Der König der Automaten

Konzertkritik: Stephan Eicher in der Tonhalle

Der Musiker betritt im weissen Hemd und schwarzen Gilet die Bühne, setzt sich ans Klavier und beginnt zu musizieren, umringt von seiner Automaten-Band, das sind: doppelt mannshohe Orgelpfeifen, ein Schlagzeug, ein Glockenspiel und Xylofon, welche während den ersten beiden Liedern noch stumm bleiben und dem Chansonnier Eicher die Bühne überlassen. Eichers Bühnenpräsenz und die Ehrerbietung des Publikums vor seiner langen, erfolgreichen Karriere geben dem Solisten die volle Aufmerksamkeit. Ab dem dritten Song fügen sich dann die Automaten-Instrumente ein - alle eigens für ihn gebaut - wie fast von selbst, und doch bestimmt ihrem Meister gehorchend. Wahrscheinlich gab es nicht wenige Zuschauer, die versuchten, dem Klang-Zauberer Eicher auf die Schliche zu kommen und rauszufinden, wie denn diese Maschinen angetrieben und gesteuert werden. Eicher hält sich zu deren Funktionsweise bedeckt und sagt nur, man müsse ihm auf die Füsse schauen, mit welchen er die Automaten grösstenteils steuere. 

 

 

Der Zirkusdirektor im Kreise der Automaten. (©Allblues)

 

Aber auch ohne das Geheimnis hinter den Automaten gelüftet zu haben, lässt sich das Konzert als grossartiges Gesamtkunstwerk geniessen. Eicher spielt sich quer durch seine Diskografie und bietet auch alle seiner grössten Hits zum Besten – «Les Filles Du Limmatquai», «Pas D’Ami», «Déjenuner en Paix», «Hemmige», «Weiss Nid Was Es Isch». 

 

«contemporary composition für die Tonhalle»

 

Eric Clapton verdankt eines seiner grössten Combacks dem «MTV-Unplugged» Live-Album und der grossartigen Version von «Layla». Genauso spannend fand ich die Neuinterpretationen, mit welcher Eicher im Zusammenspiel mit seinen Automaten vielen seiner Lieder neue Frische gab, ohne ihnen dabei ihre altbekannte Identität zu nehmen. Das spannendste und emotionalste an seiner Aufführung war jedoch, dass man als Zuschauer keine Ahnung hatte, was als nächstes folgen würde, quasi diese magische Art von Unberechenbarkeit. Eicher begann solo, akustisch an Gitarre und Piano, scherzte und plauderte mit dem Publikum und vermittelte eine herzlich-intime Atmosphäre. Plötzlich aber warteten Einsätze der Automaten auf, lichttechnisch eindrucksvoll untermalt, meist sanft beginnend und langsam zu einem eindrücklichen Klangteppich ansteigend und eine Eigendynamik entwickelnd, dass man sich zumal wirklich wie im Zirkus wähnte.

 

 

Eicher, wie man ihn kennt. Mit Gitarre und Gesang. (© Allblues)

 

Eicher, der Schweizer Star in Frankreich, einer von uns, in seinem breiten Berndeutsch, und gleichzeitig – und in dieser aktuellen Show mehr denn je – stets ein Mysterium, eine Zigeuner-Zirkus-Variété-Erscheinung, so dass es an diesem Abend niemanden wirklich erstaunen würde, wenn als nächstes ein indisch geschmückter Elefant die Bühne betreten und dann davonfliegen würde. Herr Eicher offenbarte dem Publikum, wie ihm sein Vater als Teenager ein Vierspur-Aufnahmegerät schenkte, mit welchem er dann in seine Klang-Universen abdriftete, aus welchen ihn nur seine Mutter mit «Stephaaan, ässä!» herauszureissen vermochte. Und immer, wenn er an diesem Abend seine Automaten auf eine Melodie und Rhythmus geeicht hatte und diese dann autonom dahinsprudelten und –stampften und ihm Raum für Improvisationen gaben, sprach er diese Worte dem Publikum zu «Stephaaan, ässä», um anzudeuten, dass er nun ein wenig abdriften werde. Und genau darin war die Magie des Abends begründet: Dem Gefühl, bei einer 120 minütigen Live-Performance dabei zu sein - wie in den wilden 70-er Jahren, wo Bands wie Deep Purple und andere Hardrock-Haudegen mit ihren Live-Alben verzückten – und die Ehre, an diesem einzigartigen und unwiederbringlichen Moment dabei gewesen zu sein. Zum Schluss arrangierte der Troubadour eine «contemporary composition für die Tonhalle», indem er das Publikum aufforderte, die Smartphones hervorzuholen, den Timer auf 3 Minuten einzustellen und die dann schrillend, hupend und bellend ertönenden Alarmsignale mit seinen menschlichen und automatischen Klängen verschmelzen zu lassen. 

 

Vor fast zwei Jahren – anlässlich des grossartigen Konzerts von Donavon Frankenreiter in Zürich – verglich ich das Dilemma des Konzertgängers mit Party-Einladungen (link: Donavon). Man wird zu zehn eingeladen, geht zu sieben hin, drei davon sind scheisse, zwei davon sind so-so-la-la, und zwei sind grossartig: Man fühlt sich als der glücklichste Mensch der Welt, so viel Freude, Freunde, Tanz und Glückshormone, man möchte die ganze Welt umarmen. Was tun? Sich an den mageren 20% der tollen Parties erfreuen oder sich über die 80% der kaum erwähnenswerten grämen? Stephan Eichers Konzert in der Tonhalle war endlich wieder so ein 20%-Glücksfall und untermauert ganz klar die Position, dass es die Durststrecken wert sind, die es bis zum nächsten Konzerterfolg zu überwinden gilt. («the best things in life don’t come so easily»). 

 

Das war schlichtweg grossartige, charmante, stilvoll-exzentrische Unterhaltung für alle Sinne! Stephan, keep us rockin! 

markusfreiwillis / Di, 19. Mai 2015