In vier Tagen von Sommer auf Herbst

Festivalkritik: Zurich Openair 2018
Bildquelle: 
© Mike Mateescu (Handyfoto)

Optisch und organisatorisch gab es nur wenig Neuerungen. Die Hauptbühne, die Zeltbühne und der Tanzzirkus befanden sich wie der Raucherwürfel und das Fakeschlösschen noch am gleichen Ort. Dafür machte die untere Hälfte vom VIP-Zelt Platz für die Rollstuhlfahrer-Rampe und gleich daneben errichtete die Swisscard ihr eigenes zweistöckiges Zelt, um Werbung für eine neue Bezahlkarte zu machen. Dieses Jahr musste man nicht länger Guthaben auf einen Armbändel laden, sondern konnte überall bequem mit Plastikgeld bezahlen. 

 

Der Preis ist heiss

 

Aufgrund grosser Hitze wollten die Scanner am Mittwoch viele Barcodes nicht anerkennen, weshalb manche Besucherin mit gültigem Ticket bis zu einer halben Stunde vor dem Help Desk verbrachte. Schönerweise blieb das Personal vor und hinter der Bar durchwegs freundlich und hilfsbereit. In anderen Belangen war das Openair da schon einiges Zürcherischer. Besonders in preislicher Hinsicht. Schliessfächer gab es zuhauf, kosteten aber 2 Franken pro Nutzung. 3dl Wasser kosteten wie die gleiche Menge Bier kehlentrocknende 5.50. Ganze 14 Franken waren für eine Berliner Tasche und 17.50 für einen Burger mit Fritten fällig. Mann war sich überdies einig, dass die Hausmarke schon nach wenigen Becherchen für Kopfschmerzen sorgte. Hier wird der Biersponsor 2019 arg nachbessern müssen. Wenigstens war das Essen fast durchwegs deliziös – besonders die Berliner Tasche. 

 

Der obligate Glizzard    

 

Musikalisch wies das Programm im Gegensatz zum Vorjahr einen starken Achtziger-Einschlag auf, etwa bei «The Vaccines» oder «The War on Drugs». Tags drauf vermochte «Leyya» am Vorabend mit ihrem valiuminösen Hip-Pop so wohltuend zu langweilen, wie das eben nur die Österreicher vermögen. Ihr folgten die Ausnahmemusiker von «Incubus», deren Sänger Brandon Boyd auch nach über zwanzig Jahren noch singt und aussieht wie ein Rockgott. Fürs Amüsement sorgte im Anschluss der Sänger der Radiohit-Garanten «Imagine Dragons», weil er die Bühne oben ohne und mit hochgezogenen schwarzen Socken betrat – echte Stadtzürcher achten auf solche Details. Lustigerweise adressierte er das Publikum mehrmals als «Openair Festival», so als wäre der Name des Austragungsortes Zürich-Openair, ähnlich wie Zürich-Glattbrugg. Fairerweise besass der Gig mehr Seele als eine Chippendales-Show, und spätestens als der obligate Glizzard – ein silbriger Konfettiorkan – übers Publikum fegte, waren Hochfreuden angesagt.   

 

Liam der launige

 

Später am Donnerstagabend dann drehte der Wind. Der charismatische Starrapper Kendrick Lamar hatte sein schmerzhaft abgemischtes und mit rätselhaften Pausen durchsetztes Video-Playback-Set schon beinahe abgespult, als das Ende der Welt über Zürich hereinbrach. Vom Regensturm blieb ein erheblicher Temperatursturz zurück, doch zur Schlammschlacht wurde das Areal nur stellenweise. Dennoch waren von nun an lange Hosen, Wanderschuhe und Gratis-Ponchos vom Gratisfötzel angesagt. Am Folgeabend liess sich ausgerechnet der berüchtigte Liam Gallagher verdient abfeiern. Beim inbrünstig mitgesungenen «Wonderwall» räumte er sogar verlegen ein, leider kein «Switzerlandish» zu können. Wie durch ein Wonder fand sogar die Setlist in Form eines Papierfliegers ihren Weg direkt vor unsere Füsse – vierzig Meter von der Bühne entfernt.  

 

Das Zürich Openair wurde in diesem Jahr von hochsommerlich zu fast winterlich gejagt. Unsere Fotostrecke dokumentiert diesen Verlauf. Fotos: © Mike Mateescu (Handyfotos)

 

Am letzten Tag enttäuschte der Gewinner des diesjährigen Guy Pierce Lookalike-Wettbewerbs nicht: «Bonaparte» trumpften wie erwartet mit ausgefallenen Beats, Nackedeis, PC-Kostümen und sonstigen Verrückten auf. Die vielleicht beste Performance neben «Justice» boten aber die «Editors». Eine schnörkellose artistische Rock-Show mit dem ungelogen charismatischsten Sänger des ganzen Festivals. Und wer sich danach nicht im Bann der einstündigen Bassattacke der herrlich durchgeknallten Technorapper «Die Antwoord» wiederfand, wurde kurzerhand in den Tanzzirkus, den Clubwürfel oder gleich ganz vom Areal verjagt. 

 

Das Zürich Openair 2018 war ein angenehmes Echo der Vorjahresversion, weshalb sich für nächsten Sommer ein paar Updates aufdrängen. Man könnte gar darüber nachdenken, die Veranstaltung von Donnerstag bis Sonntag durchzuführen. Weil nachts alle dreissig Minuten ein Zug über Oerlikon und die Hardbrücke zum HB fährt und Nachtbusse an den Bahnhöfen warten, ist das Openair besonders für Stadtzürcher interessant, die Sonntagabend vielleicht keine Zelte nach Hause schleppen möchten. Und wenn man nicht vorhat, 2019 eine neue Hausmarke auszuschenken, dann sollte man vielleicht wenigstens Bayer als Sponsor ins Boot holen.

 

 

Mike Mateescu / So, 26. Aug 2018