Prince Jelleh: «Ich kann keine glückliche Musik schreiben»

Interview mit Prince Jelleh
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In der Zeit der hoffentlich ausklingenden Corona-Pandemie blüht die Musikszene wieder auf. Prince Jelleh aus Winterthur bringen demnächst die EP «Porcelain» heraus und zeigen heute mit dem Song «In The Air» einen Song daraus. Wir präsentieren den Clip exklusiv zuerst. Aus diesem Anlasse haben wir mit Lukas, dem Songschreiber der Band, über den Song, die Arbeiten an der EP und über die direkten Auswirkungen der Corona-Pause auf die Band gesprochen.

 

Du singst im Song «In The Air» einige Zeilen vom Verlassenwerden und vom Teufel um dich herum, aber es wirkt, als ob die Worte nur Mittel zum Zweck wären, um die Emotionen zu triggern, die der Song hervorruft. War das Teil des Konzepts?

 

Nein, eigentlich nicht. Das ist eine spannende Art, um den Song anzuschauen. Ich schreibe Songs für mich selbst und so, wie es aus mit heraussprudelt. Oft beginne ich und kreiere lautmalerische Sachen, die später nochmals überarbeitet werden. Aber wenn es konkret um den Teufel in der Luft geht, löst das rein von den Worten her schon etwas in den Menschen aus. Daher kann ich verstehen, dass man es so empfindet. Aber es war nicht meine Motivation, die Zeilen als Mittel zum Zweck zu nutzen.

 

Vielleicht ist Mittel zum Zweck etwas hart ausgedrückt …

 

Nein, ich verstehe die Frage schon und finde die Idee spannend, bin aber nicht mit dieser Haltung an den Song ran. Ich arbeite konstant an Texten und Musik und meistens lasse ich Sachen stehen, wenn ich spüre, dass sie in mir etwas auslösen.

 

Vielleicht kann ich nochmals präzisieren. Im Song sind Gitarre und Schlagzeug so prägend, dass der Text etwas in den Hintergrund rückt. Vielleicht ist so der Eindruck bei mir entstanden.

 

Der Text war natürlich zuerst. Ich beginne praktisch immer mit dem Text und das Bandarrangement entsteht dann im Bandraum oder direkt beim Aufnehmen.

 

Bist du mit einer klaren Idee, was du ausdrücken möchtest, an den Song herangegangen?

 

Das kann je nach Song schon variieren. In diesem Fall war es sogar ein bestimmter Moment, auf den ich zurückschaute und dabei gemerkt habe, dass ich darüberschreiben möchte. Ich bleibe in den Lyrics gerne unklar. Das ist mein Style. Ich finde schade, wenn die Möglichkeit fehlt, dass Leute sich in einen Song reinfühlen und für sich interpretieren können. Dieser Text ist aber ziemlich klar eine Momentaufnahme. Ich war bei Kollegen und habe die Nachricht bekommen, dass mein Grossvater an Krebs im fortgeschrittenen Stadium leidet. Das ist jetzt schon länger her. Den Text habe ich zu schreiben begonnen, weil für mich rückblickend die Nachricht wie zum falschen Moment kam. Aber schlechte Nachrichten kommen nie zum richtigen Zeitpunkt. Man kann sich nicht auswählen, wann man damit konfrontiert werden möchte. Zu der Zeit fühlte ich mich allgemein sehr gut und die Nachricht hat mir den Boden unter den Füssen weggerissen. Der Text behandelt die Auseinandersetzung mit diesem Thema und auch mit dem Gefühl von Egoismus. Ich konnte für mich nicht verneinen, dass die Frage «Wieso jetzt?» auftauchte. Aber eigentlich ist mit Blick auf so eine Krankheit nicht so wichtig, was ich fühle. Das ist quasi die Idee hinter dem Song.   

 

 

Für mich ist immer wieder interessant zu beobachten, wie viel mit den Ideen und Songs passiert, wenn wir damit ins Studio gehen und zu arrangieren beginnen.

 

 

Der Song klingt ruhig und zeitgenössisch, spielt aber auch sehr bewusst mit Folk vergangener Zeiten. Hat hier der traurige Hintergrund eine Rolle gespielt?

 

Als wir mit den Aufnahmen losgelegt haben, war der Song weniger melancholisch. Er klang dreckiger, rockiger. Erst durch Entscheidungen in der Produktion haben wir gemerkt, dass die restlichen Songs uns in eine andere Richtung führen. So sind auch wieder Elemente in diesen Song zurückgekommen. Am Anfang standen die Drums und viel Leere im Vordergrund, was den Song kraftvoller gemacht hat. Dann haben wir mit dem Aufbau begonnen und gemerkt, dass es mega schön ist, wenn über den Beat eine Atmosphäre entsteht. Aber die war nicht geplant. Für mich ist sowieso immer wieder interessant zu beobachten, wie viel mit den Ideen und Songs passiert, wenn wir damit ins Studio gehen und zu arrangieren beginnen. Beim Schreiben kann ich das nicht planen. Ich habe an mich den Anspruch, dass das reine Konstrukt eines Songs, also Text, Akkorde und der Bogen so entworfen sind, dass alles sitzt.

 

Passiert diese Entwicklung des Songs innerhalb der Band oder kann auch mal ein Produzent im Studio mit guten Tipps helfen?

 

Beides. «Porcelain» ist die erste Produktion, bei der wir bewusst mit einem Produzenten zusammengearbeitet haben. Bisher haben wir uns selbst produziert. Dieser Punkt ist für uns also neu. Aber es hat gutgetan, Feedback zu bekommen und jemanden zu haben, der direkt mitkreiert. Das hat uns als Band vorwärtsgebracht. Man ist ja ebenfalls dabei und wirkt unmittelbar mit, so bleibe ich trotzdem mein eigener Produzent. Für mich ist ausserdem cool, dass ich Dinge ablegen kann. Wenn beispielweise Gitarre und Drums aufgenommen sind, kann ich mich auf meinen Part konzentrieren und nur Mitmusiker sein. Ich habe so eine andere Perspektive und kann allenfalls noch Ideen einbringen.

 

Exklusive Video-Premiere: Prince Jelleh - «In The Air»

 

 

Um nochmals auf «In The Air» zukommen. Wie anders klingt der Song im Vergleich zur ersten Fassung von dir?

 

Er hat sich sehr verändert. Als ich den Song bei mir hatte, war es ein sehr ruhiger Song. Aber irgendwann kam der Eindruck auf, dass man ihn auch fetter machen könnte. Also haben wir ihn so aufgenommen. Ich dachte: «Wow, das ist krass», aber es hat gepasst. Etwas später sind wir aber doch wieder melancholischer geworden und haben den Songs geerdet. Ich finde spannend, was mit dem Song passiert ist.

 

Die Visuals des Clips hat Videokünstlerin und Fotografin Hannah Gottschalk gestaltet. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?

 

Über unseren Produzenten Tillmann Ostendarp. Wir haben irgendwann eines seiner Konzerte besucht und dabei sind uns die schönen Visuals aufgefallen. So ist die Idee entstanden, keinen klassischen Clip zum Song zu machen, weil das gar nicht so richtig gepasst hätte. Also entschieden wir uns für Visuals und haben uns an die Bilder vom Konzert erinnert. Wir kannten aber Hannah Gottschalk nicht und konnten über Tillmann den Kontakt knüpfen. Für mich als Künstler ist es sehr angenehm, wenn ich jemandem die Ideen und Gedanken zu einem Song für die Arbeit geben kann, um zu sehen, was dabei entsteht. Aber eigentlich spricht der Song für sich, sodass wir Hannah ohne grosse Hinweise arbeiten liessen. Sie hat versucht, Elemente herauszuarbeiten, die aus ihrer Sicht passen. Für uns ist es sehr schön, zu sehen, was sie daraus gemacht hat.

 

Du hast vorhin erwähnt, dass «In The Air» den Grundton der kommenden EP «Porcelain» trifft. Bedeutet das, die EP wird auch ruhige Momente enthalten?

 

Nein, das nicht unbedingt. Wir machen schon keine Rockmusik. Aber für uns, die sehr stark von Folk kommen, ist die EP schon recht beatig. Es sind immer klar und bewusst gebaute Beats dabei. Die Musik ist schon eher melancholisch, aber das war unsere Musik irgendwie schon immer. Ich kann einfach keine glückliche Musik schreiben. (lacht)

 

Die EP muss in der Pandemie entstanden sein. Wie hat sich das auf die Arbeiten ausgewirkt?

 

Cool war, dass wir sehr viel Zeit hatten und uns diese Zeit auch bewusst genommen haben. Ein grosser Unterschied ist, dass wir nicht eine Woche lang ins Studio sind, um aufzunehmen. Das war entlastend, weil so nicht Druck entsteht, dass etwas entstehen muss. So macht man oft jene Dinge, die unbedingt sein müssen. Wir hatten jetzt die Zeit, um zu tüfteln und auszuprobieren, Elemente wieder zu verwerfen oder neue Sachen hinzuzufügen. Wir haben mehr Songs aufgenommen als wir für die EP benötigen. Was mit den restlichen Songs passiert, steht noch nicht fest. Das war für mich sehr cool, denn so ist im Studio erstmals ein kreativer Prozess entstanden und nicht nur die finalen Aufnahmen.

 

 

In meiner Corona-Höhle habe ich gar nicht so stark gemerkt, wie sehr ich die Bühne vermisst habe.

 

 

Wir hat die Arbeit an der EP die Dynamik in der Band verändert?

 

Das ist eine gute Frage. Es hat tatsächlich viel mit uns gemacht. Ich habe bei der Band gemerkt, dass sie begonnen hat, sich stark mit der Musik und den Songs zu identifizieren. Dass alle lange in den Prozess integriert waren, hat auch bei denen in der Band, die weniger am Songwriting beteiligt sind, recht viel ausgelöst. Sie fühlen sich viel mehr als Teil davon. Früher war ganz klar, dass ich die Songs schreibe. Das ist heute schon auch noch so. Aber zu sehen, dass die ganzen Arrangements auch ein kreativer Prozess sind, den man als ganze Band erlebt, hat uns zusammengeschweisst.

 

Also ein positiver Aspekt aus der Pandemie-Zeit.

 

(lacht) Das stimmt. Für mich ist sowieso die Produktion dieser EP das Positive, was aus dieser Zeit heraus entstanden ist. Ich bin auch sehr stolz, dass wir drangeblieben sind und Zeit investiert haben, sodass jetzt ein Produkt da ist, mit dem wir mega zufrieden sind.

 

Inzwischen sind ja wieder Konzerte möglich. Wie geht es bei euch weiter? Gibt es Pläne für Konzerte, Plattentaufe oder so?

 

Wir waren im Juni eine Woche auf Deutschland-Tour mit The Gardener & The Tree. Die Tournee wurde durch Corona etwa fünfmal verschoben. Daher wurde sie gesplittet und wir sind im August nochmals zwei Wochen unterwegs und dann auch über Deutschland hinaus im Rest von Europa. Wir haben daneben noch zwei, drei kleinere Konzerte geplant, wobei nach dem Release der EP schon noch mehr kommt. Die Plattentaufe wird sich noch etwas verzögern, weil die Plattenfirmen durch die Pandemie extrem langsam wurden. Es dauert lange, bis die EP geliefert wird. Das ist etwas mühsam und die Wartezeiten scheinen ewig.

 

Aber immerhin könnt ihr wieder auf die Bühne.

 

Das ist so und das gibt einem als Musiker mega viel zurück. In meiner Corona-Höhle habe ich gar nicht so stark gemerkt, wie sehr ich die Bühne vermisst habe. Klar, ist man sich bewusst, dass es nicht möglich ist. Aber wenn du den Moment schliesslich wieder erleben kannst, sind die Emotionen schon gross.

 

 

Bäckstage Redaktion / Fr, 19. Aug 2022