Schrill, bunt, laut

Movie-Kritik: Il comandante e la cicogna
Bildquelle: 
www.filmcoopi.ch

Eine Stadt, bewacht durch die grossen Köpfe und Nationalhelden Italiens - unter anderem Guiseppe Garibaldi, Cazzaniga, Giacomo Leopardi und Leonardo Da Vinci. Die in Stein verewigten Persönlichkeiten beobachten bestürzt den Kurs, den Italien eingeschlagen hat. Zu ihren Füssen erleben die Italiener den alltäglichen Wahnsinn, wie etwa eine Parklücke zu erobern oder einen Job zu finden, um die Miete bezahlen zu können. Der italienische Regisseur Silvio Soldini, der schon Spiel- und Dokumentarfilme wie «Cosa voglio di più» oder «Un piede in terra, l’altro in mare» gedreht hat, erzählt in seinem neusten Werk «Il comandante e la cicogna» nicht nur eine schöne Geschichte mit teils lustigen, teils tragischen Figuren, sondern übt Kritik. Er weiss diese gekonnt einzusetzen, in dem er Garibaldi, Cazzaniga, Leopardi und da Vinci sprechen und «ihrer» Entrüstung über das moderne und korrupte Land freien Lauf lässt.

 

Bild 1: Der Witwer Leo im Kreis seiner Kinder und (Bild 2) mit seiner verstorbenen und Kaffee schnüffelnden Frau. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Während sich der alltägliche Wahnsinn draussen zuträgt, hat Leo (Valerio Mastandrea, «Romanzo di una strage») andere Sorgen. Er wurde vor ein paar Jahren Witwer und ist alleinerziehender Vater zweier pubertierender Kinder. Diese müllen ihm die Wohnung zu und auch das Nachtessen will keiner von beiden kochen. Mastandrea nimmt man die Rolle des liebevollen, aber auch naiven und überforderten Vater bis zum Schluss ab. Er sieht immer extrem Mitleid erregend aus, vor allem wenn er seiner Tochter (Neo-Schauspielerin Serena Pinto) aus der Patsche helfen muss, weil ein pornografisches Video von ihr im Internet im Umlauf ist. Also wendet er sich verzweifelt an den Anwalt Malaffano (Luca Zingaretti, «Asterix und Obelix – Im Auftrag ihrer Majestät»), der mit grossen Worten um sich wirft und den ohnehin schon gehetzten Vater noch mehr aus der Bahn wirft.

 

Italiens Shooting Star Rohrwacher 

 

Mit Sohn Elia (Jungschauspieler Luca Dirodi), der heimlich einen Storch aufzieht, versteht sich Leo nicht mehr, denn dieser redet kaum mit seinem Vater und klaut stattdessen Froschschenkel, um seinen Storch Augustina zu füttern. Wenn es der nahe am Kollaps stehende Vater endlich geschafft hat, die Wohnung einigermassen aufzuräumen, taucht nachts auch noch der Geist seiner verstorbenen Frau Teresa (Claudia Gerini, «The Passion of the Christ») auf. Sie macht sich Sorgen, ob noch genug Kaffee im Haus ist, da sie den Geruch vermisst und jeden Abend an der Dose schnuppert. Gerini mimt die flippige und unkonventionelle Ehefrau, die sich schon zu Lebzeiten wenig aus Regeln zu machen schien, äusserst amüsant und beweist, dass sie sich durchaus immer noch im Bikini sehen lassen kann.

Doch nicht nur Leo hat Sorgen. Die Künstlerin Diana (Alba Rohrwacher, «Die Einsamkeit der Primzahlen») träumt in den Tag hinein, immer in der Hoffnung irgendwo ihr Glück zu finden. Verzweifelt versucht sie bei verschiedenen Arbeitgebern ihren Lohn einzufordern. Die völlig verängstigte Frau gibt sich alle Mühe den Sekretärinnen die Stirn zu bieten, doch diese unterbrechen ihr nervöses Gepiepse mit dem Erheben ihrer manikürten Zeigefingers und nehmen Diana den Wind aus den Segeln. Rohrwacher passt mit ihrer elfenhafte Ausstrahlung gepaart mit ihrem schauspielerischen Talent perfekt in die Rolle der verhuschten und mädchenhaften Diana und beweist schauspieltechnisch, dass sie nicht umsonst als Italiens Shootingstar gefeiert wird.

 

 

Bild 1: Die Künstlerin Diana sorgt für Lichtblicke in Leos Leben, aber (Bild 2) auch für zusätzlichen Nervenkitzel.  

 

Dianas Verzweiflung hat einen Ursprung. Nämlich ihr Vermieter Amanzio (Guiseppe Battiston, «Der Tiger und der Schnee»), der an der Tür klopft und die fällige Miete einfordert. Amanzio macht der jungen Frau seit Monaten das Leben zur Hölle, wobei er selbst kein Unschuldslamm in Sachen Korrektheit ist. Der selbsternannte Intellektuelle kritisiert das System, ärgert sich zwar über die Ignoranz des gemeinen Volkes, hält sich aber nicht an Regeln und hat in seinem Leben noch keinen Finger gerührt. Battiston verkörpert Amanzio mit einer gewissen Ironie ohne lächerlich zu wirken. Eine überaus gelungene Figur im Film. Er ist der Sehende, der erkennt, dass es mit Italiens Gesellschaft bergab geht. Doch blickt er über die eigenen Fehler getrost hinweg und ist nur um sein eigenes Wohl besorgt, wie alle anderen auch.

 

«Il comandante e la cicogna» wirkt wie ein buntes Puzzlestück aus verschiedenen Gemälden. Die Geschichten der einzelnen Figuren, die sich zu einem ganzen und chaotischen Gesamtbild vereinen. Regisseur Silvio Soldini erzählt eine Geschichte, die so verrückt, interessant und schillernd wie das Leben selbst ist.

 

  • Il comandante e la cicogna (Italien/Schweiz 2012)
  • Regie: Silvio Soldini
  • Darsteller: Valerio Mastandrea, Alba Rohrwacher, Guiseppe Battiston, Claudia Gerini, Luca Zingaretti
  • Laufzeit: 108 Minuten
  • Kinostart: 14. März
catarina martins / Di, 12. Mär 2013