Zweites «Game-On!»-Konzert im KKL in Luzern

Kritik/Interview: Game On!
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©Sarah Stutte

Text/Interview von Sarah Stutte

 

Nach der erfolgreichen Premiere im Jahr 2022, kam «Game On!» - die orchestrale Live-Vertonung von bekannten Videospielsoundtracks Anfang März nun zum zweiten Mal ins KKL in Luzern. Ein einmaliges und eindrückliches Erlebnis, wenn über 120 Musikerinnen und Musiker des City Light Symphony Orchestra die Musik aus Games wie «Assassin’s Creed 2», «Ori and the blind Forest» oder «Bioshock» klangvoll und opulent im KKL erstrahlen lassen. Das fand nicht nur das bunt gemischte Publikum aus Game-Nerds und Klassikfans, das am Ende Standing Ovations gab, sondern auch meine weibliche Game-Begleitung.

 

Sie meinte nach dem Konzert begeistert: «Die Musik hat mir einige Gänsehautmomente beschert. Der Klang war toll, der Chor und das Piano-Solo bei «Bioshock» haben mir gut gefallen und wie bei der Zugabe alles explosionsartig hochgespielt wurde», so Melanie H. Positiv fand sie ausserdem, «dass Game-Musik durchaus ein breites Publikum anzieht. Auch viele Frauen waren anwesend, was mich sehr gefreut hat». Gewünscht hätte sie sich aber «dass man bei ein paar Games vielleicht noch mehr vom jeweiligen Game-Play hätte zeigen können. Damit die Nicht-Gamer sehen können, wie das eigentliche Spiel aussieht. Ansonsten top, werde wiederkommen».

 

Fotos: ©Sarah Stutte

 

Wiederkommen wird vermutlich auch Andy Brick, musikalischer Leiter und Erfinder der «Game On!»-Konzertreihe. Mit dem US-amerikanischen Komponisten von Game- und Filmmusik konnte ich am Abend des Konzerts in Luzern ein Interview führen.

 

Bäckstage: Wie ist das für dich, mit «Game On» nun bereits zum zweiten Mal in der Schweiz aufzutreten?

Andy Brick: Toll. Das heisst, beim ersten Mal vor einem Jahr haben wir unseren Job gut gemacht. Es ist wie eine Bestätigung deiner Arbeit. Es ist also eine grosse Ehre für mich, dass das KKL und das City Lights Symphony Orchestra unser erstes wiederkehrendes Engagement sind.

Inwiefern unterschied sich das diesjährige Programm vom letztjährigen?

Nun, wir können aus einem Katalog mit 22 Stücken auswählen. Wir vertreten etwa 16 Videospielunternehmen, die eine ganze Menge verschiedener Spiele produzieren. Jedes Konzert, das wir veranstalten, ist deshalb ein bisschen anders. In Luzern haben wir beispielsweise «Assassin’s Creed» gespielt und vor einem Monat waren wir in Manchester mit «Assassin’s Creed 2».  Wir recherchieren in der Vorbereitung, was der lokale Markt mag und was hier gespielt wird. Aufgrund dieser Recherche variieren wir dann die Programme ein wenig. 

 

Wie ist die Idee zu «Game On» überhaupt entstanden?

Die Geschichte dazu reicht 20 Jahre zurück. Im August 2003 dirigierte ich das Tschechische National-Sinfonieorchester in Leipzig beim ersten symphonischen Game-Musik-Konzert ausserhalb Japans. Ein sehr erfolgreiches Programm, das fünf Jahre lang lief. Danach wurde ich Chefdirigent und Musikdirektor einer anderen Produktion namens «Play a Video Game Symphony». Mit dieser ging ich bis 2012 vor allem in den Vereinigten Staaten auf Tournee. Aufgrund dieser guten Erfahrungen überlegte ich mir, eine eigene Game-Musik-Konzertreihe ins Leben zu rufen. Mir war dabei wichtig, dass es nur Musik und Videomaterial gibt, das zum Soundtrack eingeblendet wird. Keine Soundeffekte und keine Dialoge. Es sollte nur darum gehen, wie die Musik mit dem Video interagiert, so dass der Schwerpunkt auf dem Orchester liegt.

 

Und wie ging es dann weiter?

Zusammen mit einem Gamer-Kollegen fing ich also 2017 an, all diese Videospielfirmen anzurufen. Die allererste, die zusagte, war die Firma Blizzard Entertainment, die «World of Warcraft» macht. Dann dauerte es drei Jahre, bis auch die anderen mit an Bord waren. 2020 feierten wir mit dem National Symphony Orchestra im «John F. Kennedy Center for the Performing Arts» in Washington, D.C. Premiere. Für einen amerikanischen Musiker ist das eine grosse Ehre, definitiv ein Karrierehöhepunkt und ein grossartiger Start für eine Produktion. Es lief also ziemlich gut. Doch dann kam Covid und alle Konzerthallen wurden geschlossen. Im März 2020 bekam ich dann plötzlich eine Einladung vom KKL und dem City Lights Symphonieorchester, «Game On!» in der Schweiz zu spielen. Das war unsere Re-Premiere und es lief phantastisch. Danach bekamen wir wieder Buchungen aus Asien, England und den USA. Wir haben der Schweiz also viel zu verdanken.

 

Andy Brick hat das «Game On!» erschaffen. (Foto: ©Sarah Stutte)

 

Ist es schwieriger, Live-Konzerte zu dirigieren oder Studio-Soundtracks zu orchestrieren?


Ich würde sagen, es sind die Live-Konzerte. Dafür finden zwei normale Proben plus die Generalprobe statt. Man ist also weniger als 10 Stunden mit dem Orchester zusammen, bevor das Konzert stattfindet. Ich muss also sehr schnell lernen, wie die Musikerinnen und Musiker ticken und auf mich reagieren, innerhalb von wenigen Minuten. Das ist eine Herausforderung und grosse Verantwortung. Man möchte nicht, dass das Orchester am Ende schlecht dasteht, man will dem Publikum das Beste bieten. Und in der Zwischenzeit soll alles auch noch fantastisch klingen. Das ist sehr intensiv. Bei einer Aufnahmesession ist alles ein bisschen entspannter, man hat generell mehr Zeit. Wenn etwas nicht gut klingt, macht man es einfach noch einmal. Im Studio hört man alles. Details, die während eines Konzerts nicht zu hören sind.

 

Gibt es Unterschiede in der Komposition von Game- und Filmmusik?

Ja. Der Hauptunterschied besteht darin, dass Filmmusik linear ist und der Geschichte folgt. Es gibt einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Nicht nur für den Film, sondern auch für jedes einzelne begleitende Musikstück. Im Game gibt es vielleicht einen Anfang, doch nicht immer eine Mitte oder ein Ende. Bei einem Simulationsspiel wie «SimCity» beispielsweise, baut die Spielerin oder der Spieler einfach Städte. Durch künstliche Intelligenz und andere technologische Faktoren werden diese Städte bevölkert und man sieht, wie sie sich entwickeln. Dieser Prozess wird mit Musik untermalt. Aber er hört niemals auf, man könnte ewig so weiterbauen. Musik für ein Spiel zu schreiben, das nie endet, ist also definitiv etwas Anderes.

 

Denkst du, dass die Musik in Verbindung mit den Bildern stärker wahrgenommen wird oder hat die Musik auch allein genug Kraft?


Ich denke, es ist beides. Ich bin in einem Künstlerhaushalt in Chicago aufgewachsen. Meine Mutter hat mich früh zu Kunstgalerien und Vernissagen mitgenommen. So habe ich von klein auf gelernt, Bilder kritisch zu betrachten. Das hat mich auf die Idee gebracht, Musik dazu zu schreiben. Ein Bild erzählt dir etwas. Du siehst es dir an und beginnst dich zu fragen: Was ist das? Warum ist es dunkel oder hell? Warum lächelt die Figur? Du entwickelst eine Geschichte dazu, die auf deinen eigenen Erfahrungen basiert und die Musik kann diese Geschichte verstärken. Das kann eine sehr tiefe Wirkung auf einen Menschen haben. Nimmt man nun das Bild heraus, dann verschwindet die Geschichte, mit der die Musik verbunden ist. Der Hörer entwickelt dann eine Geschichte nur über die Musik. Das führt nicht zu einer tieferen Erforschung der Musik, sondern zu einem einzigartigen Fokus auf die Musik. Ich glaube also nicht, dass das eine intensiver oder grösser oder wichtiger ist als das andere. Beides kann gleichwertig wirkungsvoll sein.

 

 

Als ich anfing, selbst Klavierunterricht zu nehmen, war das Problem nicht, mich zum Üben zu bringen, sondern mich dazu zu bringen, aufzuhören. Ich hatte schon immer diese ganz natürliche Anziehung zur Musik.

 

 

Was war dein erster Game-Soundtrack und welches Gefühl verbindest du damit?


Das war ein Spiel namens «Tesselmania» von 1995. Hier konnte man Kunstwerke im Stil des Künstlers M.C. Escher erstellen. Ich habe mich mit der Firma in Verbindung gesetzt und sie meinten: «Wir würden gerne Musik für unser Spiel haben. Kannst du etwas für uns machen?». Also habe ich mir ihr Spiel angeschaut und dazu etwas komponiert. Das war ein bisschen wie eine Bach trifft Jazz-Fusion. Das Spiel lief gut. Ich glaube nicht, dass irgendjemand es heute noch kennt, weil es schon eine Million Jahre alt ist. (lacht)

 

Welche Spiele hast du selbst gespielt?

Das erste Spiel, das mich wirklich interessiert hat, hiess «Myst». Es ging darum, neue Gegenden und Maschinen zu erforschen und daraus ein Puzzle zusammenzusetzen. Die Rätsel wurden dabei immer schwieriger und schwieriger. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, das Spiel zu beenden. Im Laufe der Jahre habe ich mich mehr für Rätselspiele und einige Echtzeit-Strategiespiele interessiert. Als ich anfing, Musik für die «Sims» zu schreiben, vor allem für «SimCity», habe ich ziemlich viel «SimCity» gespielt. Erst wollte ich nur das Franchise verstehen, um die Musik dafür komponieren zu können. Dann fing ich aber an, mich wirklich für das Spiel zu begeistern. Wenn ich zwischen dem Reisen, den Konzerten und der Musikentwicklung Zeit habe, game ich jetzt vor allem mit meinem 12-jährigen Sohn.

 

In welchem Alter bist du zur Musik gekommen? War das ein besonderer Klick-Moment?

 

Mit drei Jahren? Das hat man mir so erzählt. Ich erinnere mich nicht wirklich daran. Ich weiss aber noch, dass im Haus gegenüber die Nachbarn ein Klavier hatten, das gleich neben dem Fenster stand. Dort spielte in einem Winter ein kleines Kind Klavier und ich hörte der Musik zu, während ich den Schneefall beobachtete. Damals muss ich fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Als ich anfing, selbst Klavierunterricht zu nehmen, war das Problem nicht, mich zum Üben zu bringen, sondern mich dazu zu bringen, aufzuhören. Ich hatte schon immer diese ganz natürliche Anziehung zur Musik. Das ist ein sicherer Ort für mich. Ein Ort, an dem ich Dinge erforschen, ich selbst sein und mich öffnen kann. Ich mag es einfach immer noch, auch nach 45 Jahren.

 

Bäckstage Redaktion / Fr, 10. Mär 2023