Florian Gallenberger: «Die Prinzessin rettet den Prinzen»

Interview mit Florian Gallenberger
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© Tanja Lipak

Während des letztjährigen Zurich Film Festivals traf Bäckstage den «Colonia»-Regisseur Florian Gallenberger zum Interview. Der deutsche Filmemacher erzählt über seine erste Begegnung mit der Colonia Dignidad in seiner Kindheit, der detektivischen Anpirscharbeit an die Mitglieder der Sekte, warum Emma Watson für ihn eine helle Energie ausstrahlt und was ihm sein innerer Widerstandsteufel über die Schweiz sagt.

 

Herzliche Gratulation zum Film. Wahnsinnswerk. Die Pressevorführung endete grad vor 30 Minuten. Sag mal wie bist du eigentlich zum Thema gekommen?

Vielen Dank, das freut mich zur hören (lacht). Ich habe als Neunjähriger zum ersten Mal in der Schule von der Colonia erfahren. Unsere Lehrerin hat eine Fernsehreportage darüber gezeigt. Ich kam sehr wütend nach Hause und habe meiner Mutter erzählt, dass in Chile Leute gegen ihren Willen festgehalten und missbraucht werden. Ich wusste nicht was Chile ist als Neunjähriger (lacht), aber dieser kindliche Zorn, der in mir wegen dieser Ungerechtigkeit war, war nicht zu bremsen. Und vor 6 Jahren habe ich dann per Zufall über die Colonia gelesen und in meinem emotionalen Gedächtnis war diese kindliche Wut noch da. Mit jedem Schritt, den ich tiefer in die Materie gegangen bin, wurde es spannender. Die wahre Geschichte der Colonia hat sich in eine unglaubliche Geschichte offenbart. Ich habe 3 Jahre mit detektivischer Anpirscharbeit an die Sekte verbracht. Man kann nicht einfach hingehen und sagen «Hallo ich mach‘ einen Film über euch, erzählt doch mal wie das gewesen ist». Es hat lange gedauert bis eine Gruppe der jüngeren Colonos Vertrauen zu mir aufgebaut hat. 

Hattest Du bei dieser Detektivarbeit keine Angst?

Ich hatte Glück. Bei der Premiere meines letzten Films «John Rabe» in Portugal, gratulierte mir nach der Vorführung ein Herr und es stellte sich heraus, dass er der chilenische Botschafter in Portugal ist. Als ich ihm von meinen Recherchearbeiten erzählte, meinte er, ich solle am nächsten Tag zu ihm in die Botschaft kommen. Er lud dann verschiedene Leute, die sich mit dem Thema auskannten, nach Lissabon in die Botschaft ein und seine Frau, eine Deutsche, die in Santiago gearbeitet hat, gab mir eine Liste von Menschen, die sich vor Ort mit diesem Thema befasst hatten. Letztlich habe ich über diese Kontakte einen Drehort gefunden, das heisst ich bin mit Leuten die Vertrauen mit den Menschen dort aufgebaut hatten, hingefahren. Dies hat mir das Ganze enorm erleichtert. Andererseits ist es für die Betroffenen nicht einfach, darüber zu sprechen. Es hat Jahre gedauert, bis dieser Kreis aus Unterstützern wirklich alles ausgepackt hat. Sie haben mir gesagt es wäre für sie wie eine Befreiung gewesen, über die Geschehnisse zu sprechen. Wir hatten auch einen Berater/Experten vor Ort, der darüber wachte, dass alles authentisch umgesetzt wurde. 

Wie kamst Du auf die Idee, die Geschichte aus der Sicht von Lena und Daniel zu erzählen?

Ich wollte sehr viele Menschen mit diesem Thema erreichen. Meiner Ansicht nach ist es ein Thema, über welches die Menschen zu wenig wissen. Ich wollte eine wenig Licht drauf werfen. Wir wollten einen mainstreamigen Film machen, der spannend ist und der den Leuten an erster Stelle mal ein Kinoerlebnis bringt. Ich wollte auch keinen Film machen, der die Colonia erklärt, sondern den Leuten vermitteln, was es hiess in dieser Colonia zu leben. Von daher kam dieser Gedanke, normale Menschen ins Zentrum zu stellen und durch deren Geschichte dieser Form der Unterdrückung und Unterjochung ausgesetzt zu werden. Jeder Zuschauer soll nach dem Film selber entscheiden, ob er nachher noch über die Geschehnisse googeln will oder er dies einfach als Unterhaltung ansieht. So ist diese Verheiratung von ernsthaftem Thema und Thriller gemeint.  Zum einen war mir das Thema wichtig und ich wollte, dass die Geschichte erzählt wird und dass es dann möglichst viele Leute einlädt, sich damit zu beschäftigen, aber das muss jeder selbst machen. Es soll keine Lehrstunde über die Colonia Dignidad sein.  Die wichtigen Hauptfiguren sind fiktiv, aber die Einzelnen Hauptelemente sind menschenbasiert. Es gab dieses Stadion, wo das Militär die Leute aussortiert, und die Geschehnisse in der Colonia auch.

 

Warum hast du die Hauptrollen mit Daniel Brühl und Emma Watson besetzt? 

Daniel war immer Daniel, also Daniels Rolle war immer Daniel, deswegen heisst er auch im Film Daniel (lacht). Ich habe die Figur für ihn geschrieben. Ich kenne Daniel schon lange, wir haben in Berlin lange in derselben Strasse gewohnt. Ich hab mir gewünscht, dass die Heldenfigur ein heller Charakter ist und diesmal ist es ja anders, denn die Prinzessin rettet den Prinzen und nicht der Prinz die Prinzessin. Ich meine das jetzt nicht esoterisch, aber Emma hat eine helle Energie. Und diese Colonia ist ein furchtbar dunkler Ort. Dies spürt man noch heute, es zerrt wirklich an den eigenen Nerven. Ich wollte einfach, dass diese helle strahlende Energie an diesen dunklen Ort kommt und gleichzeitig wollte ich jemanden, der fragil, verletzlich ist, aber trotzdem eine grosse Entschlossenheit zeigt. Emma Watson ist bekannt dafür, für ihre Überzeugungen zu kämpfen und sich ihrer Sache zu widmen. Insofern hatte sie die entscheidenden Eigenschaften. Die Entschlossenheit, die Verletzlichkeit und diese helle Kraft, deshalb war sie für mich die Richtige.

 

Warum spielen deine Filme in Mexiko, Indien, China und jetzt eben Chile? Was reizt dich an diesen Ländern?

Ich hab mich selbst immer gefragt, warum es immer von hier aus gesehen am Ende der Welt sein muss. Aber für mich ist das Finden einer Geschichte, die ich erzählen will, kein bewusster Prozess. Ich kann dies nicht bewusst steuern. Es gibt für mich immer diesen einen Moment, «Wow» (schnipst mit den Fingern), und dann weiss ich, ich will das machen. Und wenn dies dann in Chile oder Mexiko oder China ist, dann ist es halt da und das Leben richtet sich danach aus.

 

(schnipst mit dem Finger): Und gab es den Moment schon für dein nächstes Projekt?

Uh nein (lacht). Ich bin grad dabei, ein wenig aus dem Film zu kommen und zu schauen, ob es die Welt noch gibt. So ein Film vereinnahmt einen komplett und es waren harte 18 Monate am Stück. Es braucht jetzt zunächst ein Durchatmen und ein normales Leben und dann wird das nächste Projekt schon kommen.

 

Wenn Du in der Schweiz einen Film drehen würdest, was würdest Du machen?

Ich kenne die Schweiz nicht sehr gut, aber wenn man in der Schweiz ist, ist alles so unglaublich schön und so unglaublich perfekt, dass einen unwillkürlich (schnipst mit dem Finger und lacht) das Unperfekte hinter dem Perfekten interessieren würde. Dafür kenne ich die Schweiz zu schlecht, um aussagen zu können, was hier unperfekt ist, aber das Bild, das alle von der Schweiz haben, ist, dass alles wunderbar ist, da sagt mein innerer Widerstandsteufeln «Ne, da muss es etwas geben, das unperfekt ist». 

 

  • Der Film «Colonia» läuft aktuell im Kino. Unsere Kritik gibt es hier

 

 

Tanja Lipak / Mi, 24. Feb 2016