Glenn Close steht ihren Mann

Moviekritik: «Albert Nobbs»
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Ein Hotel in Dublin, eine hochnäsige Hotelbesitzerin, viele Dienstmädchen und drei Butler. Unter ihnen Albert Nobbs (Glenn Close, spielt in «Nine Lives» und in der TV-Serie «Damages»). Er ist ein verschüchterter älterer Herr, der seiner Arbeit mit Perfektion nachgeht und sich nichts zu Schulde kommen lässt. Jeder Handgriff sitzt einwandfrei. Dafür wird er mit grosszügigem Trinkgeld belohnt, über welches er penibel Buch führt. Der Schein ist perfekt und trügt jeden. Denn Albert Nobbs ist in Wirklichkeit eine Frau, die sich als Mann ausgibt, um im rauen Irland des 19. Jahrhunderts zu überleben. Als ledige Frau ohne Geld und ohne berufliche Perspektiven wäre sie Freiwild.

 

 

Diesem Schicksal wollte «Albert Nobbs» entkommen und begann sich schon in jungen Jahren als Mann zu verkleiden. Sie fand eine Anstellung bei Morrison’s Hotel, wo sie seit 17 Jahren als Butler tätig ist. Als Nobbs eines Tages auf den Maler Hubert Page (Janet McTeer, «Stürmische Leidenschaft») trifft, ermutigt dieser sie, die zu sein, die sie sein möchte. Albert träumte schon lange von einem eigenen kleinen Laden. Durch Hubert ermutigt, fasst sie den Mut diesen Traum zu verwirklichen, doch dazu braucht sie eine Frau - eine Seelenverwandte - die mit ihr diesen Schritt in ein besseres Leben wagt. Im Dienstmädchen Helen (Mia Wasikowska, «Alice im Wunderland») scheint sie die perfekte Braut gefunden zu haben. Doch diese hat andere Pläne als den schrulligen alten Mann zu ehelichen.

 

Mut zur Hässlichkeit 

 

Wenn man nicht weiss, dass Schauspielerin Glenn Close Albert Nobbs mimt, kommt man erst nach genauerem Betrachten und im Laufe der Geschichte auf die Idee, dass eine Frau die Rolle spielt. Genau wie ihre Figur hat auch Close die typisch männlichen Merkmale und Verhaltensweisen angenommen und eine Illusion kreiert. Nobbs ist so tief in ihrer Rolle gefangen, dass sie diese nicht nur spielt, sondern auch lebt. Ihr Gesicht wirkt maskenhaft und emotionslos - Glenn Close beweist hierbei viel Mut zur Hässlichkeit - doch genau dieses Pokerface weckt viele Emotionen und auch die Neugier zu erfahren was es mit der Person Albert Nobbs auf sich hat. Glenn Close verkörpert Nobbs liebevoll und trägt all ihre innere Zerrissenheit und Unschuld mit einer Feinheit nach aussen, die man nur bei den ganz grossen Darstellern findet. Sie holt die Zuschauer ab und weiss diese durch die Geschichte zu führen. Dabei drückt sie auf subtile Art und Weise die Gefühlsknöpfe der Zuschauer ohne mit herzzerreissenden Szenen aufzufahren.

 

 

In «Albert Nobbs» wird ein zeitloses Thema angesprochen. Der Film handelt von der eigenen Identität und der Rolle, die man nach aussen hin spielt. Wer zeigt sein wahres Gesicht und wer trägt eine Maske? «Albert Nobbs» erzählt aber auch eine andere altbekannte Geschichte: die Frau muss sich zwischen zwei Dingen entscheiden. Heute wäre es Karriere oder Familie. Im Irland des 19. Jahrhunderts war es die wahre Identität oder ein Leben auf der Strasse. Um sich zu schützen hat Albert Nobbs sich selbst verleugnet und lebt emotional abgeschottet. Die Rolle eines Butlers, der sich stets im Hintergrund aufhält, ist daher ideal, um nicht aufzufliegen.

 

Eine weitere Glanzleistung vollführt Nebendarstellerin Janet McTeer (bekannt aus Terry Gilliams «Tideland»), die ebenfalls einen Mann mimt. McTeer spielt den Maler Hubert Page, der das Lebens Nobbs‘ gehörig auf den Kopf stellt. McTeer spielt Page unglaublich männlich. Es ist aber nicht nur eine grobe Männlichkeit. Es sind die feinen Nuancen, wie etwa das Reagieren auf eine schöne Frau, die Art wie sie raucht oder der Gang, die das ganze Erscheinungsbild abrunden. Und auch sie beweist Mut zur Hässlichkeit und könnte problemlos als Mann durchgehen.

 

 

Mia Wasikowska («Alice im Wunderland») und Aaron Johnson («Nowhere Boy») harmonieren ziemlich überzeugend als Liebespaar, welches eine destruktive Beziehung führt. Wasikowska passt mit ihrem zerbrechlichen Aussehen gut in die Rolle der etwas naiven und manipulierbaren Helen, obwohl sie diese machmal etwas zu steif und dann wiederum doch zu dramatisch spielt, was dann nicht ganz so in die ruhige Art des Filmes passt. Helen träumt von der grossen Liebe und erkennt nicht, dass Joe ihr diese nicht bieten kann. Aaron Johnson passt mit seinen Herzensbrecher-Aussehen und jugendlichem Übermut perfekt in die Rolle des rauen Jungen, der jede Chance beim Schopf packt, auch wenn er dazu andere ausbeuten muss. Schauspielerische Höchstleistungen bringen weder Wasikowska noch Johnson, doch dies erfordern ihre Rollen auch nicht.

 

Glenn Close hat ein Leben lang an «Albert Nobbs» gearbeitet.

 

Vor 30 Jahren stand Glenn Close schon einmal in der Rolle des Albert Nobbs auf der Bühne. Die Geschichte Nobbs, die aus der Feder des irischen Schriftstellers George Moore stammt, liess sie ihr ganzes Leben lang nicht mehr los, deshalb arbeitete sie parallel zu anderen Projekten jahrelang am Drehbuch zum Film. Sie suchte Drehorte und Szenarien selbst aus. Auch bei der Wahl des Regisseurs war die Schauspielerin sorgfältig und holte sich den Kolumbianer Rodrigo García mit ins Boot, mit dem sie schon bei «Nine Lives» zusammengearbeitet hat. Die Sorgfalt und Detailgenauigkeit mit der Close und García gearbeitet haben, widerspiegeln sich in den Kostümen, in der Maskenbildung und in den Szenarien. Die Atmosphäre, die damit kreiert wird, wirkt sehr echt und nicht gekünstelt. «Albert Nobbs» ist kein 0815-Kostümfilm, der nett anzusehen ist und den man am nächsten Tag wieder vergessen hat. Der Film berührt, regt zum Nachdenken an und verzaubert von Anfang an.

 

 

Der Kontrast zwischen Armut und Reichtum visualisiert Rodrigo García gekonnt. Im Morrison’s Hotel herrscht Wohlstand und Ordnung. Keine zehn Meter neben dem Hotel leben Menschen in grösster Armut und im Dreck. Das Chaos auf den Strassen wird deutlich gezeigt und dank den Originalschauplätzen in Dublin wirkt der Film sehr authentisch. Wer jetzt denkt, «Albert Nobbs» sei ein zutiefst trister Film, irrt sich. Es gibt den einen oder anderen witzigen Moment. Einer ist etwa, wenn Page gegenüber Nobbs offenbart, dass er eine sie ist und die Brüste entblösst, worauf Albert perplex die Augen aufreisst und wie eine Aufziehpuppe erschrocken davon eilt. Ebenfalls belustigend ist die Szene als Glenn Close und Janet McTeer in Frauenkleidern auftreten und es ihnen gelingt, wie zwei Männer in Damenbekleidung auszusehen oder besser gesagt wie zwei Frauen, die schon zu lange in der Rolle des Mannes gefangen sind. Dies tun sie auf eine amüsante Art, die die Tragik des Ganzen bricht. Der Humor drängt sich eben nicht auf. Diese Zurückhaltung kommt dem Film nur zu Gute. Das Laute und Imposante passt auch gar nicht zur Geschichte von Albert Nobbs. Ein weiterer Pluspunkt des Films ist die Sprache. Der hüpfende irische Akzent ist für die Ohren aller Sprachbegeisterten sicherlich ein akustischer Leckerbissen. Deshalb ist es nur zu empfehlen den Film in der Originalsprache zu schauen.

 

«Albert Nobbs» wurde bei den Golden Globes sowie den Oscars unter anderem in den Kategorien «Beste Hauptdarstellerin» (Glenn Close) und «Beste Nebendarstellerin» (Janet McTeer) nominiert, konnte aber keine der begehrten Trophäen gewinnen. Glenn Close musste sich bei beiden Verleihungen Meryl Streep geschlagen geben und Janet McTeer musste beide Trophäen Octavia Spencer überlassen. Schade eigentlich, denn Close und McTeer überzeugen auf ganzer Linie und lassen kaum Raum für schlechte Kritik.

 

 

  • Albert Nobbs (Irland/England 2011)
  • Rodrigo García
  • Darsteller: Glenn Close, Mia Wasikowska, Aaron Johnson, Janet McTeer
  • Laufzeit: 117 Minuten
  • Kinostart: 19. April 2012

 

 

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catarina martins / Sa, 14. Apr 2012