«Das Schwierige war, die Wahrheit herauszufischen»

Interview mit Dominic Cooke
Bildquelle: 
© Tim Huges for Zurich Film Festival

Regisseur Dominic Cooke nahm sich am Zurich Film Festival Zeit, um mit uns über seinen neuen Film «The Courier» zu sprechen. Er veriet dabei, was er von seinen Reisen über Russland erfuhr, wie unterschiedlich sich die beiden Hauptdarsteller auf ihre Rollen vorbereiteten und weshalb Frauen immer schon geheime Strategien am Arbeitsplatz aushecken mussten.


Die Filmkritik zu the Courier findet ihr hier.

 


Dein Film ist sehr faszinierend. Zum einen ist es eine politische, aber zugleich eine zutiefst menschliche Geschichte. Wie hast du diese beiden Ebenen ausbalanziert?


Sehr interessante Frage. Was mich am Drehbuch ansprach, war der menschliche Teil. Als Zuschauer bin ich persönlich nicht allzusehr dem Spionagefilm zugetan. Weil ich ihn als kalt empfinde. Und dieses Drehbuch gefiel mir, weil es de facto die Geschichte einer Freundschaft ist. Als ich es zum ersten Mal las, erinnerte es mich an den Liebesfilm «Brief Encounter» von David Lean. Mein Film hingegen thematisiert eine tiefe, intensive, heimliche Freundschaft. Ich habe mich darauf fokussiert. Auf die Gefahr und den Druck, die auf dieser Freundschaft lagen und als eine Art Antrieb fungierten, wodurch die Freundschaft intensiver wurde. Nicht mal ihre Frauen wussten was los war.

 

Die beiden Figuren kamen aus komplett anderen Welten. Der Eine aus einer Militärtradition, der Andere aus der Wirtschaft.


Sie waren lustigerweise exakt gleich alt. Aber was sie beide noch ausmachte, war die Tatsache, dass beide Non-Konformisten waren. Sie passten beide nicht wirklich in das System, in welchem sie lebten. Oleg Penkovsky war ein Weissrusse, sein Vater kämpfte im Bürgerkrieg als die Sowjets an die Macht kamen. Er hat also immer irgendwie das Gefühl gehabt, ein Aussenseiter zu sein. Auch wenn er während des zweiten Weltkrieges für die Sowjets kämpfte. Er war ein riesen Held, er nahm immense Risiken in Kauf und war sehr berühmt. Greville Wynne war das Gegenteil, passte aber auch nicht in sein Umfeld. Er war ein Legastheniker aus armen Verhältnissen aus Wales. Er versuchte all dies aber zu verschleiern.

 

 

Mit Benedict Cumberbatch habe ich bereits viele Male zusammengearbeitet. Als ich das Script las, wusste ich, dass die Rolle sehr gut zu ihm passen würde. Ich habe ihm daraufhin eine kurze SMS gesendet. Seine Teilnahme und sein Name haben den Film finanziert.

 

Wie bist du bei der Recherche vorgegangen?


Ich habe sehr viel gelesen. Es wurde wahnsinnig viel über die beiden geschrieben. Drehbuchautor Tom O’Connor hatte Zugang zu all diesem Material. Das Schwierige war aber die Wahrheit herauszufischen, weil unglaublich viel Falsches berichtet wurde. Von beiden Seiten aus. Greville Wynne schrieb darüber, aber log dabei. Er dachte sich viele komplizierte Hintergrundgeschichten aus, die so nicht stimmten. Und die sowjetische Seite hat nicht wahnsinnig viel darüber verlauten lassen. In den letzten Jahren hat die CIA viele Files veröffentlicht und daraus entnahm ich sehr viel. Ein anderes Thema war die Zeit, die Periode in welcher der Film sich abspielt. Ich habe auch andere Filme aus der Zeitepoche gemacht und kannte mich daher gut aus mit den 60er-Jahren. Wichtig ist immer zu reflektieren, was für Menschen die Hauptfiguren waren und zwar im Vergleich zu der Zeit in der sie agierten und lebten.

 

Wie hast du die Hauptdarsteller ausgewählt? Hast du Screentests mit beiden gemacht?


Mit Benedict Cumberbatch habe ich bereits viele Male zusammengearbeitet. Als ich das Script las, wusste ich, dass die Rolle sehr gut zu ihm passen würde. Ich habe ihm daraufhin eine kurze SMS gesendet. Seine Teilnahme und sein Name haben den Film finanziert. Für Oleg Penkovskys Part wollte ich einen russisch sprechenden Darsteller. Idealerweise aus Russland. Merab Ninidze ist aus Georgien, wuchs aber in der Sowjetunion auf. Mit der Casting-Verantworltichen Nina Gold ging ich nach Russland fürs Casting. Die besten Darsteller kamen und wir gaben ihnen Absagen. Die Prodzuzenten hatten da ein wenig Angst, aber als sie Merab Ninidze sahen, waren sie erleichtert und begeistert zugleich. Eigentlich kam er vorbei, um für den Part als Leiter des KGBs vorzusprechen. Rachel Brosnahan war sehr davon angetan, eine Frau zu spielen, die in einer männerdominierten Welt die Oberhand nicht verliert. Und wie viele Frauen zu jener Zeit vorgaben weniger intelligent zu sein, als sie waren, damit sie bekammen was sie wollten? (lacht) Ihr gefiel besonders die Authentizität. Frauen waren damals – wie heute leider immer noch – in gewissen Branchen untervertreten. Und sie brauchten deshalb Strategien um sich durchzusetzen, ohne dabei aber aufzufliegen.

 

Inwiefern unterschieden sich die Herangehensweisen von Benedict Cumberbatch und Merab Ninidze?


Benedict liegt die Nachforschungen. Er liebt es Fakten zu sammeln und zu lesen. Er sog die informationen wortwörtlich auf. Merab hingegen hatte andere Herausforderungen. Als jemand der in der Sowjetunion aufgewachsen ist, versuchte er Oleg Penkovskys nicht mehr als Verräter zu sehen. Bei Merab ging es also – im Vergleich zu Benedict - eher darum sich so gut es geht davon zu befreien, was er gehört oder gelesen hatte.

 

 

Wir hatten zwei waschechte Russen am Set. Zum einen Kirill Pirogov, der den Leiter des KBGs spielt, und Mariya Mironova, welche Penkovskys Frau spielt. Beides brilliante Darsteller! Beide waren aber auch sehr kritisch am Set.

 

 

Was ist der Erfolgsfaktor für dich bei der Umsetzung oder der Wiederbelebung einer vergangenen Ära?


Ich denke das Interesse an dieser Zeit und viel, viel Lesen. Ich wurde Ende der 60er-Jahre geboren und habe meine Grosseltern erlebt und dadurch auch wie sich diese Menschen damals verhielten. Sie waren viel zurückhaltender als heute. Die Briten sowieso, deshalb war es mir wichtig Darsteller zu finden, welche die Tugenden dieser Zeit verstehen und auch beherrschen.

 

Hast du von Russland eine Reaktion zu deinem Film erhalten?


Nein, habe ich nicht. Aufgrund von Covid konnten wir es noch nicht gross herausbringen. Wir hatten zwei waschechte Russen am Set. Zum einen Kirill Pirogov, der den Leiter des KBGs spielt, und Mariya Mironova, welche Penkovskys Frau spielt. Beides brilliante Darsteller! Beide waren aber auch sehr kritisch am Set. (lacht) Begutachteten die Ausstattung und gaben gerne Kommentare à la «Nein, das ist nicht authentisch, wir hätten nicht aus solchen Tassen getrunken». Ich erinnere mich an eine Szene am Frühstückstisch mit Mariya, vor der sie den Tisch betrachtete und sagte, «Ja, so ein Frühstück das ist realistisch». (lacht) Das war schön zu hören. Und es war nicht einfach sie zu casten, weil für sie nicht ganz verständlich war, weshalb wir einen Film über einen Verräter drehen wollten. Deshalb war es cool, waren sie an Bord.

 

Der Film hat mich – trotz der Unterschiede - an «Snowden» erinnert, der vier Jahre zuvor Premiere am Zurich Film Festival feierte. Individuen, die sich gegen die Mächtigen stellen. Wiederholt sich Geschichte auch hier immer wieder?


Faszinierende Beobachtung. Es sind immer Individuen, die Sachen zum Laufen bringen, die Geschichte forwärts treiben. Die Katalysten für Veränderungen sind meistens einzelne Individuen. Und das ist hier wieder erneut das Narrative. Dies kommt auch in der Szene mit Greville Wynne Sohn zum Ausdruck. Die Regierung vermittelt und viele Menschen sind Feinde, aber wenn wir mit ihnen am Tisch sitzen, werden es Freunde. Die gleiche Erfahrung habe ich gemacht, als ich während der Studienzeit Russland besuchte. Die Leute waren nett und hilfbereit. Ich war auch später während meiner Theaterzeit in Russland und lernte insbesondere die Leute in den ländlichereren Gegenden kennen. Diese sehnen sich zurück nach der alten Zeit der Sowjetunion, sie sehnen sich zurück nach dem guten Bildungssystem, der guten medizinischen Versorungen, welche wir im Westen so nie hatten. Leider war die Propaganda auf beiden Seiten immer sehr gross.

 

 

Tanja Lipak / Do, 03. Jun 2021