Szenen einer kaputten Familie

Movie-Kritik: August: Osage County
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Im Verleih von Ascot Elite

Das spurlose Verschwinden des Schriftstellers Beverly Weston (Sam Shepard, «Die Akte») bringt seine Familie wieder zusammen, die – verteilt in alle Himmelsrichtungen – kaum noch Kontakt hat. Und schon bald wird klar warum. Gezwungenermassen vereint, hilft zunächst die Sorge um den Verbleib des Familienoberhaupts, die unter der Oberfläche schwelenden Konflikte zu unterdrücken. Als dann Beverlys Leiche aus dem nahegelegenen See herausgezogen wird, scheint auch die höflich-angestrengte Zurückhaltung nicht mehr nötig zu sein. Die bitterbösen Sticheleien, mit denen Beverlys krebskranke und tablettensüchtige Frau Violet (Meryl Streep, «The Iron Lady») ihre ganze Verwandtschaft und vor allem ihre drei Töchter Barbara (Julia Roberts, «Eat, Pray, Love»), Karen (Juliette Lewis, «From Dusk Till Dawn») und Ivy (Julianne Nicholson, TV-Serie «Criminal Intent») quält, erhitzen die Gemüter im ohnehin schwül-heissen Osage County in der Einöde Oklahomas. Beim Leichenschmaus eskaliert die Lage dann komplett und Barbara attackiert ihre Mutter sogar körperlich. Violets Fähigkeit, alle bis aus Blut zu reizen, zeigt aber auch, dass sie trotz des immensen Tablettenmissbrauchs noch vollkommen klar im Kopf ist. Ihrem Scharfsinn entgeht nichts, besonders nicht die Probleme, die jedes Familienmitglied mit sich herumträgt. Nicht einmal die Attacke scheint sie davon abzuhalten ihren Finger gekonnt auf die wunden Punkte der Betroffenen zu legen.

 

Bild 1: Da wirkt die Familie noch friedlich. Mutter und Tochter (Bild 2) gehen sogar zusammen spazieren. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Mit seinem zweiten Kinofilm «August: Osage County» wagt sich Regisseur John Wells («The Company Men») an das gleichnamige, Pulitzerpreis-gekrönte Theaterstück von Tracy Letts («Killer Joe»). Dass der Film die Adaption eines Bühnenstücks ist, merkt man ihm an und zwar nicht nur deshalb, weil Tracy Letts auch das Drehbuch verfasste. Die zeitliche und räumliche Begrenzung und die Interaktion der Schauspieler als Ensemble weisen deutlich daraufhin. Es ist kein leichtes Unterfangen, denn die Schwierigkeit besteht darin, eine Dynamik in die Geschichte reinzubringen, um das Gefühl des Statischen und Festgefahrenen, das durch den begrenzten Schauplatz hervorgerufen werden kann, aufzubrechen. Doch genau diese Begrenzung trägt hier sehr viel zur Atmosphäre des Films bei. Der Hauptplatz des Geschehens ist und bleibt Beverly und Violets Haus, das leicht heruntergekommen, abgedunkelt und überhitzt zum Austragungsort innerfamiliärer Machtkämpfe wird. Die räumliche Enge, die spürbare Hitze und die scheinbare Ausweglosigkeit, die dadurch entstehen, unterstreichen auf eindrückliche Weise die Situation und Gefühlslage der Protagonisten. Es ist eine angespannte Situation, jeder möchte am liebsten sofort wieder weg, die Probleme schwirren unausgesprochen in der Luft und arten schliesslich in Sticheleien und zynischen Bemerkungen aus. Die erdrückende Schwere ist beinahe greifbar, sie wird jedoch aufgelockert durch eine kräftige Prise schwarzen Humor, der durch ein gutes Timing und eine perfekte Dosierung den Rhythmus der Dialoge mitbestimmt.

 

Der Film lebt vor allem von den vielen unterschiedlichen Figuren, die ebenso viele Sorgen haben. Die Probleme werden zwar aufgegriffen, aber nicht wirklich vertieft. Was der Zuschauer zu sehen bekommt, ist ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben einer dysfunktionalen Familie, bei der alle zwar glauben ein Geheimnis zu haben und dieses vor den anderen verstecken zu müssen, doch meistens wissen viele der anderen Familienmitglieder bereits davon – oder besser gesagt – Violet bringt sie alle ans Licht. Dennoch führt diese Zusammenkunft zu keiner grossen Veränderung im Verhalten und Wesen der Beteiligten. Dieser Besuch wühlt für einen kurzen Moment das festgefahrene Leben der Figuren auf, ob daraus wirklich Neuanfänge und Veränderungen resultieren, lässt der Film schliesslich offen. 

 

Bild 1: Ganz so gelassen sind Barbara und ihre Mutter nicht mehr. / Bild 2: Die drei Schwestern.   

 

Die Geschichte mag nicht wirklich tiefgründig sein, dennoch wird sie durch das grossartige Ensemble sehr gut getragen. Besonders erwähnenswert ist der sich hochschaukelnde Machtkampf zwischen Violet und ihrer ältesten Tochter Barbara. Meryl Streep und Julia Roberts liefern eine starke Performance und wurden dafür für den Oscar in der Kategorie Beste Haupt- bzw. Nebendarstellerin nominiert. Aber auch die übrige Besetzung, die sich mit Juliette Lewis, Julianne Nicholson, Chris Cooper, Margo Martindale, Benedict Cumberbatch, Ewan McGregor, Dermont Mulroney und Abigail Breslin absolut sehen lassen kann, überzeugt im Spiel miteinander.

 

John Wells ist trotz der schwierigen Ausgangslage eine unterhaltsame Tragikomödie gelungen, bei der der Fokus auf der Beziehung zwischen den Figuren zueinander liegt und weniger auf der psychologisierenden Analyse der einzelnen Figuren und ihren Problemen. Der Film bietet keine wirklich spektakuläre Handlung. Doch das hohe schauspielerische Niveau und der ständige verbale Schlagabtausch, der das Tempo bisweilen sehr steigert, machen den Film dennoch sehenswert.

 

  • August: Osage County (USA 2013)
  • Regie: John Wells
  • Drehbuch: Tracy Letts
  • Darsteller: Meryl Streep, Julia Roberts, Juliette Lewis, Ewan McGregor, Sam Shepard
  • Laufzeit: 121 Minuten
  • Kinostart: 13. März 
Sule Durmazkeser / Di, 11. Mär 2014