Eine Überlebende ihrer Zeit

Konzertkritik: Marianne Faithfull
Bildquelle: 
Promoshot

Text von Thomas Hügli

 

Eine alternde Dame, gezeichnet von Schmerzen, sitzend auf einem Sessel, den sie aus ihrem Wohnzimmer mitgenommen haben muss, daneben das Tischchen mit Leselampe, in Sichtweite ein Notebook, auf der Nase eine Brille, mit einer Hand abgestützt auf einem Stock mit silbernem Knauf. So präsentiert sich Marianne Faithfull, mittlerweile 72 Jahre alt, an diesem Abend, zum einzigen Schweizer Konzert auf ihrer Jubiläumstour. 50 Jahre ist diese Frau schon auf der Bühne. Im Leben hat sie nichts ausgelassen, auch nicht einen Unfall, bei dem sie sich vor 4 Monaten die Hüfte gebrochen hat. «Who cares anyway» banalisiert Marianne ihre treffenden Bemerkungen zur Vergangenheit, mit der sie längst ihren Frieden gemacht hat. Mit lauten Mitleidsbekundungen quittiert das Publikum die klagende Ansprache über den langwierigen Genesungsprozess. «Give me love to London» bemerkt Marianne beinahe flüsternd nebenbei. Die Jubelrufe schmettern ihr zu Füssen.

 

Die Akustik überzeugt von den ersten Tönen an und die Bandmitglieder bestechen augenblicklich mit der hohen Qualität ihres Spiels. Aus Mariannes Stimme klingt ein vergangenes Leben, die Texte und die Musik ihrer Lieder sind weich, sanft, traurig und von einer melodischen Melancholie umhüllt. «Broken english» singt sie wie der Engel der sie einst war. Ihre Stimme, ihre Musik und die Band sind ein Gesamtkunstwerk. Neben sich weiss sie hervorragende Musiker. Beneidenswert beherrscht Gitarrist Rob McWay seine Riffs, setzt sich mit Soli in Szene und nimmt sich genauso stark zurück. Elektronische Effekte, ein tragender Groove von Rob Ellis an den Drums und Mariannes rauhe, und dunkle Stimme, passend zu den nachdenklichen, altersweisen und oft ausweglosen Liedtexten.

 

Bitter-fröhlicher Sound aus den 60ern. 

 

Die Fans von Marianne Faithfull sind zahlreich, der Saal im Volkshaus fast bis auf den letzten Platz besetzt. Der grösste Teil der Konzertbesucher kennt die Künstlerin aus der Jugend. Die aufwendige Beleuchtung der Bühne, versprüht eine stimmige Atmosphäre, mal in tiefem Blau, dann wieder blutrot. Marianne Faitfull hat viele Geschichten zu erzählen. Als Musikerin hat sie immer mit den Besten zusammengearbeitet. Neben ihren Hits wie «As Tears Go By», geschrieben von Keith Richards und Mick Jagger, und dem Hippiesound «The Ballad Of Lucy Jordan», spielt Marianne einige Raritäten an diesem Abend. Den «Witches’ Song» liebt sie, diesen bitter-fröhlichen Sound aus den 60ern, genauso wie den «Lovesong», so zart wie der Moment eines Kusses. «You love all that tough shit» quittiert sie die Freudenjauchzer der Zuhörer. Zwischendurch muss Claudio ran, der den Tee nachfüllt und alles für Marianne am Set bereit hält, auch ihre «Zigarette electronic». Marianne lacht derweil über triviale Geschichte aus ihrem Leben und mit ihr das Publikum. Laut, schnell und aggressiv erzählt sie mit dem Song «Mother Wolf» die ganze Geschichte ihrer Wut auf die Menschen - «fuck them»! Hoffnung hat sie keine, schliesslich sei ihr Name Faithfull und nicht Hopeful.

 

«We have had sixty corners and now we have junky corners» mit diesem Zitat kündigt Marianne ihren Hit «Sister Morphine», ebenfalls von Mick Jagger und Keith Richards geschrieben, an und es wird eine ausgedehnte Version mit Soli aller Musiker. Ihre Stimme - in Höchstform, von der Band auf Händen getragen. «Throwing up and feel good» ist im Text zu hören und das ganze Erlebte blickt für einen Moment hinter der Fassade hervor. Die «swingin» 60iger, Zeit von Janis Joplin, Freddie Mercury, Jim Morrison und vielen Anderen verzweifelten und gefallenen Engeln. Marianne war eine von Ihnen und kann auf eine eindrückliche Karriere zurückblicken. «Lives goes until the end».

 

Bäckstage Redaktion / Mo, 27. Okt 2014