Attracted by Goats: «Wir wollen nicht im Hintergrund laufen»

Interview mit Attracted by Goats
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Auch 2018 hat Grunge nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Nun führt das Zürcher Quartett Attracted by Goats die Erfolgsgeschichte weiter. Wir haben mit Sänger Nahuel Alegre und Drummer Zeno D’Aulerio über die Entstehung ihres mitreissenden Debütalbums «Haze, Hope und Hell» gesprochen.  

 

Ihr stellt in eurem Pressetext unmissverständlich klar, dass ihr reinen Grunge-Rock macht. Nun gelangen wir von einer langen Einflussphase der Achtziger in den Zeitgeist der Neunziger. Man darf wieder ungestraft mit Bauchtaschen herumlaufen und die Cassette Culture ist auf dem Vormarsch. Auch Grunge hatte in den frühen Neunzigern seine Blütezeit. Wieso habt ihr euch für diese Stilrichtung entschieden und was bedeutet sie euch?

 

Zeno D’Aulerio: Ich habe Grunge durch meine älteren Brüder mitbekommen. Geschichten wie jene vom Alice In Chains-Konzert im Volkshaus fand ich mega geil. Mich haben dieser Sound und seine Bands in meiner Jugend und meiner Musikerzeit stets begleitet. Selbst als ich in Hardcore-Bands spielte und eigentlich weit weg vom Grunge war, wollte ich Teil eines solchen Projekts sein. Und dann kam es in der Zitrone (Anm. d. Red.: einer Zwischennutzung des Vereins Zitrone) zur Gründung von Attracted by Goats. 

 

Nahuel Alegre: Ein Freund und ich hatten einen Track aufgenommen, was Alice-mässiges, mit mega schweren Riffs. Es war gleich klar, dass der Metal-lastige Song in Richtung moderner Grunge ging. Er entstand sehr intuitiv und war innerhalb von fünf Minuten geschrieben. Da kam mir gleich die Idee, dass Zeno Schlagzeug spielen könnte. Er hat natürlich sofort angebissen, sobald wir Alice erwähnten – das war so ein Triggerwort. 

 

Zeno: Das war echt ein geiler Zufall, denn danach hatte ich immer gesucht. In meinem Umfeld gab es Hardcore Jungs und solche, die Indie machten. Aber was dazwischen gab’s kaum. Im Bezug aufs 90er-Revival möchte ich sagen, dass Stile meist erst gross werden und dann wieder verebben. Dann braucht’s eine Halbwertszeit, bis sich die Leute wieder an deren Qualität erinnern. Und das kann auch mit der Musik der Neunziger passieren. Auf der einen Seite hast du Leute wie Nahuel, die damals geboren wurden und diesen Sound neu für sich entdecken, während Leute, die in den Achtzigern aufwuchsen, sich freuen und Dinge sagen wie: «Das ist die Musik, die wir früher im Jecklin gekauft haben». 

 

Sogar der Synthiepop erfreut sich unter dem Label «Synthwave» neuer Beliebtheit und hat längst den Weg in die Filmmusik gefunden. Da macht es nur Sinn, dass nun auch Grunge an die Reihe kommt. Der Stil war ja nie wirklich weg. Viele Songs sind bis heute Klassiker, und Bands wie Alice sind nach wie vor unterwegs. Auch Soundgarden haben vor geraumer Zeit ein neues Album veröffentlich, wobei man in jenem Fall diskutieren kann, wie viel Grunge dort drinsteckte. 

 

Nahuel: Grunge ist ja auch sehr breit gefächert. Selbst wenn wir unsere Instrumentierung runterfahren oder härter würden, wären wir immer noch Grunge. Es geht um die Art und Weise, wie man Musik macht, die in dem Zeitgeist steckt. Es war ja immer so ein jugendlicher Kult. Ich selber habe die Zeit zwar nicht miterlebt, aber es ist eine Lebenseinstellung, so wie Punk; der wird auch nie aussterben. Und es ist auch schön, dass man darauf aufbauen kann und damit assoziiert wird. Aber der Hype ist für mich nur Mittel zum Zweck, weil ich einzigartige Musik machen möchte. Die Neunziger begleiten dich vor allem, wenn du gesangslastigen Rock machst. Grunge hat Ikonen hervorgebracht: Alice, Pearl Jam oder Nirvana. Doch es gab auch tausende Bands, die niemand kannte. Parallel dazu existiert schon lange der Stoner Rock, der sehr von der Instrumentierung lebt. Aber die Möglichkeit, grosse Songs mit Hitpotential zu schreiben, an die man sich erinnern wird und die was bedeuten und die Leute bewegen, das steckt für mich im Grunge. 

 

Wie rasch habt ihr eure gegenwärtige Formation als Quartett gefunden?  

Zeno: Anfänglich waren wir noch zu dritt. Damals stand Oli, ein Freund von Nahuel, am Bass.  

 

Nahuel: Ich war mit Oli in einer Metal-Band und spielte dort Schlagzeug. Wir beide hatten ein Tonstudio eröffnet, dort nebenher experimentiert und eben jenen Song geschrieben. Und weil wir neben Zenos Bandraum geprobt haben und Zeno verantwortlich für die Bandräume war, war es unumgänglich, ihn näher kennenzulernen. Danach schrieben wir auf die Schnelle drei Songs, nahmen sie während drei Monaten auf und gaben eine EP raus. 

 

Zeno: Irgendwann kam dann Wangel (Darpoling) hinzu. Als zweiter Gitarrist, weil der auch in einer Band im Zitronen-Haus spielte. Quasi um uns musikalisch zu öffnen. Danach stieg Oli aus und seine Nachfolge trat Facundo (Morales) an, der zuvor ebenfalls mit Wangel in einer Band war. Es ist schon eine coole Erfolgsstory der Zitrone als Projekt, wo verschiedene Bands in verschiedenen Räumen kollaborierten. Und die «Goats» sind ein Produkt dieses Konzepts, das die Jahre überlebt hat. 

 

Nahuel: Man stecke dreissig Musiker in ein Kellergeschoss und es wird sich irgendwas ergeben. 

 

 

Zeno D’Aulerio (Drums): «Für mich ist eine Band nur so gut wie der Songwriter.»

 

 

 

Ihr macht songorientierte Musik, bei der der Gesang sehr wichtig ist. Da das Album wie aus einem Guss klingt, stellt sich die Frage: Habt ihr einen Songwriter oder entstehen die Lieder im Jam? 

 

Nahuel: Ich schreibe die Songs eigentlich immer im Voraus. Wir verfeinern sie hinterher als Band, aber ich komme in etwa 90% aller Fälle mit einem fast fertigen Song an ¬– und dann trägt jeder seinen Stil bei. Wenn du als Songwriter immer mit den gleichen Leuten arbeitest, entwickelst du natürlich ein Gefühl für deren Instrumente und wie sie hinterher klingen werden. Mittlerweile weiss ich ziemlich detailliert, was Zeno so kann und was er gerne spielt. Wenn du für eine Band Songs schreibst, solltest du schon versuchen, die Stärken der Leute zu nutzen. Und ich bin auch ein wenig verwöhnt, dass ich so gute Musikanten in der Band habe. 

 

Nimmst du deine Demos mit dem Computer auf oder spielst du sie auf  einer Gitarre vor? 

 

Nahuel: In meinem Tonstudio in Adliswil kann ich innert kürzester Zeit alle Gerätschaften aufbauen und alles selber einspielen – auch Bass und Gitarre. 

 

Zeno: Für mich ist eine Band nur so gut wie der Songwriter. Die Leute deiner Band können noch so talentiert sein: Wenn der Typ mit dem Gespür für Melodien fehlt, kannst du’s vergessen. Dann sollte man lieber Coverversionen spielen. Klingt jetzt hart, aber Nahuel ist nicht nur ein gesegneter Songwriter, sondern glücklicherweise auch ein guter Handwerker, was Vieles vereinfacht. 

 

Nahuel: Man merkt das oft bei Jazz-Coverversionen von bestimmten Pop- oder Rocksongs. Ein guter Song funktioniert immer, auch wenn du die Gitarre durch ein Piano ersetzt oder das Piano durch eine Flöte. 

 

Prince hat das hervorragend beherrscht. Der konnte aus dem Stehgreif einen Disco-Hit in einen Reggae-Song verwandeln. Stilrichtungen spielten für ihn keine Rolle. 

 

Nahuel: Das ist für mich die Essenz von einem guten Lied oder Album. Schlussendlich kannst du jeden Tag zuhause deine Fertigkeiten am Instrument ausfeilen, doch wenn du keine Vision hast, wenn du nicht drei Töne nehmen und drei Sätze dazu singen kannst, dann wird dein Song auch mit aller Technik oder dem besten Orchester der Welt nicht interessanter werden. Wobei «interessant» natürlich Geschmacksache ist.

 

Guter Gesang kann einen furchtbaren Song retten, aber der beste Song der Welt wird durch schlechten Gesang unweigerlich verhunzt. Das ist etwas, was bei euch ebenfalls funktioniert. Du kannst in den Strophen oft dieses Sanfte einbringen und dann im Refrain den Tiger loslassen. Was mir besonders auffällt: Dein Englisch hat überhaupt keinen Akzent. Woran liegt das? 

 

Nahuel: Ich bin in der Hinsicht sehr streng mit mir selbst. Es ärgert mich, wenn ich mir eine Band anhöre, und dann nach einem geilen Intro fängt einer an mit Akzent zu singen. Das zerstört für mich das Bild, das ich im Kopf habe. Ich sage nicht, dass Akzente generell was Schlechtes sind. Es sind ja vorwiegend wir Schweizer, die sich an unserem Akzent nerven. Aber für mich passt dieser nicht zum Bild von Musik, das mir vorschwebt. Drum trainiere ich das so oft, bis es einigermassen authentisch rüberkommt.   

Zeno: Das mit dem Akzent hat kürzlich mal jemand erwähnt. Ich glaub er war Amerikaner. Mir war das gar nicht so sehr bewusst.   

Nahuel: Ich frage im Studio oft nach, ob man einen Akzent hören kann.

 

Zeno: Ich achte nicht so krass darauf und höre darum den Schweizer Akzent gar nicht so sehr heraus. Die Französischen, Italienischen und Spanischen Akzente fallen mir extrem auf. Den Deutschen eigentlich auch, aber den von uns Schweizern finde ich nicht so markant. 

 

Nahuel: Ich finde gewisse «S» scheusslich. Auch «K» und «C» stehen oft heraus. Das liegt daran, dass wir Schweizer die englische Sprache überbetonen, um verständlich zu reden. Bei «System Of A Down» verstehe ich auch nicht jedes Wort, und bei Mumble Rap – der gerade sehr beliebt ist – verstehe ich gar nix.

 

Zeno: Mumble Rap?

 

Nahuel: Das sind die, die ganz langsam rappen und dabei den Mund fast geschlossen haben. Es geht halt darum, wo du Prioritäten setzt. Beim künstlerischen Aspekt oder bei der Verständlichkeit? Lyrics kann man ja immer noch irgendwo abdrucken. Für Schweizer liegt das Problem darin, dass sie stets überkorrekt sein wollen und sich gewisse Fehler nicht erlauben – und exakt das wird dann zum Fehler. 

Mir fällt eine Band wie «First Aid Kit» ein, zwei Mädels, die so klingen, als stammten sie aus den Südstaaten, dabei kommen sie aus Schweden. Das ist eine ganz neue Generation. Wenn man ans Englisch von Roxette denkt …

 

Zeno: Heute ist man mit Anfang zwanzig ein Digital Native. Jemand wie ich, mit einem Jahrgang der frühen Achtziger, hatte nicht diese Fülle an Musik zur Verfügung gehabt. Wir mussten in den Plattenladen, Titel heraussuchen und kaufen. Infos zu den Bands gab’s nur in entsprechenden Magazinen am Kiosk. Sogar die Plattensammlung deiner Eltern war ein entscheidender Faktor. Der Zugang war so viel schwieriger. Darum wundert es mich nicht, wenn heute zwei junge Frauen Countrymusik machen, die authentisch klingt. 

 

Nahuel: Ich denke es ist eher so, dass du die Technologie hast, um zuhause mega klar aufzunehmen. Wenn du dich aufnimmst, hörst du deinen Akzent sofort heraus. Das war früher nicht möglich.

 

Zeno: Aber abgesehen davon konnten die seit zehn, fünfzehn Jahren alle mögliche Musik gratis übers Netz hören. 

 

Nahuel: Ich begann mich genau zu der Zeit für Musik zu interessieren, als es mit dem Internet so richtig losging. Mir wurde bewusst, dass ich mir alles runterladen kann, was ich will. Als Kind bekam ich noch CDs geschenkt, und mit zwölf oder dreizehn bekam ich Zugriff auf einen PC und hatte einen MP3-Player mit 25MB. Nach zwei Jahren war es bereits das Zehnfache davon. 

 

Zeno: Diesen Unterschied spürst du auch, wenn du mit Musikern zusammenspielst, die eine Generation jünger sind als du. Etwa, dass sie einen viel professionelleren Approach haben. Das liegt auch daran, dass wir als Kids zum Schlagzeuglehrer gehen mussten, wenn wir ein Drum Kit erlernen wollten. VHS-Tapes und später DVDs mit Anleitungen kosteten über hundert Stutz. Das war saumässig teuer. Heutzutage hast du Millionen Stunden von Drum- und Guitar-Lektionen auf YouTube und jeder kleine Scheiss wird dir erklärt. Gratis. Du merkst; die sind technisch viel besser aufgestellt als wir damals in dem Alter. Das hat viel mit dem Zugang zu dieser Informationsflut und diesem Wissen zu tun. 

 

Apropos Technologie: Es gibt ja auch Tutorials für Aufnahmetechnik. Beispielsweise für Cubase oder Logic X. Wie war das bei euch? Es tönt alles extrem tight. Wer hat das Album produziert?

 

Nahuel: Produziert wurde eigentlich alles von mir. Ich habe Click-Tracks mit der Band gemacht. Dann alles aufgenommen, gemixt und gemastert. Ich war etwa ein Jahr dran. Es dauerte allein ein halbes Jahr, bis alles aufgenommen war. 

 

Zeno: Der ganze Aufnahmeprozess hat sich schon ein wenig hingezogen. Denn wenn du das Privileg hast, im eigenen Studio alles zu erarbeiten, liegt darin gleichzeitig auch ein Fluch …

 

Nahuel: … weil du dir zeitliche Grenzen setzen musst. Sonst versinkst du. 

 

Zeno: Wir haben zunächst verschiedene Versionen der Gitarrenparts aufgezeichnet …  

Nahuel: … und verschiedene Lieder wieder abgeändert. Schlussendlich hat es sich gelohnt, Zeit in diesen Part zu investieren. Wir haben aber fürs nächste Mal gelernt, diese ganzen Nuancen und Details vor dem Aufnahmeprozess auszuarbeiten. 

 

Zeno: Wir gingen schon mit fertigen Songs ins Recording, aber wenn du dir die Songs so oft anhörst, denkst du häufig, dass da noch was fehlt.  

Nahuel: Gerade in der Schlussphase ist ziemlich viel gelaufen. Mir fiel halt auf: Wenn ich etwas wirklich ernsthaft betreiben will, muss ich meinen Lebensstil anpassen. Ich habe meinen Job gekündigt und eine Halbtagsstelle angenommen. Ich nahm mir diese paar Tage in der Woche und meine übrige Freizeit und nutzte diese für die Musik, weil wir sonst nicht vorwärtsgekommen wären. Als ich während der Produktion noch Vollzeit arbeitete, merkte ich, dass ich an drei von vier Malen müde vom Schaffen war. Wenn du es richtigmachen willst, musst du Prioritäten setzen.  

Zeno: Ich arbeite ebenfalls 60% und mache in der restlichen Zeit Musik. Und vom Arbeits-Approach macht das schon einen Unterschied. Ich meine, eine Zeitlang haben wir jeweils am Montagmorgen geprobt! Face it. Das war cool, denn alle anderen konnten das ebenfalls so einrichten. 

 

Man hat viel mehr Energie. 

 

Nahuel: Ja, wenn du am Freitagabend um zehn ins Bett gehst, weil du am Samstagmorgen Bandprobe hast und den Rest des Tages im Studio mit produzieren verbringst, dann gehst du mit anderem Fokus an die Sache. Die meisten Leute haben den Anspruch, professionell zu sein, haben jedoch weder die Motivation noch die Mittel, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Wenn du eine Firma gründest, dann schmeisst du deinen Job hin und gehst die ersten paar Jahre sieben Tage die Woche arbeiten – andernfalls brauchst du gar nicht erst ein Geschäft eröffnen. Dasselbe gilt für eine Band, wenn du nicht bloss nebenher herumklimpern willst. 

 

Seid ihr die einzigen, die in eurem Studio aufnehmen?

Nahuel: Wir hatten es halt die ganze Zeit über besetzt gehabt, auch für unsere Proben. Aber grundsätzlich, wenn ich Zeit habe, mache ich gerne anderes Zeug. Ich habe schon eine EP mit einer Bluesrock-Band aufgenommen.

 

Zeno: Ich denke, unser Album wird für Nahuel eine extrem gute Visitenkarte als Produzent sein. 

 

Nahuel: Ich habe halt mega viel Zeit investiert, um alles zu erlernen. Einen grossen Teil des Albums habe ich zuhause auf dem Sofa mit dem Kopfhörer gemischt. 

 

Auf dem MacBook? 

Nahuel: Auf dem MacBook.

Zeno: (Lacht) Solche Sachen darfst du nicht sagen. Das nimmt der Sache die Aura!

 

Finde ich persönlich nicht. Heute kannst du DJ- und Hip-Hop-Musik im GarageBand aus vorgefertigten Samples zusammenklicken. Und der Gesang wird von Autotune übernommen. Aber eure Musik hat mit Aufnahmetechnik zu tun. Man muss ein Instrument beherrschen. 

 

Nahuel: Fürs Produzieren brauchst du schlussendlich eine unendliche Palette an Technik und Erfahrung. Wenn ich unsere heutigen Aufnahmen, mit denen vor einem Jahr vergleiche, hört es sich an wie Tag und Nacht. Ich habe so viel gelernt in der Hinsicht. 

 

Zeno: Es war für ihn und die Band ein extremer Lernprozess.  

Nahuel: Auf jeden Fall. Ich werde bei jeder weiteren CD dazulernen. Ich weiss jetzt schon ganz genau, was ich das nächste Mal anders mache. Wenn die Aufnahme gut ist, verbringe ich zuhause zwei Stunden mit Mischen. Ist die Aufnahme jedoch schlecht, brauche ich drei Monate, um einen Song auszukorrigieren. Und weil wir von Anfang an in einem Studio arbeiteten, konnte ich das Editing zuhause mit Kopfhörer machen, während ich für die grossen Brocken ins Studio ging. 

 

Eure Musik hat einen Klang und eine Dynamik, die ich so selten bei einer Schweizer Band höre. Gerade vom Klang her leben wir in einer faschistischen Ära. Beim Mastering werden einfach oben und unten alle Frequenzen abgeschnitten. Wichtig ist nur noch die Lautstärke, und am Ende klingt alles gleich. In den Neunzigern achtete man noch viel mehr auf den Klang einer Platte. 

 

Nahuel: Es tönt alles gleich, als wäre es aus dem Regal gegriffen. Die Snare muss so klingen, die Kick-Drum so, weil man es sonst nicht so fett zusammenpappen kann, wenn sie anders klingen. 

 

Das ist etwas, was die Platte neben Gesang und Songwriting zusätzlich auszeichnet. Und nun ist euer Baby endlich vollendet … 

 

Nahuel: Ich war so erleichtert, als ich das Mastering ins Presswerk geben konnte. Ich hab’s hochgeladen, ging ins Bett und war am nächsten Morgen krank – für eine ganze Woche. Wahrscheinlich weil ich mir Monate lang nicht erlaubt hatte, krank zu werden.  

Jetzt folgen erstmal die Plattentaufe und Konzerte. Habt ihr schon die nächste Platte im Hinterkopf oder konzentriert ihr euch aufs Performen?

 

Zeno: Worüber wir gegenwärtig nachdenken, ist eine Vinylversion. Dafür hat es finanziell noch nicht gereicht. 

Nahuel: Eine Tape-Version könnten wir praktisch gratis machen. 

 

Zeno: Im heutigen Playlist-Zeitalter stellt sich ja schon die Frage, ob es denn überhaupt noch ein Album braucht. Niemand hört sich noch dieses Format an, heisst es. Ist ein Album dann ein anachronistischer Ansatz? Andrerseits nimmt dich niemand als Rock- oder Grunge-Band ernst, wenn du nicht mindestens eine Platte gemacht hast. Denn ich finde, dass du erst von diesem Punkt an zu existieren beginnst. 

 

Nahuel: Ja, dahinter steckt ein Ritual, das zur ganzen Sache dazugehört. Am Ende ist das Album einfach ein Werk, über das du dich ausdrückst. Es gibt immer noch Acts – wie etwa Tool – die sich Spotify verweigern. Sie sagen: «Unser Album ist ein zusammenhängendes Werk». 

 

Zeno: Es ist natürlich ein schönes Privileg für Tool, dass sie sagen können: «Wir gehen nicht auf Spotify». 

 

Ich wollte die Reihenfolge der Songs ansprechen. «Little Foot» und «Linear» sind mächtige Opener. Die Platte hat eine schöne Konsistenz und einen soliden akustischen Narrativ. Wie kam diese Reihenfolge zustande?  

Nahuel: Hören. Einfach hören. Wir haben halt viele Lieder schon lange live gespielt, und deshalb viele Setlists schreiben müssen, was meistens Zeno übernimmt. Bereits dort haben wir uns viele Gedanken über die Abfolge der Songs gemacht. Zeno hat ein gutes Gespür für Dramatik. 

 

Zeno: Die Dramaturgie muss halt ein roter Faden sein. Bei einem Live-Set ist es das A und O. Und dort hast du gleich die Response vom Publikum. Dann muss einfach alles stimmen.  

Kann man das direkt auf ein Album übersetzen?  

Zeno: Ja. Dass man sich hinsetzt, ein Album am Stück hörst und diese Reise mitmacht, das ist irgendwie …  

Nahuel: … selten geworden.

 

Zeno: Extrem selten leider. 

 

 

Nahuel Alegre (Guitar, Vocals): «Für mich sind wir keine Band, die Hintergrund laufen will. Entweder du hörst es bewusst oder es ist dir im Weg.»

 

 

 

Was mir auch gefallen hat, ist diese Stelle bei «Firefish», wo es ein Intro mit einer elektronisch plärrenden Stimme hat. Eine schöne Spielerei.

 

Zeno: Der Trap Einfluss.

 

Nahuel: Wir hatten den Songs bereits auf der EP rausgebracht, aber dort klang diese Stelle anders. Aber ich fand, dass man mit diesen zehn, fünfzehn Sekunden wild herumexperimentieren könnte. 

 

Zeno: Wir beschreiben unsere Musik als ein Zusammentreffen von warmen Neunziger-Sounds und dem Chaos des digitalen Zeitalters. Und dies wäre genauso ein Beispiel. 

 

Nahuel: Ein solches Ding entsteht völlig aus dem Augenblick heraus. Ich weiss nicht, wie viele Versionen dieses kleinen Teils ich der Band schon entgegengeworfen habe, und ständig fanden alle: «Das tönt so komisch». Aber mit zunehmendem Hören wurde es besser. Ich habe mir jeden Song über hundertmal angehört und insbesondere diese Stelle unendlich oft. 

 

Und irgendwann beginnt man, Löcher in die Songs zu machen?  

Nahuel: Das ist ja gerade das Schwierige an der Sache; auf das zu achten, was das Gesamtwerk ausmacht und sich nicht in Details zu verlieren. Schlussendlich habe ich diese Stelle einfach zusammengestaucht und fand, dass es lustig klang. Nun hat sie was von einem alten Sega-Videospiel. 

 

Es liegt bestimmt eine grosse Versuchung darin, wenn man so viel Technik zur Verfügung hat, und oft mischen Bands irgendwelche Elektronik in ihre Schöpfungen. Eure Songs dagegen sind stellenweise verspielt, aber nicht unbedingt experimentell, sondern bleiben sich selbst treu. 

 

Nahuel: Ja, es soll im Songwriting experimentell sein, aber nicht Experimentieren zum Stilelement machen. Für mich zählt das Ganze. Ich habe Dinge geopfert und bin Kompromisse eingegangen, damit das Werk als Ganzes funktioniert. Bei einem tollen Song würde ich nie darauf achten, was für ein Plektrum oder was für ein Amp verwendet wurde. Das ist mir völlig egal. 

Es braucht eine Vision.  

Nahuel: Ja, und diese musst du verfolgen. Kompromisse sind notwendig, aber du musst genau wissen, wo sie sich lohnen. Für mich zählt, ob dich die Musik anspringt oder ob sie einfach nur im Hintergrund herumschleicht. Und für mich sind wir keine Band, die Hintergrund laufen will. Entweder du hörst es bewusst oder es ist dir im Weg. 

 

Viele Leute brauchen leider etwas im Hintergrund, damit sie sich nicht so alleine mit sich selbst fühlen. 

 

Nahuel: Es ist halt auch Geschmacksache, wie aktiv du Musik nutzt. Ich habe eine Zeitlang Death Metal zum eingeschlafen gehört. Für mich ist viel Musik gewöhnlich, normal, und kommt mir gleich bekannt vor.  

Abschliessend noch eine Frage zum Zustand von Rock im Jahr 2018. Wie seht ihr die Zukunft dieser Musik?

 

Zeno: Kürzlich haben sie das Dave Grohl gefragt. Es sei ja quasi schön, dass die Foo Fighters so berühmt sind, aber die Kids würden doch nur noch elektronische Musik hören – Trap und solche Sachen. Aber es gibt so viele neue Rockbands dort draussen. Die erfinden den Stil zwar nicht neu, aber das ist ok – wir auch nicht. War schliesslich nie die Absicht. Laut einer Studie ist Rock noch immer die Stilrichtung, die am zweitmeisten gehört wird – nach Pop. Vielleicht gibt es grad keine Welle wie in den frühen Neunzigern oder Nullerjahren, aber man braucht sich keine Sorgen machen.

 

Vielleicht basteln auch viele Rockbands gerade in ihrem Bandraum an neuen geilen Songs herum und sind genau deswegen unsichtbar. 

 

Nahuel: Ich sehe das auch so. Mir macht Rockmusik mehr Spass als je zuvor. All die neue Technologie, die rauskommt, begrüsse ich. Für mich sind das tolle Spielzeuge. Wenn ich ein Klavierintro auf dem Laptop schreibe, mit zehn Geigen und sechs Trompetenchören, und nach diesem Intro meinen Rocksong einfügen kann, dann begeistert mich das. Das hättest du früher nie machen können. Du hast einfach mehr Möglichkeiten. Man kann sich zwar darin verlieren, aber ich finde, Rock hat eine grosse Zukunft, was das anbelangt. Und je länger je mehr Bands ähnlich klingen, desto mehr kannst du herausragen, wenn du etwas Anderes machst.

 

Attracted by Goats - «Linear»

   

* Mehr Infos zur Band gibt es auf ihrer Facebook-Seite.

 

Mike Mateescu / Di, 06. Nov 2018