Der Wert deiner Haut

Moviekritik: The Man Who Sold His Skin
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© trigon-film.org

Ein junges Paar, Sam und Abeer, sitzt gemeinsam in einem Zug in Syrien. Ein Hauch von Ängstlichkeit huscht über ihr Gesicht, als sie ihn schüchtern bittet einen Sitzplatz weiter zu rutschen, schliesslich könnte ihre Familie jemanden im Zug kennen. Die Positionen sind somit in den ersten Momenten des Films klar. Kurz darauf gesteht sie ihm ziemlich überraschend ihre Liebe, was er mit der Idee zur Heirat kommentiert. Auf ihre Zustimmung hin, ruft Sam voller Freude «Es lebe die Revolution!». Gemeint ist damit die Überwindung der sozialen Gräben, das Ankämpfen gegen festgefahrene Familienstrukturen, das «Liebe ist stärker»-Manifest. Das syrische Regime bremst die Euphorie jedoch rasch und nimmt Sam aus politischen Gründen fest. Mit etwas Hilfe kann er zwar aus dem Polizeibüro entkommen, hat aber in Syrien keine Zukunft mehr. Nach einem Kurzbesuch bei Adeer, die ihm mit feuchten Augen ihren – von der Familie ausgewählten – zukünftigen Ehemann vorstellt, flieht Sam tieftraurig noch in der gleichen Nacht in den Libanon.

 

Im Libanon knabbert Sam sehr schwer an den Ereignissen und vermisst seine grosse Liebe. Weiterreisen ist keine Option, da ihm offizielle Papiere fehlen. So lebt er von Gelegenheitsjobs. Als Sam eines Tages durch die Stadt tigert, schleicht er in eine Vernissage, um etwas Essen und Champagner zu geniessen. Doch er wird erwischt und bekommt statt Ärger ein unvorstellbares Angebot. Der ausstellende Künstler möchte ihn als Kunstwerk erwerben, sprich auf dem Rücken eine Tätowierung platzieren und ihn weltweit in Museen ausstellen. Sam würde dafür viel Geld und ein Schengen-Visum bekommen. Alle seine Probleme wären auf einen Schlag verschwunden. Ein verlockendes Angebot, nicht zuletzt, weil Adeen inzwischen in Belgien lebt und Sam noch immer unbedingt in ihrer Nähe sein möchte. Also verkauft Sam wortwörtlich seine Haut und im faustischen Pakt auch gleich seine Seele. Denn der Job hat einen gnadenlosen Haken.

 

Die Kämpfe in Sam

 

«The Man Who Sold His Skin» ist menschlich erdrückend, schmeisst uns in das Wechselbad der Gefühle zwischen dem Krieg in Syrien und dem als Kunst deklarierten Menschenhandel. Einen bitteren Nachgeschmack hat die Geschichte nicht zuletzt, weil der Film auf wahren Begebenheiten beruht. Wobei der Film sich eher auf die Kämpfe in Sam konzentriert und die Lage in Syrien nur am Rande sporadisch einbringt, wenn es dramaturgisch Sinn macht. Etwa über Videotelefonate zwischen Sam und seiner Mutter, die in Syrien geblieben ist, oder wenn der Krieg für den cleveren Schlusspunkt nochmals eine dramaturgisch wichtige Rolle spielt. So erlaubt man es uns, sich auf die tiefe menschliche Ebene in Sam einzulassen. Dort öffnen sich Abgründe. Nicht primär in Sam selbst, er scheint eine herzensgute Seele zu sein, sondern vielmehr durch den Umgang der Menschen mit ihm. Sam ist eine pure Geldanlage. Den Status als Mensch hat er für den Künstler und seine Entourage mit der Unterschrift er dem Vertrag de facto abgelegt. So wird beispielsweise ein Pickel auf der Haut, die das Tattoo ziert, zur Chefsache, während sich kaum jemand dafür interessiert, wenn es Sam schlecht geht. Die Entmenschlichung, die langsam passiert, ist heftig und teilweise nur schwer zu ertragen.

 

Sam wird als Kunstwerk inszeniert. (© trigon-film.org)

 

Sam wird von Yahya Mahayni gespielt. Bisher ist der syrische Schauspieler eher ein unbeschriebenes Blatt. Mit der Rolle in «The Man Who Sold His Skin» hat Yahya eine Plattform bekommen und die hat er optimal genutzt. Seine leeren Blicke an die mit unschätzbaren Kunstwerken bestückten Wände der Museen sprechen Bände. Die Art, immer leiser zu sprechen, je ohnmächtiger sich Sam fühlt, ist genial gespielt und oft sind es nur leise Gesten und flüchtige Bewegungen, die andeuten, wie es im Seelenleben von Sam aussieht. Dadurch verliert aber der Cast um Yahya leicht an Farbe, was aber nicht stört, da der Fokus klar auf der Figur von Sam liegt.

 

Unterstützung hatte Yahya Mahayni von der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania, die den Film äusserst gefühlvoll inszeniert hat. Es gelingt ihr mühelos, in die Gefühlswelt von Sam einzutauchen und ihn dabei zu begleiten, wie er langsam erkennt, auf welchen fatalen Deal er sich eingelassen hat. Sie lässt den tragischen Helden lustlos durch einsame Museen stolpern - immer unzufriedener mit seiner Situation als reicher, aber einsamer Mann, dem sein Leben nicht mehr gehört, der keine Macht über seine Entscheidungen hat, dem die Würde genommen wurde, gefangen in den Museen der Welt.

 

Die Seele für ein Stück Papier

 

Dabei braucht sie gar nicht gross den moralischen Zeigefinger zu erheben, denn die filigrane Erzählweise lässt genug Zeit, um zu reflektieren und letztlich zu erkennen, dass ein gefeierter Künstler in ausbeuterischer Manier einen Menschen in Not, am untersten Spektrum der Nahrungskette, dazu genötigt hat, seine Seele für ein Stück Papier zu verkaufen. Und ohne den Punkt anzusprechen, bringt sie zudem das Thema Schlepperei aufs Parkett. Denn für einen Künstler mit Geld scheint es mühelos möglich zu sein, ein Schengen-Visum zu bekommen. Sam hätte das alleine kaum geschafft und wäre der Willkür der Behörden ausgeliefert gewesen. Mit diesen Informationen lässt der Film uns aber bewusst alleine und vielleicht liegt genau hier die Stärke von «The Man Who Sold His Skin»: Er regt zum Denken und Reflektieren über die Realität an. So erstaund es nicht, dass er als «Bester Fremdsprachiger Film» bei den Oscars® 2021 nominiert war.

 

Ein Film, der Emotionen auslöst und lange nachwirkt. «The Man Who Sold His Skin» geht tief unter die Haut.

 

  • The Man Who Sold His Skin – (Tunesien, 2020)
  • Regie und Drehbuch: Kaouther Ben Hania
  • Besetzung: Koen de Bouw, Dea Liane, Yahya Mahayni, Monica Bellucci
  • Laufzeit: 104 Minuten
  • Kinostart: 14. Oktober 2021

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 13. Okt 2021