Der Schweizer in uns

Moviekritik: Stiller
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© 2025 Ascot Elite Entertainment.

Bei seiner Einreise in die Schweiz wird der US-Amerikaner James Larkin White von der Polizei verhaftet. Man wirft ihm vor, der vor sieben Jahren verschollene Bildhauer Anatol Stiller zu sein, was White empört zurückweist. So muss er hinter Gittern weilen, bis seine Identität abschliessend geklärt ist, und dabei kann selbst Stillers Noch-Ehefrau Julika nicht wirklich weiterhelfen. Im Verlauf der Geschichte wird White eine Wandlung durchlaufen, aber die entspricht nicht unbedingt seinen Wünschen.

 

Über Max Frischs Erstlingswerk «Stiller» wurde schon mehr geschrieben und geredet, als der Amazonas Papier und Sauerstoff hergibt. Nach Hörspielen und Theaterproduktionen liegt nun die erste Verfilmung vor. Kein einfaches Unterfangen, da der Roman in Tagebuchform auf 448 Seiten verfasst wurde. So lästerte manch einer im Schweizer Pressewald über Budget und Laufzeit. Doch dann wiederum schaffen es manche Grossproduktionen aus den Staaten nicht mal mit 180 Millionen Dollar und endlosen Stunden, auch nur eine einzige vernünftige Idee auszuloten. Ja, ich zeige auf euch, «Tron: Ares» und «One Battle After Another».

 

«Stiller ist manchmal besser»

 

Whites wilde Unternehmungen in Übersee, die weite Teile des Quellentextes beanspruchen, werden sinnigerweise nur angedeutet. Lieber konzentrierte man sich auf das Gerichtsverfahren und die mitunter pikanten Wechselbeziehungen der beiden Paare. Die von White und Julika, und jene von Staatsanwalt Rolf und seiner werten Gattin Sibylle. Dabei entzog man sich übermässigem Drama, was eine gewisse Nüchternheit befähigte, doch alles andere wäre weder Frisch noch der Stadt Zürich gerecht geworden. Stiller ist manchmal besser. Alleine das feine Schauspiel von Schuch (und Schelker) ist ein Genuss. Gemeinsam gelingt ihnen die Zeichnung einer sehr komplexen Figur. 

 

Herausgekommen ist ein kluger und feinfühliger, stellenweise gar zarter Film. Ich sehe mich an den Klassiker «Der Club der toten Dichter» von 1989 erinnert, da er ähnliche Themen wie etwa Selbstverwirklichung und Konformität vor dem Hintergrund der Fünfzigerjahre verhandelte. Im Hinblick auf die Generation Z verblüfft die unveränderte Relevanz des Stoffes daher nicht; auch sie treibt Fragen über gesellschaftliche Erwartungen, Identität und Ausbruch um. Gerade in der schönen Schweiz der Gegenwart, wo man gerne bis ans Lebensende auf die eigene Erstausbildung festgenagelt wird und das Konzept der Metamorphose tunlichst verpönt ist.   

 

Mit klarem Blick und wunderbarem Ensemble wagte sich Regisseur Stefan Haupt an einen Monolithen der Schweizer Literatur und entlockte ihm eine eigenwillige, aber runde Interpretation. Stellenweise etwas nüchtern, doch so geht Zürich nun mal.

 

  • Stiller, CH 2025
  • Regie: Stefan Haupt
  • Cast: Albrecht Schuch, Paula Beer, Max Simonischek, Sven Schelker
  • Laufzeit: 99 Minuten
  • Kinostart: 16. Oktober 2025

 

Mike Mateescu / Mo, 13. Okt 2025