Lion Kim

Moviekritik: The Lion King
Bildquelle: 
© The Walt Disney Company Switzerland.

Alle lieben «The Lion King», richtig? Der Film war der Hauptschuldige für die Kinderherzenerwärmung von 1994, brach alle Kassenrekorde seines Genres, wurde um ein gefeiertes Musical erweitert und rangiert bis heute in der Top 10 der erfolgreichsten Animationsfilme. Er war angeblich der erste Zeichentrickfilm des Studios mit einer eigenständig entwickelten Story. Disney wurde damals nicht müde, genau diesen Umstand in der Werbung zu betonen. Nun kehrt der Löwenkönig auf die Leinwand zurück, respektive in die echte Welt. Was soll da schon schiefgehen? 

 

Nun, die ersten Trailer boten Grund zur Skepsis. Man glaubte, in eine Tier-Doku auf dem Discovery Channel geraten zu sein. Ausserdem fühlte sich der beworbene Film wie eine exakte Replik des Originals an. Viele dieser Eindrücke sollten sich bewahrheiten. Tatsächlich wurde das Gros der Kameraeinstellungen identisch wiedergegeben. Handlung und Dialoge stimmen ebenfalls über weite Strecken überein. Wobei Letztere immerhin verfeinert wurden. Während die Landschaften mit ihren Lichtspielen digitale Meisterwerke sind, ist es um die Lebendigkeit der Charaktere eher suboptimal bestellt. Man sollte sich das so vorstellen, als würde die Animationsreihe «Cars» mit echten Autos nachgestellt. Zwar sind die Stimmbeiträge von Jon Oliver oder Seth Rogen veritable Bereicherungen, aber Tiere neigen nun mal zu einem begrenzten Mass an Lippenbewegungen. Dann wiederum gelangen die Gesichtszüge von Löwe Aslan in «Die Chroniken von Narnia» vorzüglich – und das war vor vierzehn Jahren!  

 

Wir, die Antilopen

 

Die gezeichneten Biester waren seinerzeit Verniedlichungen realer Pendants. Sie lächelten viel, und man hätte am liebsten mit ihnen gekuschelt. In dieser Fassung aber wird schonungslos deutlich, dass die meisten dieser Arten einen fressen oder tottrampeln würden, begegnete man ihnen auf freier Wildbahn. Dies könnte gerade beim Zielpublikum – Kinder – die gegenteilige Reaktion von 1994 auslösen. Noch fragwürdiger ist jedoch die Kernaussage des Films. Gerade für ein jüngeres Publikum. Schliesslich machte man sich keine Mühe, die 25 Jahre alte Geschichte dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen. 

 

Wie der famose Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt treffend bemerkte, verkauft Lion King einen sehr regressiven Narrativ. Die Figuren müssen ihren Platz in der Gesellschaft akzeptieren, haben keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten und müssen arrangierte Hochzeiten erdulden. Schmitt wörtlich: «Propagiert wird hier ein Führerprinzip. Gesucht werden Untertanen, die sich der Autorität des Helden unterwerfen.» Bei Pride Rock bejubelt die Tierwelt ihren künftigen Unterdrücker derart enthusiastisch, als wäre soeben das Grundeinkommen ausgerufen worden. Solche Szenen kennt man eigentlich nur aus Nordkorea. So huldigt Lion King einem tödlichen Kreislauf vom Fressen und gefressen werden. Die heilige Mär vom Recht des Stärkeren. Das alles ist 2019 nicht länger haltbar.    

 

Kimba, der Verstossene

 

Nun könnte man argumentieren, dass sich Disney nach freiem Ermessen bei Disney bedienen darf. Wenn’s denn so wäre. Nur wenigen ist bekannt, dass der Konzern bei der Konzeption nachweislich auf die Arbeiten des japanischen Künstlers Osamu Tuzeka schielte. Dieser veröffentlichte in den Sechzigern eine Zeichentrickserie namens «Kimba, der weisse Löwe». Die Motive und die darin auftretenden Charaktere weisen signifikante Übereinstimmungen mit dem späteren Kassenschlager auf. Pikant: Ende der Achtziger begann Tuzeka mit der Arbeit an einem (zweiten) abendfüllenden Zeichentrickfilm über Kimba. Diesmal für den internationalen Markt. Doch die Produktion war von Rückschlägen geplagt und schaffte es erst 1997 in die Kinos. 

 

Auch wenn es so sein mag, dass die Handlungen der beiden Streifen nicht gerade identisch sind, dürfen starke Anleihen kaum in Abrede gestellt werden. Disney konnte sich, juristisch gesehen, erfolgreich behaupten, doch warf und wirft die Kontroverse bis heute einen Schatten auf die Krone des Löwenkönigs. Da ist es bloss eine Fussnote, dass Disney den Hinterbliebenen des Komponisten Solomon Linda in den Nullerjahren 1.2 Millionen Euro Genugtuung bezahlte, weil man dessen Welthit «The Lion Sleeps Tonight» ungefragt verwendet hatte. 

 

Die D-Frage

 

Dieses Zugeständnis liegt bald zwanzig Jahre zurück, und Disney ist mitnichten ein pöhses Imperium. Doch solche Beschlagnahmungen vermeintlichen Königtums sind in Hollywood leider unverändert an der Tagesordnung. Jüngst bediente sich der US-Sender CBS hemmungslos beim ägyptischen Programmierer Anas Abdin. Die Charaktere und Elemente seines Computerspiels «Tardigrades» standen Pate für die quasi-Star-Trek-Serie «Discovery», und der Rechtsstreit des Ägypters ist ein fortlaufender Albtraum gegen einen übermächtigen Gegner. Hier schliesst sich der Circle of Lies, pardon, Life. Muss die anmutige Antilope dem Löwen denn zwingend unterliegen, bloss weil dieser das Recht des Stärkeren für sich geltend machen kann? Ist das wirklich die Art Herrscher, der wir in Zeiten der Konsolidierung von Macht und Kapital zujubeln sollten? Wäre es zuviel verlangt gewesen, ein Mikromü in Richtung Demokratie zu denken? Selbst das Finale der verunglückten achten Staffel von «Game of Thrones» konnte dies bewerkstelligen.          

 

«The Lion King» ist ein durchaus amüsanter, farbenfroher und stellenweise packender Film. Aber jenseits der Grenzen von Simbas strahlendem Königreich lauern artistische Altlasten und regressive Moral.

 

  • The Lion King (USA 2019)
  • Regie: Jon Favreau
  • Stimmen: Donald Glover, Beyoncé Knowles, Seth Rogan, John Oliver, Chiwetel Ejiofor u.v.a.  
  • Laufzeit: 118 Min. 
  • Deutschschweizer Kinostart: 17. Juli 2019

 

Mike Mateescu / Fr, 19. Jul 2019