Burn! Burn! Burn!

Filmkritik: On the Road
Bildquelle: 
Filmcoopi AG Zürich

Heute gilt die Bezeichnung «Hipster» als Beleidigung. Das war vor über 70 Jahren nicht anders. Damals galten junge weisse Nonkonformisten, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens viel Jazzmusik und Marihuana konsumierten, als Hipster. Deshalb hielten manche sie für Psychopathen, wie beispielsweise Norman Mailer. Gu,t haben sich einige Dinge zum Besseren gewendet. Die Rassentrennung wird heute nicht mehr toleriert und Jazzmusik hat sich zu einer anerkannten Musikrichtung etabliert. Die Hipster jedoch fallen immer noch in Ungnade. Höchste Zeit also, dass «On The Road», nach fünfzigjähriger Reise, der Schritt ins Kino gelingt.

 

Bild 1: Sal Paradies, wenn er im Schreibfieber ist. / Bild 2: Marylou, wenn sie sich in Ekstase tanzt. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Der Kultroman handelt von den Ur-Hipstern Jack Kerouac, Neal Cassady, William S. Burroughs und Allen Ginsberg. Sie alle gehörten einer literarischen Subkultur an, die sich «Beat Generation» nannte. Die Anhänger dieser Stilrichtung suchten ihren Weg fernab des Mainstreams, des Establishments und der Konventionen. Spontane, chaotisch anmutende, tabulose und experimentelle Texte waren das Resultat ihres Schaffens. Doch gerade die aussergewöhnliche Natur ihrer Werke führte dazu, dass die Romane und Gedichte als unverfilmbar gelten. Regisseur Walter Salles («The Motorcycle Daries») übernahm nun die heikle Aufgabe, Jack Kerouacs «On The Road» (Deutscher Titel: «Unterwegs») in ein massentaugliches Filmwerk umzugestalten. Eine knifflig Angelegenheit, wie uns der erste Satz verrät: «I first met Dean not long after my father died». Der Tod des Vaters wird nur in der Originalversion des Buches angesprochen, während Dean Moriarty - das Alter Ego von Neal Cassady - erst in der überarbeiteten Version auftritt. In dieser Version tragen die Personen nämlich Pseudonyme (Jack Kerouac = Sal Paradies, Allen Ginsberg = Carlo Marx, Willliam S. Burroughs = Old Bull Lee usw.). Ins Kino kommt nun eine Mischform der beiden Buchvarianten.

 

Sie zerbrechen letztendlich an ihrer eigenen Freiheit

 

Nach dem Tod seines Vaters verfällt Jungautor Sal Paradies (Sam Riley, «Control») in eine tiefe Depression und Schreibblockade. Der charismatische Lebenskünstler Dean Moriarity (Garrett Hedlund, «Troy») befreit Sal schliesslich wieder aus seinem tauben Zustand. Gemeinsam mit Deans nymphomanischer Ehefrau Marylou (Kristen Stewart, «Twilight»-Reihe) und weiteren Weggefährten wie Carlo Marx (Tom Sturridge, «The Boat That Rocked») stürzen sich die beiden Freunde in feurige Exzesse des Seins. Während dieser Zeit reisen sie mehrmals quer durch die Vereinigten Staaten. Von New York über Denver und New Orleans, bis nach San Francisco. Sie besuchen alte Kollegen wie Old Bull Lee (Viggo Mortensen, «Lord of The Rings»-Reihe) und machen neue Bekanntschaften mit Grazien wie der «Helena von Troya mit Hirn», Camille (Kirsten Dunst, «Melancholia»), die später sogar Deans zweite Ehefrau wird. Die jungen Wilden feiern ausschweifende Orgien, nehmen Drogen und haben dabei die Bücher der französischen Existentialisten immer zur Hand. Sie bestärken sich gegenseitig darin, anders zu sein, den konservativen Werten abzusagen und eigene, wahre Ideale leben zu wollen. Die Vorreiter politischer Hippies zerbrechen aber schlussendlich an ihrer Freiheit, die jegliche Form von Verantwortung ablehnt und somit die Beziehungen zerstört.

 

Bild 1 + 2: Die gesamte Truppe on the road. 

 

Jeder Charakter ist von einer eigenen inneren Unruhe verfolgt, an der er zu verbrennen und zerbrechen droht. Die Darsteller meistern diese Aufgabe allesamt grandios. Für Hedlund, Stewart und Mortensen könnten sogar ein paar Filmpreise und Nominierungen herausspringen. «Into The Wild» Kameramann Eric Gautier fängt die malerischen Weiten Amerikas während der Roadtrips derart virtuos ein, dass der gewollte Kontrast zu den kargen Wohnungen, in denen die Figuren hausen, von allein entsteht. Egal wo wir uns befinden und zu welcher Jahreszeit, die Kostüme, Requisiten und Kulissen sind allesamt immer handverlesen und äusserst umfangreich, was beeindruckend ist, denn das Produktionsbudget betrug lediglich 20 Millionen Dollar. Und obwohl die Filmemacher aus allem das Maximum holen, eckt die Verfilmung an. Die Adaption wurde für Kenner der Geschichte gemacht. Die Figuren werden weder romantisiert, noch als die erfolgreichen Begründer einer Gegenkultur dargestellt. Die Auswirkungen ihres Tuns oder ihrer Ideologien werden nicht adressiert, im Gegensatz zu anderen Filmen, die sich mit Künstlerfiguren und deren Werken auseinandersetzen. Andererseits bleibt der Film deswegen gerade seiner Vorlage schonungslos treu. Wie der Roman bildet der Film eine Momentaufnahme, zeigt die Figuren beim Ausleben ihrer Gesinnungen und Weltanschauungen. Nicht aber was ihre alternative Lebensführung ausgelöst hat, wogegen sie eigentlich rebellieren. Diese Geschichte will anders sein und sie ist es auch.

 

  • On the Road (FR, UK, USA, BR 2012)
  • Regie: Walter Salles
  • Drehbuch: Jose Rivera
  • Buchvorlage: Jack Kerouac
  • Besetzung: Sam Riley, Garrett Hedlund, Kristen Stewart, Kristen Dunst, Viggo Mortensen, Tom Sturridge
  • Dauer: 124 Minuten
  • Kinostart: 1. November 2012

 

 

Tanja Lipak / Mi, 31. Okt 2012