Die Mischung machts

Konzertkritik: Rock meets Classic 2016
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© Christoph Gurtner

Ein vielfältigeres Publikum als jenes der «Rock meets Classic»-Tour gibt es wohl selten. Kein Wunder, da prallen vermeintlich Welten zusammen. Welten, die sehr gut zusammen passen, aber doch ihre Eigenheiten haben. 

 

Die Pünktlichkeit zum Beispiel, passt wohl besser zum klassischen Teil, als zu den Rockstars. Zumindest an diesem Mittwoch-Abend im Hallenstadion. Auf die Minute fällt der Vorhang vor dem Bohemian Symphony Orchestra Prague, welches auch gleich zu spielen beginnt. Wer im Publikum seinen Sitzplatz noch nicht eingenommen hat, ist selbst schuld. 

 

E-Gitarren-Einschübe und Bilder von Rock-Grössen wie Paul Stanley, Steve Lukather oder Lemmy Kilmister läuten den Genre-Mix bereits ein, der schliesslich durch die eintretende Band verdeutlicht wird, die für den rockigen Teil des Abends sorgen wird. Vorne mit dabei: Mat Sinner, Bassist und musikalischer Direktor von «Rock meets Classic».

 

Alles geht Schlag auf Schlag bei «Rock meets Classic», und so betritt bald Steve Walsh die Bühne, welcher bis vor zwei Jahren für Kansas am Mikrophon stand. Einer deren berühmtesten Songs präsentiert er nun auch hier - «Carry On Wayward Son» von 1976. Der 64-jährige bewegt sich dabei wie ein ganz Junger, und die Stimme ist nach leichtem anfänglichen Zittern solide.

 

Weiter gehts mit Andy Scott und Pete Lincoln - Gitarrist respektive Sänger und Bassist von The Sweet. Andy Scott hat den berühmten Pony übrigens immer noch, nur jetzt ist er sehr viel heller. Im Gegensatz zum Publikum sind die beiden Musiker bereit für «Action» und den gleichnamigen Song. Die Frage ans Publikum «Are you ready for some party?» wird sitzenderweise mit «Ja» beantwortet, was ein bisschen paradox anmutet. Gegen Ende des Songs trauen sich die Zuschauer aber doch noch, sich von den teuren Sitzplätzen zu erheben. 

 

Doro rockt die Bühne 

 

Zeit für die einzige Frau dieses Abends (wenn man von jenen im Orchester und den Background-Sängerinnen absieht). Die unbestrittene Queen of Rock and Metal: Doro Pesch. Die kleine Frau vor dem grossen Orchester. Trotzdem zeigt die deutsche Sängerin wie immer eine riesige Bühnenpräsenz, und versucht das Publikum zum Mitmachen zu bewegen. Nur: Klatsch-Animation zu Geigen-Klängen? Manchmal ist weniger mehr, Doro! Die gerade veröffentlichte Single «Love’s Gone To Hell» und der um einiges ältere Warlock-Hit «All We Are» kommen dennoch gut an. 

 

«Nun kommen wir zu einem jungen Mann aus Los Angeles und einem noch jüngeren aus Belfast!», verkündet Mat Sinner. Gemeint sind Scott Gorham (65, nicht mehr ganz so jung) und Ricky Warwick (49, wohl tatsächlich einer der Jüngsten an diesem Abend) von Thin Lizzy. Auch hier wird das Publikum mit «Jailbreak» gleich mit Altbekanntem abgeholt. Es folgt «Rosalie», bevor auch diese beiden die Bühne schon wieder verlassen. 

 

Zeit, wieder ein bisschen Klassik pur einzubringen. Naja, ansatzweise. Das Orchester spielt nicht Beethoven oder Tchaikovsky, sondern ein «Star Wars»-Medley, dessen Takt der sichtlich aufgekratzte Dirigent mit einem Mini-Lichtschwert vorgibt.

 

Während das Publikum die Macht des Imperiums noch zu erfassen versucht, betritt der heimliche Star des Abends die Bühne. Dan MacCafferty - Gründungsmitglied und bis 2013 Sänger von Nazareth. Dass er diesen Posten aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, ist nicht zu übersehen. Umso bemerkenswerter, wie der Schotte dem Publikum mit einem Strahlen im Gesicht zuwinkt, welches ihn mit Standing Ovations empfängt. Sobald sich MacCafferty jedoch auf dem bereitgestellten Hocker niederlässt und zu singen beginnt, würde niemand daran denken, dass der 69-jährige an einer schweren Lungenkrankheit leidet. «Dream On» ist unerwartet kraftvoll und sorgt für Gänsehaut pur. Der Sänger gibt seine ganze Kraft in seine letzten Live-Auftritte und gibt sich sehr charmant, bevor er die Bühne langsamen Schrittes wieder verlässt. 

 

Midge Ure und «Vienna» 

 

Midge Ure kommt im Anzug - kein ungewöhnliches Bild des «Ultravox»-Sängers. Mit «Vienna» und «Hymn» bringt er wieder ein bisschen mehr Bewegung ins Publikum, und mit Funkenfontänen mehr Spektakel auf die Bühne, bevor es für alle in die Pause geht. 

 

Die zweite Hälfte wird vom Boss himself eröffnet. Mat Sinner performt mit seiner Band und im Duett mit einer talentierten Backgroundsängerin «Here I Go Again» von Whitesnake, was durchaus ankommt beim Publikum, welches mittlerweile auch so etwas wie mitsingt. 

 

Mittlerweile sind (fast) alle Gastsänger bereits einmal auf der Bühne gestanden, und so kommen die alten Bekannten von The Sweet wieder hervor. Andy Scott und Pete Lincoln performen «Love Is Like Oxygen», und «Ballroom Blitz», letzteres mit Headbanger-Unterstützung von Doro. 

 

Bei «Dust In The Wind» ist Steve Walsh sehr viel sicherer als bei seinem ersten Auftritt an diesen Abend, und während des Instrumental-Parts tanzt er - wahrscheinlich zu seiner eigenen grössten Freude - eng mit einer Background-Sängerin.

 

Auch eine Querflötistin hat während «Dancing In The Moonlight» (Thin Lizzy) einen grossen Moment im Rampenlicht, und als auch noch Midge Ure dazustösst und «The Boys Are Back In Town» angespielt wird, geht die Party auf der Bühne erst richtig los. Die Herren singen, tanzen und spielen und haben sichtlich den «most fun I had in years» wie Midge Ure es ausdrückt.

 

Er bleibt darum auch gleich auf der Bühne, um «Dancing With Tears In My Eyes» zu performen, und sich danach ein kleines bisschen selbst zu huldigen: «Some people say I’m the uncrowned prince of Scotland. Time to bring the absolutely king of Scotland - Dan MacCafferty!» Und der König kommt und singt «Where Are You» und rührt das Publikum fast zu Tränen.

 

«The Final Countdown» 

 

Nachdem das Orchester das epische «Game of Thrones»-Theme gespielt hat, wird es Zeit für den Headliner und einzigen Mann, den man an diesem Abend noch nicht auf der Bühne gesehen hat - Joey Tempest. Der Europe-Frontmann zieht dann auch eine für ihn typische Show ab und bringt das vor allem anfänglich zurückhaltende Publikum zum Toben. Zu «Rock The Night» und «Superstitious» springt er in die vorderen Zuschauer-Reihen, begrüsst und umarmt seine Fans. Tempest ist ein Showman durch und durch, post mit dem Mikrophonständer und übt sich in Schweizerdeutsch («Hoi mitenand») und das noch nicht mal schlecht.

 

Es folgen «Days Of Rock’n’Roll» aus dem neuen Europe-Album (man muss ja auch ein bisschen Werbung machen bei der Gelegenheit), «Carrie» und - das musste ja kommen - «The Final Countdown». Dirigenten machen ja schon von berufswegen eigenartige Kopfbewegungen - beim grössten Europe-Hit sieht das aber tatsächlich ein bisschen aus wie Headbangen, was der Orchester-Leiter da macht.

 

Nach dem obligatorischen Vorstellen der Band und frenetischem Applaus kommt Herr Tempest nochmals auf die Bühne, um «Ready Or Not» zu singen - ready für die Zugabe? Die kommt nämlich in Forn von allen - allen ausser Dan MacCafferty - und dem gemeinsamen Song «Rock and Roll» von Led Zeppelin.

 

Das Publikum tobt - inzwischen sitzt niemand mehr. Die Party ist vorbei. Sie wird bestimmt allen gut in Erinnerung bleiben, als Event mit grossen Namen, viel Spass und Gänsehautmomenten.

 

Rock-Legenden treffen auf ein populäres Orchester - eine Idee, die ankommt, und eine Umsetzung, die sich hören lässt. Für die saftigen Preise muss dem Publikum ja auch etwas geboten werden.
Schade ist nur, dass sämltliche Plätze bestuhlt sind - bestimmt würden einige Besucher lieber im Stehen mitrocken.

  •  Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Christoph Gurtner. 
Seraina Schöpfer / Sa, 23. Apr 2016