Shakespeares Jahresbericht

Moviekritik: One Battle After Another
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© 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Die linksextremistische Widerstandsgruppe «French 75» hat dem faschistischen System den Krieg erklärt. Wir folgen dem jungen Revoluzzerpärchen Bob und Perfidia, das atemberaubend tapfer Regierungseinrichtungen in die Luft jagt und Banken ausraubt. Er ist so ziellos unterwegs wie ein Marschflugkörper ohne WiFi, sie hat nur Sex und Gewalt im Kopf und die Gruppierung als Ganzes wirkt so bedrohlich, wie wenn man die Bösewichte in «Heat» mit den Pussycat Dolls ersetzte. Als Perfidia Mutter wird und Bob seine Aufmerksamkeit vom Klassenkampf zu ihrem Töchterchen lenkt, lässt sie die beiden eiskalt sitzen, um ihren Kleinkrieg fortzusetzen. Nach Jahren unter dem Radar werden Bob und sein pubertierender Spross von den Schatten der Vergangenheit eingeholt.

 

Viel Gerenne, viel Geschwafel

 

Ich bin kein Freund von Schubladisierungen und ein grosser Advokat für Originalität. Jedoch kann Letztere nur gedeihen, wenn die nötige Orientierung vorhanden ist. So fragt man sich während des ersten Drittels, welcher Genres sich der Regisseur hier bedient und worum es eigentlich geht, da der Film damit lange hinter dem Berg hält. Die offizielle Etikettierung pendelt sich irgendwo bei «schwarzer Actionkomödie» ein, doch dafür werden zu wenig Bewegung und Lacher geboten. Vielmehr handelt es sich um ein satirisches Drama, das sich im Kern um eine Vater-Tochter-Beziehung dreht. Daran mangelt es im modernen Kino schon seit geraumer Zeit, aber leider ist dieser Erziehungsberechtige bloss ein drogenumnebelter Narr, der so gut wie keinen Einfluss auf den eigenen Lebenslauf hat und ständig hilflos den Namen seiner Tochter schreit.

 

Einige Szenenbilder aus «One Battle After Another». (Alle Credits: © 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.)

 

Der Film basiert auf dem Roman «Vineland» von Thomas Pynchon aus dem Jahr 1990. Anderson ist angeblich ein grosser Fan des Buches und hatte es schon lange adaptieren wollen. Man fragt sich ernsthaft wieso, da seine Version mit der Vorlage etwa noch so viel zu tun hat wie Madonnas «Die Another Day» mit dem Geist von Shirley Basseys «Goldfinger.» Und wo wir von der ehemaligen Popkönigin sprechen; Sean Penn hat sich bei der Zeichnung des Colonels so schamlos bei Eric Roberts bedient, dass man besser gleich ihn verpflichtet hätte. Roberts ist sowieso ein kriminell unterschätzter Darsteller.

 

Der hochdekorierte Anderson suchte den ganz grossen Wurf. Tatsächlich behandelt der Streifen einige Brandthemen, die seit Drehschluss 2024 nur noch heisser geworden sind. Allerdings traute man sich über Parodien selbiger Baustellen nicht hinaus. Der Antifa-Abklatsch einer Widerstandsbewegung, die „irgendwas mit Geflüchteten“ macht. Eine bösartige Superelite, die hartnäckig auf Hautfarbe fixiert ist. Ein einfacher Colonel, der aus Gründen überall das Kommando hat – egal ob an der Grenze, mitten in der Wüste oder der Innenstadt. Ein stellenweise enervierender Mix aus Klischees. Dieser Film sagt nichts über gar nichts aus. Insbesondere, weil keine einzige Figur im Verlauf der Geschichte irgendwelche Zugeständnisse macht oder das eigene Handeln auch nur annähernd hinterfragt.

 

Kein Meisterwerk, aber …

 

«One Battle After Another» ist daher mehr Machwerk als Meisterwerk, denn wenn dies ein Siegeszug sein soll, dann gibt es nicht genügend Gold im Sonnensystem, um Andersons Epos «There Will Be Blood» angemessen zu krönen – jener Film, der Andersons Freundfeind Tarantino nach längerer Bequemlichkeitsphase dazu aufrüttelte, zwei Gänge höher zu schalten. Dennoch empfehle ich den Kinobesuch. Weil man von Anfang an hineingezogen wird. Weil er anders, atmosphärisch und überlebensgross ist. Weil er ab der zweiten Hälfte richtig aufdreht und Augen im Kino noch selten so hart geschlemmt haben wie im letzten Viertel. Es lohnt aber, die weisse Flagge mitzunehmen und sich dem Ganzen widerstandslos zu ergeben. So gehen Machtfantasien nun mal. Viva la Revolution!  

 

Schräg und absurd, aber auch verführerisch und mitreissend. Als hätte William Shakespeare den Jahresbericht einer Grossbank verfasst. Dieser Film sagt nichts – aber er sagt es meisterlich.

 

  • One Battle After Another (USA/2025)
  • Regie und Drehbuch: Paul Thomas Anderson
  • Darsteller: Leonardo DiCaprio, Chase Infiniti, Sean Penn, Teyana Taylor, Benicio del Toro uva.
  • Laufzeit: 161 Minuten
  • Kinostart: 25. September 2025

 

Mike Mateescu / Mo, 22. Sep 2025