«Frauenrechte zu thematisieren hat sich organisch ergeben»

Interview mit Sascha Lara Bleuler
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Pressebild: © Michelle Ettlin

Zum fünfjährigen Bestehen des Human Rights Film Festivals Zürich wurden vor allem Dokumentarfilme zum Thema Kinder- und Frauenrechte gezeigt. Im Gespräch mit der kreativen Leiterin, Sascha Lara Bleuler, haben wir einiges über die Festival-Organisation erfahren.

 

Sascha Lara Bleuler, Sie sind Schauspielerin und kreative Leiterin des Human Rights Film Festivals. Sind Sie seit der ersten Ausgabe dabei?

 

Die Ausbildung zur Schauspielerin ist eine Weile her, das war vor dem Filmwissen- schaftsstudium an der Uni Zürich. Ich habe auch nicht sehr intensiv im Beruf gearbeitet. Nach Abschluss des Studiums habe ich sofort in Nyon am Visions du Réel zu arbeiten begonnen. Dann war ich in Tel Aviv, ebenfalls an einem grossen Dokumentarfilmfestival für die Filmauswahl zuständig und habe 2015 diese Anfrage erhalten von Léo Kaneman, der das Human Rights Film Festival in Genf gegründet und einige Jahre lang geleitet hat. Er hat mir angeboten, das Human Rights Film Festival in Zürich aufzubauen. Ich fand das sehr spannend, da ich bis zu diesem Zeitpunkt vor allem für die Filmauswahl zuständig gewesen war. Das mache ich natürlich noch immer, aber es ist einiges dazu gekommen. Ich kümmere mich zum Beispiel auch um das ganze Fundraising, damit das Festival stattfinden kann. Das Herzstück ist die Filmauswahl und die Panel-Zusammensetzung, aber ich mache auch anderes.

 

Werden am Human Rights Film Festival ausschliesslich Dokumentarfilme gezeigt?

 

Nein, wir zeigen auch Spielfilme. Aber es gibt einfach mehr Dokumentarfilme zum Thema Menschenrechte. Ich habe von Zuschauern auch schon gehört, dass sie es fast erwarten, dass Dokumentar- und nicht Spielfilme gezeigt werden, da sie an die Filme am Human Rights Film Fesitval den Anspruch haben, dass sie abbilden und nichts fiktionalisiert wird. Trotzdem zeigen wir jedes Jahr auch einige Spielfilme. Dieses Jahr ein paar aus Südamerika, zum Beispiel «Temblores», aus Guatemala. Der Film erzählt eine homosexuelle Liebesgeschichte und zeigt wie repressiv diese gesellschaftlich behandelt wird. «Maternal» ist ein argentinischer Spielfilm, der junge Mutterschaft und Abtreibung thematisiert. «Los Silencios» ist auch ein Spielfilm, der kreativ mit den Nachwehen des Bürgerkrieges in Kolumbien umgeht.

 

Was hat sich seit der ersten Ausgabe verändert?

 

Das Festival ist jedes Jahr gewachsen. Das Grundkonzept ist nach wie vor das gleiche – wir zeigen Dokumentar- und Spielfilme, die Anzahl hat zugenommen, im ersten Jahr waren es siebzehn Filme, jetzt sind es fünfundzwanzig Filme, mit den Schulvorstellungen. Diese wurden auch bereits im ersten Jahr durchgeführt. Daran liegt mir viel, dass wir die Schulen erreichen. Es ist toll, dass jährlich mehr Kids die Filme sehen. Viele Jugendliche sehen das Kino als pure Unterhaltung und haben noch nie etwas schwerere Filme gesehen. Es ist umso toller, dass sie sich am Human Rights Film Festival darauf einlassen und auch die deutschen Untertitel lesen, die wir zum Teil extra für die Schülervorstellungen machen lassen.

 

Wie entsteht das jährliche Festival-Programm?

 

Der thematische Überbau ist richtungsweisend und schränkt auch ein. Dazu suche ich gute Filme an verschiedenen Festivals, wie beispielsweise an der Berlinale. Wenn ich im Februar die Berlinale besuche, ist jeweils sehr schnell klar, welche Filme für uns in Frage kommen. Ansonsten schaue ich auch über Plattformen wie Festivalscope. Mir ist es wichtig, dass ich möglichst viele Filme auf Grossleinwand sehe und bestenfalls auch die Reaktionen des Publikums beobachten kann. Natürlich gehe ich immer ans Human Rights Film Festival Genf, welches auch immer eine tolle Auswahl an Filmen zeigt.

 

Besteht eine Zusammenarbeit mit anderen Festivals?

 

Wir achten darauf, dass sich nichts überschneidet. Die verschiedenen Festivals nehmen einander aber sicher das Publikum nicht weg, selbst wenn wir die gleichen Filme zeigen. Wir bilden eine Art Netzwerk, Programmierung und Finanzierung laufen aber unabhängig von einander.

 

 

Tatsächlich kann man momentan nicht überall auf der Welt künstlerisch hochstehende Filme machen.

 

 

Das diesjährige Festival hat Kinderrechte und Frauenrechte im Fokus. Wie sehr liegen diese Themen Ihnen persönlich am Herzen?

 

Da neben unserem fünfjährigen Jubiläum auch die UNO Kinderrechtskonvention ihr 30-jähriges Bestehen feiert, habe ich nach passenden Filmen gesucht. Der Eröffnungsfilm «Gods of Molenbeek» ist aus der Sicht von zwei 6-Jährigen Jungen erzählt und «Midnight Traveler» zeigt eine Fluchtgeschichte einer Familie, zum Teil auch von Kindern mit einem Mobiltelefon gefilmt. Dadurch kriegt die Zuschauer*in die Entwurzelung aus Sicht der Kinder gut mit. Frauenrechte zu thematisieren hat sich organisch ergeben. Im Menschenrechtsbereich hat man das Gefühl diverse Themen seien weit weg und würden nur Entwicklungsländer betreffen. Der Frauenstreik hat aber gezeigt, dass Themen wie Lohngleichheit, häusliche Gewalt und so weiter nicht gelöst sind. Es gibt viel zu tun, auch in demokratischen westlichen Ländern. Wir haben nie zu wenige Filme über Frauenanliegen oder von Regisseurinnen, wie das an anderen Festivals der Fall zu sein scheint.

 

Was muss sich in der Welt in Ihren Augen dringend verändern? Welches sind die brennendsten Themen, wo wir in den kommenden Jahren unbedingt hinschauen und dringen aktiv werden müssen?


Es gibt leider global gesehen verschiedene Brennpunkte, die nicht gelöst sind. Die Flüchtlingspolitik, und die damit zusammenhängenden Fragen nach der Solidarität, haben Dimensionen angenommen, die mich traurig machen. Wir sollten nicht darüber diskutieren, ob wir Menschen im Mittelmeer retten oder nicht. Ausserdem wird sicherlich die Klimaveränderung weiterhin ein Problem darstellen. Wir haben deshalb auch an jedem Festival mindestens einen Film zu diesem Thema im Programm. In Südamerika ist die evangelische Kirche am Erstarken und es gab immer wieder Filme, die dies thematisieren. Immerhin können sie dort aber noch Filme drehen. Aus manchen Ländern bekommen wir schlicht keine Filme, da das Regime zum Teil so repressiv ist. In der Türkei beispielsweise, ist es schwierig einen kritischen Film zu drehen. Oder aber dann sind die Filme sehr reisserisch, fast propagandistisch, auch aus linker Sicht, und kommen deshalb nicht in Frage. Tatsächlich kann man momentan nicht überall auf der Welt künstlerisch hochstehende Filme machen. Wir zeigen jedes Jahr auch einen Film zu Racial Profiling, der jeweils heftige Diskussionen auslöst.

 

Gibt es etwas, was Kunst nicht darf?

 

Im Menschenrechtsbereich stelle ich mir auch immer wieder die Frage, wieviel ein Film zeigen darf. Es gibt immer wieder Filme, die eindimensional sind oder sehr schlimme Dinge zeigen, wie Enthauptungen oder tote Kinder. Der Blick der Filmemacher*in ist entscheidend, wie das auf die Zuschauer*in wirkt. Ich bin zum Beispiel nicht der Meinung, dass man in einem Menschenrechts-Film grundsätzlich keine Leichen sehen darf. Tatsächlich werden an Festivals aber Filme gezeigt, die in einer respektlosen Art und Weise gemacht sind, reisserisch oder fast voyeuristisch. Diese Filme möchte ich nicht zeigen. Festivalprogrammierer*innen unterscheiden sich in diesem Punkt manchmal sehr. Manche sind der Meinung, gerade die schockierenden Bilder rütteln die Leute auf, und alles andere wird schneller vergessen.

 

Wurdet ihr einmal mit dem Vorwurf konfrontiert, die Festivalfilme würden Profit schlagen aus Notsituationen, in den sich Menschen befinden?

 

Nein, bisher nicht. Wir hatten einmal aber eine heftige Debatte zum Thema «Das Recht am eigenen Bild». Es ging damals um syrische Bürgerkriegsopfer. Ein Bild eines ertrunkenen syrischen Jungen, der mit dem Gesicht nach unten am Strand lag, ging um die Welt und wird hatten eben diese Diskussion mit verschiedenen Journalist*innen, die auch ganz unterschiedliche Positionen eingenommen haben. Ein syrisches Künstlerkollektiv war der Meinung diese Bilder würden syrischen Künstlern gehören und sollten nicht gezeigt werden. Der Ringier Chef und ein Reporter vom Blick vertraten die Meinung, andere Bilder würden gar nicht angeschaut, man müsse schockieren, um die Leute zu berühren. Innerhalb des Festivals wurden wir bisher aber noch nie kritisiert, dass etwas inhaltlich zu weit gegangen wäre oder ethisch problematisch sein könnte. Es sind Fragen, die sich beim Dokumentarfilm schnell stellen. Auch beim Eröffnungsfilm «Gods of Molenbeek» tauchten diesbezüglich Fragen auf – ist es ok, die Kinder zu filmen, wenn sie sich der Kamera irgendwann gar nicht mehr bewusst sind?

 

Mit Reetta Huhtanen, die ich interviewen durfte, habe ich auch darüber gesprochen und sie sagte mir, dass bisher keine negativen Reaktionen kamen.

 

Reetta Huhtanen verdient solche Kritik auch nicht, sie hört immer im richtigen Moment auf zu filmen und der Blick auf die Kinder ist sehr respektvoll. Als Filmemacher*in ist man natürlich sehr eingeschränkt, wenn der Grundsatz zählt, dass es nicht ok ist, zu filmen, sobald die Protagonist*innen die Kamera nicht mehr wahrnehmen. Genau das macht manchmal die Qualität eines Filmes aus, dass die Kamera dann fast unsichtbar wird. Ich bin nicht der Meinung, dass diese Frage in «Gods of Molenbeek» ein ethisches Grundsatzproblem darstellt.

 

Welches sind Ihre Lieblingsfilme?

 

Ich habe jedes Jahr Lieblinge, die ich extrem gut finde und um die ich sofort kämpfe, um sie am Festival zeigen zu können. Den Eröffnungsfilm habe ich gesetzt und den  Abschlussfilm «Midnight Traveler» finde ich ebenfalls ein Meisterwerk. Es ist schwierig zu Flucht und Migration einen Film zu machen, der nicht nur deprimierend ist. Die Familie schafft es, unter krassesten Bedingungen, ihre Reise von Afghanistan bis Deutschland zu dokumentieren. Oftmals ist es für Eltern von Kindern, die Traumatisches erleben mussten, sehr schwierig darüber zu sprechen, manchmal sind auch die Eltern selbst traumatisiert. Diese Familie ist aber dauernd am Sprechen und benutzt die Kamera als Gefühlkatalysator. Man hat als Zuschauer den Eindruck, sie verarbeiten das Geschehen so andauernd. Sie weinen, lachen und zeigen Emotionen. Dieser Film macht trotz allen Widrigkeiten viel Hoffnung.

 

Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht für das Human Rights Film Festival unterwegs sind?

 

Ich arbeite vor allem fürs Festival, aufs Jahr verteilt in einem 60%-Pensum. Im Sommer arbeite ich mehr, dann meistens bis 100% und in der low season mache ich vermehrt auch Moderationen für Filmpremieren. Filmkritiken habe ich eine Zeitlang auch geschrieben, das mache ich jetzt aber fast gar nicht mehr. In der ruhigeren Zeit schaue ich mir sehr viele Filme an, was viel Zeit und Kraft beansprucht, da es häufig sehr traurige Filme sind.

 

Viele Dank für Ihre Zeit und das spannende Gespräch.

 

 

Yolanda Gil / Fr, 13. Dez 2019