Wem soll sie noch vertrauen?

Wir schreiben das Jahr 1999. Ein Vorort von Ankara, gut 500 Km von Istanbul entfernt. Die 40-jährige Mutter Sabhia arbeitet bei einer Erotik-Hotline, wo sie ganz unterschiedliche Begehren und Gelüste zu bedienen hat. Für jeden Kunden hat die fleissige Frau eine sorgfältige, detaillierte Liste an Vorlieben erstellt – vom Sklaven bis zum Liebhaber grosser Brüste. Selbst wird sie vom Chef etwas holprig umgarnt, privat kämpft sie sehr real gegen ihren Ehemann, der das alleinige Sorgerecht des Sohns möchte. Dabei stösst sie in der patriarchalisch aufgebauten Türkei auf Widerstand, so muss sie natürlich ihre Arbeit verheimlichen, weil ihr Mann – so befürchtet sie – dies gnadenlos gegen sie nutzen würde. Ihr Leben hat also so nicht viel mit der Fantasiewelt zu tun, in der sie tagtäglich arbeitet. Als sie eines Tages ein Anruf mit politischer Sprengkraft erreicht, begibt sich Sabhia auf gefährliches Glatteis. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten, um den Spass nicht zu verderben.
Der Film liegt auf den darstellerisch starken Schultern von Saadet Isıl Aksoy, die Sabhia nicht selten mit wenigen, aber gezielten Mitteln viel Leben einhaucht, etwa durch einen klaren Blick mit ihren durchdringenden Augen. Hier nutzt der Film geschickt Close-ups, um die Emotionen zu steigern. Letztlich ist es der Darstellerin anzurechnen, dass sie ihre Figur zwar von Angst getrieben anlegt, aber doch nicht hysterisch oder panisch portraitiert und sie damit erdrückt. Im Gegenteil. Durch diesen Ansatz wird Sabhia nahbar, sympathisch und glaubwürdig.
Emotional klaustrophobischer Thriller, der an der Spannungsschraube dreht
Besonders wichtig ist dieser Punkt, weil sich der ganze Film auf kleinstem Raum abspielt, nur im Office der Hotline. Bei kammerspielartigen Filmen besteht rasch die Gefahr, das Setting abzunutzen und sich im Kreis zu drehen, nicht zuletzt durch den überschaubaren Cast. «Confidente» macht diesen Fehler nicht, sondern baut über geschickte Kniffe viel Spannung auf und traut sich auch mal, uns an der Nase herumzuführen.
Neben den Elementen des Thrillers, webt das Regie-Duo Cagla Zencirci, Guillaume Giovanetti einen sozialen Aspekt in den Film ein. Sabhia nennt sich im Job Arzu und erfährt im Film viele menschliche Abgründe, worüber sie zu zweifeln beginnt. Sind alle Männer so verdorben und allesamt schlecht? Sogar ihr Sohn? Wem soll sie noch vertrauen? Der Gedanke ist angesichts ihrer beruflichen und privaten Erfahrungen nachvollziehbar, aber nicht zwingend. Erzählerisch macht man es sich auf dieser narrativen Ebene etwas zu einfach, bedient ein Stereotyp, an dem schon Alexander Garland in «Men» grandios gescheitert ist, und verpasst klar die Chance, Missstände zwar berechtigterweise zu beleuchten, aber doch auch zu relativieren. Denn man will an dieser Stelle die mutige Mutter an die Hand nehmen und ihr zurufen: «Nein, es sind nicht alle so. Hab ruhig Vertrauen!»
Trotz dieses kleinen Makels gelingt mit «Confidente» ein emotional klaustrophobischer Thriller, der zwar in einem einzigen Büro spielt, aber über die Telefonleitungen sehr intelligent die Aussenwelt einbezieht, die Umgebung imaginär ausweitet und so automatisch an der Spannungsschraube dreht.
Im Grunde darf man über «Confidente» nicht zu viel wissen, dann macht der fein inszenierte türkische Thriller am meisten Spass.
- Confidente (Türkei 2025)
- Regie & Drehbuch: Çağla Zencirci, Guillaume Giovanetti
- Besetzung: Saadet Işıl Aksoy, Nilgün Türksever, Erkan Kolçak Köstendil, Muhammet Uzuner, Osman Alkaş
- Laufzeit: 76 Minuten
- Kinostart: 7. August 2025