Rachel Sermanni bringt die Hafenkneipe zum Schweigen

Konzertkritik: Rachel Sermanni @ Hafenkneipe
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Bäckstage.ch / © Patrick Holenstein

Das Schöne an Konzerten ist, dass Musiker, die mit Leidenschaft auftreten, sofort das Publikum begeistern. Die Begeisterung muss dabei nicht zwingend in orkanartigen Applausstürmen ausufern, sondern kann sich ganz leise ausdrücken. So wie bei Rachel Sermanni in der Hafenkneipe. Ihr ist etwas gelungen, was vor ihr nur wenige schafften: die Leute zum Schweigen zu bringen. Den letzten Song ihres Sets spielte die zierliche Schottin nämlich komplett unverstärkt. Und so sang sie mit geschlossenen Augen und in der Hafenkneipe war es einfach still, keine störende Lärmkulisse wie sonst so oft, die Menschen hingen einfach an ihren Lippen, nicht einmal ein Glasklimpern hinter der Bar war zu hören.

 

 

So respektvoll hat sich das Publikum während des ganzen Konzertes verhalten. Man ist offensichtlich in die Hafenkneipe gekommen, um einer jungen Frau aufmerksam zuzuhören. Kaum bemerkt schlich Rachel so gegen neun Uhr auf die Bühne, griff sich eine Gitarre und strahlte. So bodenständig und natürlich sie in Jeans und einem schwarz-weiss gestreiften Pullover wirkte, so mühelos eroberte sie ihr Publikum. Sie sang von Alpträumen, erzählte von ihrer Schwester und deren Plänen, nach Deutschland zu reisen und sprach abwechselnd in Deutsch und Englisch. Wobei ihr Deutsch spürbar nicht einstudiert, aber durchaus sympathisch war. 

 

Nur mit einer Akustikgitarre auf der Bühne

 

Aber wieso funktioniert Rachel Sermanni auf der Bühne so gut? Hypothetisch gesehen dürften dabei zwei Faktoren zum Zuge kommen. Einerseits ist Sermanni eine geschickte Interpretin, die es extrem gut versteht, dem Publikum ein Gefühl  von Wertschätzung zu geben, indem sie ausstrahlt, dass sie es liebt, auf der Bühne zu stehen. Akustische Solokonzerte können leicht auch langweilig werden. Nicht so bei Sermanni. Andererseits versteht es Rachel musikalisch zu berühren. Indem sie mal laut und mal sehr leise singt und spielt, bringt sie viel Abwechslung in ihr Konzert und nutzt ihre dynamischen Möglichkeiten. Immerhin stand sie ganze alleine und nur mit einer Akustikgitarre auf der Bühne. Manchmal liess sie Stücke so sanft ausklingen, dass das Publikum wie hypnotisiert gar nicht realisierte, das der Song zu Ende war. 

 

 

Zum Schluss gab sie eine ungewöhnliche Zugabe. «I give you a 60 second Song», erklärte sie ohne einen Miene zu verziehen, hängte sich die Gitarre um den Hals und: eine Saite riss. Die kleine Panne brachte Rachel nicht aus der Ruhe. Sie schnappte sich eine andere Gitarre, bedankte sich aufrichtig bei der Crew der Hafenkneipe und spielte den angekündigten Minutensong. Danach lächelte sie noch einmal und nahm sich anschliessend viel Zeit, um Autogrammwünsche zu erfüllen und mit den Leuten zu schwatzen. Rachel Sermanni hat zwar (viel zu) wenige Leute in die Hafenkneipe gelockt, aber diese haben dafür eine charismatische und sympathisch verträumte Musikerin erlebt. 

Patrick Holenstein / Di, 20. Nov 2012