukturen in Kathmandu. Andererseits folgt er einer ambivalenten Hauptfigur, die sich oft zurücknehmen muss. Erst durch die vielen Ebenen entsteht aber letztlich ein schlaues Portrait.
- Pooja, Sir (Nepal 2024)
- Regie: Deepak Rauniyar
- Drehbuch: Deepak Rauniyar, David Barker, Asha Magrati
- Besetzung: Asha Magrati, Nikita Chandak, Bijay Baral, Dayahang Rai, Reecha Sharma
- Laufzeit: 109 Minuten
- Kinostart: 3. Juli 2025