«McEnroe wollte im Grunde ein Rockstar sein.»

Interview zu «Borg McEnroe»
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© Tanja Lipak

Ende September eröffnete «Borg McEnroe» das 13. Zurich Film Festival. Für ein Interview in der Limmatstadt traf Bäckstage Regisseur Janus Metz und Hauptdarsteller Sverrir Gudnason. Die beiden Skandinavier erzählten offenherzig über ihre Bewunderung für Björn Borg, Parallelen des Films zu «Titanic» und «Star Wars» und wieso auch Sigmund Freud-Interessiierte Gefallen am Film finden können.

 

 

Ihr beide seid keine Schweden, habt aber einen Schwedischen Film über Björn Borg – dem Schwedisches Nationalheiligtum – gemacht.

 

Sverrir: Manchmal ist es einfacher, wenn man von aussen kommt und keine Innensicht mitbringt. Es ist gut, kommt Janus aus Dänemark, er sieht die Geschichte dadurch mit frischen, offenen Augen.

  

Was bedeutet euch Björn Borg persönlich?

 

Sverrir: Ich habe Björn nie live  spielen gesehen, schliesslich war ich erst 2 Jahre alt als er 1980 gegen McEnroe spielte. Aber als ich in Island aufwuchs war er ein grosser, bekannter Name in den Medien. Auch nachdem er aufhörte an Turnieren teilzunehmen, verfolgten die Medien ihn weiter.

 

Janus: Ich glaube es war diese Rivalität zwischen den beiden (Borg vs. McEnroe), die ihre Spure in meiner Kindheit hinterliess. Ich verfolge Sport nicht aktiv mit, ich finde ihn zwar sehr interessant aus ästhetischen Gründen, mir gefällt die Idee von Athleten und den grossen Sportereignissen und -Events. Ich schaue mir Sport gerne an. Als Filmemacher und Erzähler interessieren mich aber insbesondere folgende Dinge: «Was treibt eine Person an und was bringt sie dazu Glanzleistungen zu erzielen?», «Warum bringt ein gewisser Sportevent Menschen, die sich nicht sonderlich für Tennis interessieren, dazu einen vierstündigen Match zu verfolgen?» und «Wie werden sie sich danach daran erinnern?». Ein Event wird manchmal mehr als es selbst eigentlich wäre, weil es Menschen berührt.

  

Borg ist am Anfang des Films verängstigt. Die Medien und Sponsoren haben ihm sehr viel Selbstbestimmungsrechte weggenommen. Ergeht es auch im Filmgeschäft ähnlich?

 

Sverrir: Ich würde mich nie mit Björn Borg vergleichen, er ist immer noch viel berühmter und hat  mit einem anderen Druck im Leben umgehen müssen als ich. Aber ich habe auch in meinem Beruf einen gewissen Leistungsdruck wie wir alle und man muss halt einfach lernen damit umzugehen. Wichtig ist, dass es einem immer noch Spass macht. Es muss dir Spass machen, dann nimmt dich das Ganze auch weniger stark mit. Aber wenn du die ganze Zeit ans Verlieren denkst, dann muss du aufhören. Du brauchst einen gesunden Optimismus und Durchhaltewillen. Und ich denke bei Björn war dies irgendwie der Fall. Er hat immer gewonnen und gewonnen und es gab eigentlich nichts Neues für ihn als den Verlust.

 

Janus: Erfolg kommt mit einem gewissen Fluch, mit der Angst zu versagen oder zu verlieren. Die Angst vor der Niederlage ist für gewissen Athleten anspornender als der Gedanke der Freude beim Gewinn. Alle berühmten Autoren, die ich kenne, fürchten nichts mehr als den Tag an dem sie beurteilt werden, den Tag, an dem jemand kommt und sagt «Dein Schaffen war wertlos, du hast nichts enthüllt oder verändert». Du öffnest und ergibst dich komplett den Meinungen der Öffentlichkeit und hast Angst wie die Reaktionen ausfallen werden. Das ist ein angsteinfliessendes Szenario. Aber wenn man sich Björns Geschichte anschaut, merkt man dass es hier nicht schlicht um Eitelkeit geht, weil es im Leben schlimmere Dinge gibt als ein Spiel zu verlieren oder einen schlechten Film zu machen. Wobei es hier geht, ist die Furcht, dass einem die eigene Identität gestohlen und weggenommen wird. Aber diese Angst betrifft meiner Meinung nach nicht nur Sportler und Filmemacher, jeder kann sie auf unterschiedlicher Art und Weise erleben. Die Angst kann sich auch gegenüber einer Deadline äussern, wenn ich diese nicht einhalte und daraufhin meinen Job verlieren, kann ich nicht für mein Kinder sorgen und so weiter. Das sind normale Situationen, die halt bei gewissen Berufen in die Extreme getrieben werden aufgrund der vorhandenen Öffentlichkeit.

  

Wie verliefen die Vorbereitungen?

 

Sverrir: ich musste mich stark körperlich vorbereiten, weil ich sehr weit weg von einem Athleten war als ich die Zusage erhielt. Ich konnte kein Tennis spielen, ich war selbst noch nie auf einem Tennisplatz vor den Dreharbeiten. Also erhielt ich einen Personal Trainer und viel Tennisunterricht, um mich physisch auf die Rolle vorzubereiten. Björn verdiente viel Geld, auch nach den Turnieren. Mit der ganzen Unterwäschelinie beispielsweise. Ich sprach ihn zum ersten Mal an der Premiere des Filmes. Meiner Meinung nach wurden die Tennisspielen zu jener Zeit zum ersten Mal wie Rockstars behandelt. Geld floss im Tennisgeschäft und brachte einen gewissen Status mit sich. Aber trotzdem, sie hatten an den Flughäfen keine Sicherheitsleute und Entourage mit sich, wie heutzutage, sie waren in gewisser Sicht also verletzlicher. Ich denke, dies hat Björn nicht gerade gefallen. Er wollte Tennis spielen, aber nicht unbedingt eine Person des öffentlichen Interesses sein. Dies sieht man heute noch, er lebt sehr privat in Schweden. Er suchte das Scheinwerferlicht gewiss nicht.

 

Wie hast du reagiert, als dir die Rolle angeboten wurde? 

 

Sverrir: Ich war zunächst vorsichtig, weil Borg so eine Berühmtheit ist. Mich interessierte an diesem Projekt die Zusammenarbeit mit Janus und das wunderbare Skript. Weil es eben kein Sportfilm ist, sondern ein charakterfilm. Die Personen stehen im Vordergrund, nicht der Sport.

 

Janus: Ich glaube, das Wunderbare am Film ist, dass alle 120% gaben. Es ist ein Film über Menschen und über einen Wettkampf, zu dem jeder was zu sagen hat, ob richtig oder falsch. Dass wir Reaktionen einfangen werden, war klar und unvermeidbar. Wir haben gehofft dass die beiden erkennen, dass wir hier einen Schritt näher an sie heran wagen wollten, sie von einer Seite zeigen, wie sie noch niemand gesehen hat. Wir wollten eine psychologische, mentale Wahrheit erzählen und zeigen. Wir wollten die wahren Seelen hinter diesen antagonistischen, stereotypischen Charakteren wie sie die Presse darstellte, zeigen. Ihre menschliche Seite hinter den Klischees zeigen. Auf der anderen Seite mussten wir uns immer wieder daran erinnern, dass wir auch nur eine Abbildung dieser wahren Figuren abbilden, eine äussert angenäherte, aber immer noch nur eine angenäherte Abbildung.  

 

Wie schwierig war es, den Film zu drehen? Es gibt viele Zeitsprünge und wir erleben Borg und McEnroe in vielen verschiedenen Momenten ihres Lebens?

 

Janus: Es war die Struktur und die Poesie des Skriptes, dass es eben funktioniert. Aber ja die Struktur ist ziemlich kompliziert in diesem Film. Du wirst manche begeistern und andere wieder komplett entnerven. Aber genau diese Struktur und Erzählweise ermöglichte es uns einen Film zu drehen, der aus subtile Weise enorm intensiv ist. Die Charaktere werden wie eine Zwiebel Schicht um Schicht enthüllt. Von zwei Stereotypen wandeln sie sich langsam zu zwei menschlichen Wesen. Wir haben viel vom Skript noch am Set abgeändert und im Schneideraum auch nochmals. Oder wie es so schön heisst: du machst einen Film immer mehrere Male, du schreibst ihn, drehst ihn und schneidest ihn, und jedes Mal veränderst du ihn. Und on top kam bei diesem Film noch das Sound Design. Das war mir bei diesem Film enorm wichtig. Es nimmt dich mit durch einen dunklen Tunnel, umzingelt von psychologischem Druck und Angst. Dies auszubalancieren war die schwerste Schneiderarbeit, die ich jemals erbringen musste. Wir haben diesen Film gelinde gesagt 45 mal umgeschnitten, was viel ist. Normalerweise gibt es vielleicht 12-15 Schnittfassungen.

 

 

Am Ende des Films war ich in Aufregung, wer wohl gewinnen wird.

 

Janus: Wenn man sich an einen Film wie diesen heranwagt, muss man sich zunächst ein paar Eingeständnisse machen. Es wird nicht interessant sein, wer das Finale macht, weil der Ausgang weltweit bekannt ist. Es ist ein historischer Fakt. Gleichzeitig muss das Finale trotzdem so spannend wie möglich inszeniert sein, auch wenn man den Ausgang bereits kennt. Wir entschieden uns dafür, dies zu bewerkstelligen, indem wir das Publikum so weit wie möglich aus der Sicht der Charaktere erleben lassen. Wie es sich für Borg und McEnroe angefühlt hat, den Match zu spielen. Es geht schliesslich im Film nicht darum, wer am Ende gewinnt, sondern um den Prozess, den die Spieler in psychologischer Art und Weise vor  und während des Matchs durchgehen mussten. Es ist auch die Leere nach dem Gewinn, die mir wichtig war. Weil nach jedem Match ist vor einem anderen und irgendwann dreht man sich auch als Weltmeister im Hamsterrad. Du gewinnst, erhältst alle Medaillen und viel Geld, aber füllt dich das aus, macht es dich glücklich oder zu einem besseren Menschen?

 

Sverrir: Es ging ja auch nicht darum, ob und wie die Titanic sinkt, sondern wie es die Menschen – in den Fall Kate und Leo - auf dem Schiff erlebt haben. (lacht)

 

Wie siehst du die Beziehung zwischen Borg und McEnroe. Irgendwie ist McEnroe sein kleiner Padawan, es scheint fast so als wisse Borg wie es McEnroe in ein paar Jahren ergehen wird.

 

Sverrir: Sie wurden immer als die kompletten Gegenteile präsentiert, aber ich denke es sind vor allem sie zwei, die einander am besten verstehen können resp. die sich in die Haut des jeweils anderen am besten reinversetzen konnten. Du musst meiner Meinung nach aus einem gewissen Holz geschnitzt sein, um auf diesem Level spielen zu können und diesen Erfolgsdruck zu ertragen. Sie waren sich sehr ähnlich, aber jeder ist anders mit dem Druck und der Leistung umgegangen. Schön ist, dass sie im jeweils anderen mehr als den Gegner sehen konnte. Sie kamen sich näher und sind immer noch gute Freunde.

 

Janus: Das was du ansprichst, ist sehr wahr, es ist im Grunde eine Art Bruderliebe wie zwischen Geschwistern. McEnroe wollte Tennisprofi werden, nachdem er Borg spielen sah. Als McEnroe sein erstes Wimbledon spielte, war er angezogen wie Björn Borg.

 

In McEnroes Teenager-Zimmer hängen im Film zwei Poster an der Wand.

 

Janus: Ja, das eine Poster zeigt Borg und das andere Farrah Fawcett. Und McEnroe wollte im Grunde ein Rockstar sein. Er spielte zum Teil eine Rolle und verinnerlichte sie dann irgendwann auch. Er randalierte auf dem Tennisplatz wie Bands auf der Bühne randalieren. Er wollte sich mit den Rolling Stones anfreunden. Und das was mich besonders interessierte, ist die Frage, was McEnroe zu dem Charakter werden liess, der er wurde. Aus welchem Elternhaus er kam und wie ihn dieses prägte. Er hatte eine äusserst dominanten Vater und eine sehr ambitionierte Mutter. Dies bewirkte eine starke Orientierung an gewissen Gender-Rollen. Vielleicht kann man hier auch gewisse Parallelen zu Freunds Theorien ziehen. Es geht darum, was für ein Mann du sein musst, um für eine Frau attraktiv zu wirken.

 

Borgs Entdecker und Trainer Lennart Bergelin, im Film gespielt von Stellan Skarsgård, fungierte auch in gewisser Art und Weise als Borgs Vaterfigur, nicht?

 

Sverrir: Ja, er ist in gewisser Art sein Obi Wan Kenobi (lacht).

 

Janus: Ich glaube es gibt hier viele Vergleiche, die wir ziehen können aus dieser «Trainer - Champion»-Beziehung. Sie erinnert an Filme wie «Star Wars» oder «Karate Kid». Stellens Figur sah Borg in ihm gewisser Weise wie Mozart. Und Stellans Figur ist eine Art Salieri, er sieht dass Borg alles besitzt um den ultimativen Triumph zu erreichen, den er Bergelin nie geniessen konnte. Ihre Beziehung ist deshalb so intensiv und einvernehmend, weil sie beide um den dunklen Pakt wissen, den sie eingehen. Stellans Figur kennt die Dämonen, die dazugehören, wenn man der Beste werden möchte. Dies ist eine Haltung, die in Schweden nicht grundsätzlich vorkommt, keiner traut sich zu sagen, dass er der Beste sein möchte. Die gesellschaftlich erwünschte Antwort wäre es, gut zu spielen, gleichgut wie die Guten / Besten spielen zu können, nicht besser.

 

Sverrir: Oder zu sagen, dass man nur des Tennis wegen spielen möchte, aber nicht des Gewinnes wegen.

 

Janus: Es ist dieser schwedische Sozialstaat, der Machtkämpfe und Rivalitäten verachtet. Ganz im Gegenteil zur amerikanischen Kultur mit ihrem ganzen Individualismus und der Erwartung, dass man es schafft, wenn man sich genügend anstrengt. McEnroe hat ein Migrationshintergrund, sein Vater kam aus der Arbeiterklasse und hat sich hochgearbeitet, sich weitergebildet und hat seine Familie einen sozialen Aufstieg ermöglicht. McEnroe empfand also sicherlich diesen hohen Druck. Druck unters Radar, unter die Messlatte zu fallen, zu versagen, den Ansprüchen seiner Eltern nicht zu genügen. Wenn man sich McEnroes Verhalten auf dem Spielplatz anschaut, gleicht es sehr demjenigen eines Anwaltes. Es gibt falsch und richtig, es geht um den korrekten Sachverhalt und wenn dieser nicht korrekt ist, droht er ja zu klagen. Er forderte ein altes britisches System heraus, dass auf dem Gentleman-Prinzip bestand. Dort gibt es einen grossen kulturellen Clash. Es geht im Film eben darum, zu zeigen, wie unsere Gesellschaft zwei unterschiedliche Charaktere erzeugt, welche sich im Spiel begegnen und das Spiel verändern, weil es jetzt nicht nur eine Spiel für reiche Kids ist, sondern für jedermann. Für amerikanische Hotheads ist es auch nicht. Es geht auch darum wie unterschiedliche Gesellschaften unterschiedliche Konstrukte von Männlichkeit erzeugen.

 

Wie haben die beiden reagiert als sie den Film gesehen haben?

 

Janus: Borg hat der Film sehr gefallen, er war emotional sehr berührt als er ihn das erste Mal sah. Er war gerührt, weil wir eine Seite von ihm zeigen, die er schon lange den Menschen zeigen wollte. Er war sehr dankbar für den Film. Bei McEnroe war die Entzückung etwas zurückhaltender, es gibt ein Video auf YouTube davon. Seine Reaktion war sehr ambivalent. Er wünschte sich eine aus seiner Sicht mehr wahrheitsgetreuer Erzählung,  beschwerte sich, dass er nicht mehr einbezogen wurde. Dies überrascht mich, weil wir sowohl ihn als auch borg angesprochen haben. Er ist sehr über sein Erbe besorgt. Er füllt sich ambivalent zu jenem Charakter, der er mal war und statt sich zu wandeln, bleibt er lieber «in character». (lacht). Und wichtig ist für mich wie Leute reagieren, die sich McEnroes Meinung («es ist nicht wahr») anhören und dann ihre Meinung bilden. Logisch hat McEnroe eine verzerrte Wahrnehmung von früher. Wir alle haben das. Wenn mich ein alter Kollege beschreiben würde wie ich als Teenie war, würde ich mich eventuell auch dagegen wehren, weil sie mit meinem Wunschbild von damals, das ich mir zurecht gelegt habe, nicht übereinstimmt. Wir machten einen qualifizierten Film über seinen charakter, aber es ist auch unsere Story. McEnroe ist stur und er hat eine starke und profundierte Meinung darüber, wie er portraitiert werden sollte. Persönliche Interessen spielen hier mit.

  

Über was hast du mit Björn Borg gesprochen ,als du ihn an der Premiere getroffen hast?

 

Sverrir: Ich fragte ihn, wie er sein Haarband überstreifte und er machte es gleich. (lacht). Seinen Sohn traf ich während des Drehs. Leo ist sehr talentiert, sowohl als Schauspieler als auch im Tennis. Er war die perfekte Wahl für den jugendlichen Björn.

 

- Unsere Kritik zum Film «Borg McEnroe» 

 

Tanja Lipak / So, 05. Nov 2017