Moritz Bleibtreu: «Ich war ein wahnsinniger Tagträumer»

Interview mit Moritz Bleibtreu
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©Thomas Niedermueller/Getty Images for ZFF

Moritz Bleibtreu wagte sich an sein erstes Drehbuch und seine erste Regiearbeit für den Film Noir «Cortex». Mit welchem Psychoanalytiker sich Bleibtreu dafür beschäftigte, weshalb er notgedrungen die Hauptrolle übernehmen musste, wie gut es ihm mit dem Kommandieren vs. Delegieren am Filmset ergangen ist und weshalb er die Schauspielerei als Hohn empfindet, erzählte er uns am Zurich Film Festival. 

 

Im Film «Cortex» geht es um Träume und das Unterbewusste. Was bedeuten diese Themen für Dich persönlich?

 

Gegenfrage, hast du nicht auch mal was geträumt wo du aufgewacht bist mit dem Gefühl, dass dies ein ganz schön komischer Traum war?

 

Ja.

 

Das ist es, was mich daran fasziniert. Es gibt dieses spirituelle Element in unserem Leben, das wir alle kennen und auch akzeptieren. Im Gegenzug dazu gibt es die Religion, bei der sich die Menschen seit jeher streiten, ob es einen Gott gibt und wenn ja, welchen. Es gibt meiner Meinung nach sicher Parallelen zwischen unserer echten und unserer Traum-Realität. Diese Überschneidungen werden von gewissen Menschen negiert. Unsere Träume sind unser inneres Kino, das wir mit uns herumtragen und wenn wir uns schlafen legen, geht der Vorhang dieses Kinos auf. Wir erzählen uns Geschichten, die wir selbst erfunden haben und wir haben nicht die geringste Ahnung warum. Das finde ich faszinierend.

 

Hast Du dich dabei an Freud orientiert?

 

Vor allem an Jung. Den finde ich spannender im Bezug auf Träume. Dies ist auch eine Tradition in der Wissenschaft, die eingeschlafen ist, wie ich glaube. Seit Jung und Freud ist da gar nicht mehr wahnsinnig viel passiert. Alles was heute gemacht wird, stützt sich immer noch auf Freud.

 

Was war die Grundidee von Cortex und wie ist diese entstanden?

 

Warum hat noch nie einer einen psychologischen Bodyswitch gemacht? Wir kennen das Genre seit den 40er-Jahren, aber es ist dann immer auf die lustige Art und Weise erzählt. Ah, ich habe mein Geschlecht verändert oder bin nun du oder so. «Face Off» gab es noch, aber das war ein ungewollt lustiger Thriller. Was sich aber psychologisch dabei abspielt, das hat noch keiner wirklich thematisiert. Dabei finde ich dies psychologisch sehr naheliegend. Ich zum Beispiel habe mich in meiner Kindheit immer woanders hingeträumt. Ich war ein wahnsinniger Tagträumer, wollte meine Kindheit über nicht ich selbst sein, sondern der coole Typ aus der Parallelklasse oder Bruce Lee oder der coole Rapper. Ich glaube, es gibt niemanden, der noch nie Realitätsflucht betrieben hatte. Und gleichzeitig haben wir dies als Filmgenre vor uns liegen, aber ernst genommen als Filmmaterial hat dies noch keiner. Deshalb wollte ich es machen. Dann brauchte ich noch die Story: Der Eine träumt vom Anderen und wird zu Demjenigen. Und dann ging es los.

 

 

«Memento» war sicherlich die Initialzündung für die Narrative. Deshalb wird auch Christopher Nolan mit «Inception» und dem Kreisel zitiert.

 

 

Die hast gleich 4 Rollen inne bei diesem Film, Drehbuchautor, Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent.

 

Ich wollte nicht spielen. Ich wollte nur schreiben und inszenieren. Produzieren lag auf der Hand, weil ich bei meinem Dreh- und Regiedebüt auch die Entscheidungsgewalt haben wollte. Das Spielen war meiner Nicht-Erfahrung als Regisseur geschuldet. Mit Warner Brother erhielt ich relativ schnell eine Zusage und musste innerhalb von ein paar Wochen und Monaten die Crew casten. Wenn du mal das Geld hast, musst du dann auch parat sein. Ich habe niemanden gefunden, der mir sofort gefiel als Protagonist Hagen, weil ich den Fehler machte, ein Drehbuch ohne konkrete Darsteller im Kopf zu schreiben. Und bevor ich jemanden als Trost nehme, nehme ich lieber mich selber und muss mir die Fehlbesetzung selber vorwerfen. Das ist angenehmer. (lacht) Ausserdem war es produktionstechnisch sehr gut, weil wir den Bleibtreu ganz billig bekommen haben.

 

Und als du dann mit dir selbst als Hauptdarsteller auskommen musstest, wie bist du damit umgegangen?

 

Ich habe mehrmals betont, dass ich eine Fehlbesetzung und viel zu vital bin, nicht so aussehe wie ich mir den Hagen vorgestellt habe. Mein Filmpartner meinte dann erstaunt zu mir, dass wir doch unheimlich viele Parallelen hätten, der Hagen und ich. Und ich habe ihn nur verwundert angeschaut und gefragt «wo denn?» und er meine dann so «ja da und hier und dort». Ich war perplex und sah seine Punkte ein. Es ist klar, in dem Moment, wo du die Figuren ausdenkst, schöpfst du von dir selber und es bleibt immer ein Teil von dir hängen. Als ich die Gemeinsamkeiten zwischen Hagen und mir feststellte, konnte ich mich auch von meiner ursprünglichen Idee von Hagen lösen und mich eingeben.

 

Kannst du mir etwas über die stilistische Inspiration zum Film sagen? Es ist sehr düster, hat Elemente des Film Noir.

 

«Memento» war sicherlich die Initialzündung für die Narrative. Deshalb wird auch Christopher Nolan mit «Inception» und dem Kreisel zitiert. Nolan hat die Erzählstruktur im Kino komplett auf den Kopf gestellt. Das war eine ganz wichtige Initialzündung für mich. Ich mochte dies schon immer gerne in der Literatur, wenn ich als Leser von Autoren auf die falsche Fährte gelockt wurde. Gleichzeitig kommt dies im Film nicht so häufig vor und sowas wollte ich unbedingt machen. Es ist sehr anstrengend sowas zu schreiben, da du nicht emotional schreibst, sondern mehr in Richtung Doku. Es ist ein bisschen Fleissarbeit. Aber mir macht dies als Zuschauer sehr viel Spass. Und ich wollte mit «Cortex» – wie Tarantino dies im US-Kontext bereits sagte - einen Film machen, den ich gerne mal auf der deutschen Leinwand gerne sehen würde.

 

Hast du einen anderen Blick auf die Arbeit von Regisseuren?

 

Nicht wirklich. Ich sehe es wohl ein wenig klarer, sehe die Art und Weise wie man diesen Beruf ausüben kann, klarer vor mir. Und ich sehe klarer, was für eine Art Regisseur ich bin.

 

Was für einer bist du denn?

 

Ich bin kein Regisseur, der Dinge an sich heranzieht à la «Ich will dies genauso machen und nicht anders». Es gibt aber schon Regisseure, die gerne kontrollieren und durch diese egozentrische Art wurden auch einige wunderbare Filme gemacht, jedoch sehe ich mich eher in einer Spielberg-Tradition. Nicht, um mich mit ihm zu vergleichen, sondern ich meine die Art und Weise, wie er seine Filme macht. Spielberg ist nämlich einer der delegiert, der guckt auch nicht 100-mal drauf, was seine Darsteller machen, er weiss, dass sie es können. Aber auch die Kameraleute und so weiter. Spielberg hat sich über die Jahre eine hervorragende Crew zusammengewürfelt, die super gut ist und gerne und viel mit ihm Filme dreht. So dass er gar nicht mehr viel kontrollieren und dirigieren muss. So würde ich mich auch gerne als Regisseur sehen. Und ich weiss, dass ich meinen Namen auch viel zu verdanken habe. Wenn ein junger Filmhochschüler aus Ludwigsburg mit dem Stoff angekommen wäre, hätten sicherlich auch alle geraten, mal mit einem Kurzfilm zu beginnen. (lacht) Ich habe mit meinem Namen viel Vertrauen erfahren und konnte diesen Film drehen, dies war ein riesengrosser Vorteil. Mein Kameramann Thomas Kiennast war mir bei den Dreharbeiten eine enorm grosse Hilfe, weil während meinen Szenen als Schauspieler, die Regiearbeit an Thomas abgeben konnte.

 

Die Musik im Film generiert ebenfalls eine sehr eigenartige Atmosphäre, kannst du uns hierzu mehr verraten?

 

Hier musste ich ebenfalls sehr viel lernen. Zum Beispiel, dass deine Taschen als Regisseur sehr gut gefüllt sein müssen. So ein Film ist wie ein Flugzeug, wenn es mal in der Luft ist, kannst du nicht nochmals runter und eine Dose Thunfisch holen. Musik ist sicherlich etwas, dass ich bei einem weiteren Mal anders behandeln würde. Die Musik war sehr schwierig und da hat uns der Erwin Kiennast, der Vater von Thomas, gerettet. Der hatte einen anderen Zugang. Er hatte die Idee mit dieser erdigen, naturverbundenen Musik. Er hat Chöre verwendet. (lacht) Vorher war die Musik dem Inhalt untergeordnet, aber der Erwin hat einen Anachronismus geschaffen. Tibetanische Klangschalen und viele analoge Instrumente. Der Soundtrack riecht nach Erde und Grab und Würmer. Und ich weiss, dass ich da noch sehr viel lernen kann als Regisseur im Bezug auf den Umgang mit der Musik.

 

 

Es ist Realitätsflucht und es ist Luxus, du darfst für eine bestimmte Zeit jemand anderes sein und darfst dich wie die Axt im Wald verhalten, verkaufst es den Leuten als künstlerische Metamorphose und die bringen dir dann noch «Kafi».

 

 

Wie bist du an die Bildsprache herangegangen, an die Metamorphosen und Effekte? War da bereits sehr viel im Drehbuch beschrieben, hattest du dies bereits im Kopf oder entstand dies während dem Dreh oder dann in der Postproduktion?

 

Schon auch sehr stark in der Vorbereitung. Das Ganze war viel realistischer geschrieben, aber wir haben recht schnell gemerkt, dass es so irre ist, dass wir eine Überhöhung oder einen entfremdenden Look gönnen müssen, damit man dafür bereit ist, sich auf diese Story, auf dieses Universum, einzulassen. Der Look ist mit allen Departements entstanden. Ausstattung, Kostüme und auch mit Thomas, unserem Kameramann. Und als ich die ersten Kostüme sah, habe ich schnell gemerkt, dass dies weiter weg ist von dem, was ich sehe, wenn ich in Hamburg vor die Tür schaue, aber das wollten wir auch. Ich mag die Art von Kino auch. Ich mag den Mut zur Stilisierung. Ich mag es, wenn mich Kino wegnimmt von der realen Welt.

 

Einige Szenen erinnerten sehr an beispielsweise Gemälde von Dennis Hopper.

 

Absolut. Wir haben uns gerade in der Visualität nicht so sehr an filmischen Vorbildern orientiert, sondern vielmehr an Sachen in der bildenden Kunst.

 

Gab es für dich einen Aha-Moment während der Dreharbeiten? Etwas, das dir vorher nie aufgefallen ist?

 

Als Schauspieler machte ich die Erfahrung, dass die Filme gerne als «Moritz Bleibtreu»-Film abgestempelt werden, auch wenn ich weder die Geschichte noch die Inszenierung verantwortet habe. Also dachte ich mir: «Okay, irgendwann mache ich einen Film voll nach meiner Vorstellung, dieser Film kann sich dann «Moritz Bleibtreu-Film» nennen lassen». Und das ist der grösste Denkfehler, weil du dies als Autor und Regisseur auch nicht tust. Du machst im besten Fall einen Film, den alle gemacht haben. Für mich war dies das Schönste. Es gibt diese Idee oder Vorstellung und der fertige Film, ist dann etwas völlig Anderes und trotzdem meins. Dies ist ein riesengrosses Geschenk, weil alle die am Film beteiligt waren, einen Teil von sich mir und meiner Vision geschenkt haben. Und dies ist eine unheimlich romantische Vorstellung. Ich habe gelernt, dass das fertige Produkt nie so werden kann, wie man es sich zu Beginn als Autor ausgedacht hat. Dazu muss man ein bildender Künstler werden, mit einer Leinwand und mit einem Pinsel. Dann kannst du es so machen wie du willst, aber ansonsten ist Film immer Teamwork. Man muss alle miteinbeziehen. Wenn ich alles nur nach meinem Kopf haben möchte, muss ich niemanden engagieren, aber dann kriege ich auch nie einen Film fertig. Der schlechteste Ratschlag, den ich je erhalten habe, ist zugleich auch der wichtigste. Übrigens auch so eine Standartfloskel von Regisseuren: «Mach keine Kompromisse». Wenn du mich fragst ist es das Dümmste, das man sagen kann, denn du kannst nicht keine Kompromisse machen. Das geht nicht. Filmemachen ist ein ständiger Kompromiss. Von morgens aufwachen bis abends ins Bett fallen, es ist ein ständiger Kompromiss. Wenn du nicht bereit bist, von dem wegzugehen, was du dir vorgestellt hast und das Neue anzunehmen, dann wird es schwer. Das kann auch funktionieren, du machst dir aber viele Feinde und du schläfst nachts sehr schlecht und es wird sehr anstrengend.

 

Hast du nun nach diesem Film nie mehr das Bedürfnis jemand anderes zu sein?

 

Es ist viel eher so, dass diese gesellschaftliche Realität Teil meines täglichen Lebens ist. Das Geile ist, dass ich dafür bezahlt werde, jemand anderes zu sein. Das ist auch der Grund weshalb Menschen den Schauspielerberuf auf eine merkwürdige Art und Weise lieben. Weil uns das innewohnt. Ich wusste immer das ich Schauspieler werden will, weil ich geprägt wurde von der Schauspielerei. Meine Mama hat mir ein Buch von Lawrence Oliver geschenkt, da war ich 5 oder 6 Jahre alt. Das waren über vier Seiten lang kleine passfotogrosse Fotos, die verschiedene Rollen zeigten, die er gespielt hat, wie Otello, Macbeth, Richard, Goethe usw. Ich war davon komplett fasziniert, dass dieser Lawrence all diese Menschen, diese Leben, verkörpern durfte. Das wollte ich machen. Es ist Realitätsflucht und es ist Luxus, du darfst für eine bestimmte Zeit jemand anderes sein und darfst dich wie die Axt im Wald verhalten, verkaufst es den Leuten als künstlerische Metamorphose und die bringen dir dann noch «Kafi». Und du wirst dafür bezahlt und bekommst im besten Fall noch einen Preis. Es ist eigentlich das Ungerechteste, das es auf der Welt gibt. Wenn ich den Beruf nicht hätte, würde ich mich hie und da mal in andere Leute reinträumen wollen. Aber dadurch, dass ich ständig ein anderer sein darf, bin ich auch gerne der Moritz. Tolles Schlusswort, oder?

 

 

Tanja Lipak / Di, 27. Okt 2020