Romeo und Julia auf Abenteuersuche in den 60ern

Moviekritik: Moonrise Kingdom
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Im Verleih von ASCOT ELITE

Der Übergang von der Kindheit in die Welt der Erwachsenen ist nicht unbedingt leicht. Wenn man es richtig macht, bleibt das Kind in einem erhalten. So auch bei Wes Anderson, der es geschafft hat, seinen eigenen verspielten Filmstil zu entwickeln. Anderson blickt dabei meist skeptisch auf die Erwachsenen, deren Überlegenheit er immer wieder aufs Neue hinterfragt. Mit «Moonrise Kingdom» gelingt ihm erneut solch ein Geniestreich.

 

 

Im Sommer 1965, auf einer Insel in der Nähe Neuenglands, hat die 12-jährige Suzy (Kara Hayward) genug von ihren neurotischen Eltern, den Bishops, gespielt von Frances McDormand («Fargo», «Burn after Reading») und Bill Murray («Lost in Translation», «The Life Aquatic»), und reisst von Zuhause aus. Auf der anderen Seite der Insel, im Pfadfinder-Camp der Truppe 55, stellt Obermeister Ward (Edward Norton, «Fight Club», «American History X») erschreckt fest, dass sein Schützling Sam (Jared Gilman) ihm per Brief seinen Austritt bekannt gibt. Da Sam bereits aus dem Camp ausgebüchst ist, wird Inselsheriff Sharp (Bruce Willis, «Stirb langsam»-Reihe) gerufen. Auf seinem Rundgang bei den Inselbewohnern macht Sharp auch bei den Bishops Halt. Diese haben zwar keine Informationen zum vermissten Jüngling, bemerken aber kurz darauf, dass von ihrer Tochter auch jede Spur fehlt. Panik breitet sich auf der kleinen Insel aus und die verbleibenden Pfadfinder sowie Sheriff Sharp machen sich auf die Suche nach den beiden Vermissten.

 

Bild 1: Suzy und Sam versuchen sich zurechtzufinden. / Bild 2: Die Bishops sorgen sich um ihre Tochter Suzy. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Wes Anderson besetzt in «Moonrise Kingdom» die Schlüsselrollen zum ersten Mal mit Kindern. Ein gewagter Schritt, da «Moonrise Kingdom» sowohl für Gilman als auch für Hayward die erste Filmrolle ist. Die beiden Neulinge meistern ihre Arbeit sehr gut und Hayward könnte sogar die Entdeckung des Filmjahres sein. Ihre Darstellung der pubertierenden Suzy, welche von Zorn und Depressionen geplagt wird, ist messerscharf. In Szenen mit McDormand geht Hayward nicht unter, sondern bleibt der erfahrenen Schauspielerin ebenbürtig. Gilman ist da ein weniger unsicherer, was aber gut zu seiner Rolle passt. Als Waisenkind, welches von Pflegeeltern zu Pflegeeltern wechselt, bis keiner ihn mehr haben will, sucht Sam nach Verbündeten. Im Pfadfinderlager unbeliebt und mit Misstrauen ausgegrenzt, erhofft sich Sam mit Suzy eine bessere Zeit. Und die haben die beiden frisch Verliebten auch. «C’est le temps de l’amour, le temps des copains et de l’aventure…», wie die französische Sängerin Françoise Hardy so schön singt.

 

Gewollt nostalgische Optik

 

Anderson fängt die junge Liebe in der Ästethik der 60er-Jahre ein. Statt auf neue Technologien zu setzen, bleibt Anderson beim Alten und verpasst mit Hilfe eines Filters dem Film eine nostalgische Optik. Die ruhige, sich von der einen zur anderen Seite bewegende und im Kreis drehende Kamera passt ebenso perfekt wie der mit Oldies und Orchestermusik glänzende Soundtrack, um die Illusion eines alten Klassikers herzustellen.

Die komplette Ausstattung der Eröffnungssequenz besteht aus Sammlerstücken der vergangenen 40er, 50er und 60er-Jahre. Die Kostüme ergänzen die Sixties-Stimmung nicht nur optimal, sondern fangen die unterschiedlichen Figuren entsprechend ein.

 

Bild 1: Skurill: Wie kommt das Mofa in den Baum?  Bild 2: Mit allen Methoden werden die beiden Vermissen gesucht. 

 

So trägt der traurige Sheriff Sharp auch in seiner Freizeit die gleiche, eintönige Polizeiuniform, welche ihm eher als Camouflage dient, um seine Unzulässigkeit hinter seiner Rolle als Hüter von Recht und Ordnung zu verstecken. Seine Geliebte, Frau Bishop, versucht ihren langweiligen Alltag mit der kleinen Affäre und ihren farbenfrohen Kleidern & Kitteln zu überstehen, während ihr Mann, der konservativste unter den Inselbewohnern, auch dementsprechend kleinkariert daherkommt. Edward Norton wirkt als Obermeister Ward in seiner Pfadfinderuniform wie ein Erwachsener, der wieder Kind sein möchte. Sam, der kleine Waise mit dem Bedürfnis nach Liebe und Aufmerksamkeit, veredelt seine Pfadfindermontur mit allen möglichen Dingen, sei es mit der Brosche seiner verstorbenen Mutter oder der Pelzmütze, die sein Haupt bedeckt. Mit der Kopfbedeckung, wie auch seiner Hornbrille und Frisur gleicht Sam den Hipstern von heute. Sein Talent, die Malerei, und sein liebstes Sujet, nackte Menschen, passen auch hervorragend zu dem hipsteresken Erscheinungsbild.

 

Die anderen Pfadfinder hingegen entsprechen ihrem Äusseren weniger. Obwohl alle Burschen brav und anständig wirken, haben sie’s faustdick hinter den Ohren. Mit ihren selbstgebastelten Waffen ähneln sie Brad Pitts Söldnertruppe in Quentin Tarantinos «Inglourious Basterds». Lustigerweise spielt auch der durch die Zusammenarbeit mit Tarantino bekanntgewordene Harvey Keitel  («Pulp Fiction», «Reservoir Dogs», und zuletzt als voice-over in «Inglorious Basterds») bei «Moonrise Kingdom» mit.

 

Sintflut beendet die «Arche Noah»

 

Nach Hits wie «The Royal Tenenbaums», «The Life Aquatic with Steve Zissou» und «The Darjeeling Limited», besticht Andersons erneut mit seltsamen Humor, absurden Dialogen und einer theatralen Inszenierung, in welcher die Figuren, ist ihr Text mal zu Ende, einfach aus dem Bild oder von der anderen Person weg laufen. Andersons Summer of Love ist ironietechnisch ebenfalls vollstens ausgelastet: So wird Sam mehrfach eine Elektroschock-Therapie angedroht, welche schnell an Bedeutung verliert, da Sam häufig vom Blitz getroffen wird. Oder aber die «Arche Noah»-Theateraufführung wird wegen einer bevorstehenden Sintflut abgesagt.

 

Bild 1: Ob die Pfadfinder die Ausreisser gefunden haben? / Bild 2: Die Bishops staunen mit Sheriff Sharp und Pfadimeister Ward um die Wette.  

 

Von solchen Momenten lebt «Moonrise Kingdom» und bietet ausgezeichnete Unterhaltung. Einzig die etwas vorsehbare Story und die gar kleinen Auftritte von Jason Schwartzman als Pfadfinder Ben und Tilda Swinton als Jugendamtbeauftragte werden den Erwartungen an Wes Andersons neues Abenteuer nicht gerecht. Dies verzeiht man Anderson aber spätestens, wenn wieder einmal Bob Balaban («Catch 22», Oscarnomination für Produktion von «Gosford Park») als Erzähler in Jacques-Cousteau-Manier ins Bild tritt, die Kameralampe einschaltet und in die nächste Szene überführt. Und würde dieser jetzt diese Kritik ausführen, würde sie mit folgendem Satz enden: «Ob bei rekordverdächtigen 50 Grad im Schatten oder heftigen Gewittereinbrüchen, die Bucht namens «Moonrise Kingdom» bleibt eine unzerstörbare Oase der guten Laune sowie die kultverdächtige Reisedestination für alle Cineasten.»

 

  • Moonrise Kingdom (USA 2012)
  • Regie: Wes Anderson
  • Drebuch: Wes Anderson & Roman Coppola
  • Darsteller: Bruce Willis, Bill Murray, Frances McDormand, Edward Norton
  • Laufzeit: 93 Minuten
  • Kinostart: 24. Mai 2012
 
 
Bilder: Im Verleih der ASCOT ELITE

 


Tanja Lipak / Mi, 16. Mai 2012