Die Leiden des stählernen Mannes

Movie-Kritik: Man of Steel
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© 2013 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

«Er wird ein Freak sein. Sie werden ihn verstossen», sagt Lara Lor-Van unter Tränen. «Wie? Er wird ein Gott für sie sein», beruhigt sie Jor-El und bereitet das Raumschiff vor, das seinen neugeborenen Sohn auf die Erde in Sicherheit bringen soll.

 

Clark Kent (Henry Cavill, unter anderem «Krieg der Götter» und «The Tudors») ist zerrissen. Zerrissen von der Ungewissheit woher er stammt und von der Suche nach seinem wahren Ich. Mit Gelegenheitsjobs hält er sich über Wasser. Seiner irdischen Heimatstadt Smallville hat er den Rücken gekehrt. Auf den Sonderling mit besonderen Fähigkeiten würden die Einwohner des kleinen Ortes früher oder später aufmerksam werden. Zu gross ist das Risiko, dass auch die Medien und somit der Staat von ihm Wind bekommen. Mit falscher Identität schuftet er mal auf einem Fischerboot, mal als Barkeeper. Doch immer wieder wird er gezwungen, weiter zu ziehen. Seine Flucht bringt ihn aber jedes Mal ein Stückchen näher an die Antworten auf seine Fragen. Diese findet er schliesslich in der Arktis. Eingefroren im Permafrost der Tundra liegt ein Objekt, auf das das US-Militär und einige Wissenschaftler aufmerksam geworden sind. Auch Lois Lane (Amy Adams, unter anderem «Verwünscht» und «Nachts im Museum 2»), die eine gute Story wittert, begibt sich ins Ewige Eis. Mit seinem Röntgenblick bohrt sich Clark durch das zirka 20‘000 Jahre alte Eis, bis er auf ein Raumschiff stösst und dort einem Mann begegnet. Ein Mann, der sich als sein Vater zu erkennen gibt: Sein kryptonischer Vater Jor-El (Russell Crowe, unter anderem «Gladiator» und «Master & Commander – Bis ans Ende der Welt»). Denn Clark heisst eigentlich Kal-El und stammt vom Planeten Krypton. Seine Eltern schickten ihn auf die Erde, um ihn zu retten, weil sein Heimatplanet dem Untergang geweiht war.

 

 Bild 1: Jor-El sieht für seinen Sohn Kal-El nur noch eine Chance: die Fluchtkapsel. / Bild 2: Auf der Erde lebt Kal-El unter dem Namen Clark Kent und wird zu einer Art Beschützer. (Mit Maus über Bild fahren)

 

Die Antworten auf seine Fragen stärken Clarks Selbstbewusstsein und lassen ihn seine Bestimmung erkennen. Der Entschluss, seine Kräfte zu nutzen, um Leben zu retten, wird bald hart auf die Probe gestellt. General Zod (Michael Shannon, unter anderem aus der TV-Serien «Boardwalk Empire» und «Take Shelter») hat Kal-El ausfindig gemacht. Der Krieger wurde kurz vor Kryptons Untergang zusammen mit seiner Gefolgschaft in die Phantomzone befördert. Mit dem Untergang des Planeten wurden auch General Zod und seine Mannschaft befreit. Sie wollen Kal-Els Raumschiff finden, mit dem er auf der Erde landete, weil sie hoffen, dort das Artefakt mit Kryptons DNS zu findeN, und das Jor-El, kurz bevor er seinen Sohn auf die Erde schickte, stahl. Sie invadieren die Erde und der Einzigige, der sie aufhalten kann, ist Clark, Kal-El oder wie er später genannt wird: Superman.

 

Die Optik des neuen Superman

 

Kirk Alyn, Christopher Reeve und Brandon Routh schlüpften auf der Kinoleinwand schon vor Henry Cavill in den hautengen, blauen Ganzkörperanzug mit rotem Umhang und grossem S auf der Brust. Cavills Vorgänger hatten alle eines gemeinsam. Sie verkörperten einen selbstsicheren und makellosen Helden, der alles im Griff hat. Eine gottähnliche Figur, die nicht fassbar war und zu der man aufblicken konnte. Allein schon optisch ist ein Unterschied zwischen den ehemaligen Superman-Darstellern und Henry Cavill zu sehen. Alyn, Reeve und Routh wirkten poliert. Blank rasiertes Gesicht und ebenmässige Gesichtszüge. Cavill wirkt dagegen rauer, hat Ecken und Kanten. Als Clark trägt er Vollbart, zerzauste Locken und hat eine leicht gekrümmte Nase. Die vorher genannten drei Schauspieler hatten alle eine feine und gerade Nase und sind alle etwas filigraner gebaut. Cavill strahlt rohe Kraft aus. Als Superman trägt er zwar keinen Bart mehr und auch die Locken sind einer Drei-Wetter-Taff-Frisur gewichen, dennoch bleibt das Rohe haften.

 

Bild 1: Amy Adams verkörpert die Reporterin Lois Lane, die für Clark eine grosse Rolle spielt. / Bild 2: Perry White stärkt ihr dabei als Zeitungsboss den Rücken.  

 

Regisseur Zack Snyder («300») und Drehbuchautor David S. Goyer, aber auch Christopher Nolan, der schon gemeinsam mit Goyer an den Drehbüchern zu «Batman Begins», «The Dark Knight» und «The Dark Knight Rises» mitschrieb, haben in «Man of Steel» einen Helden geschaffen, der unperfekt ist und Schwächen hat. Ein Mann, der 33 Jahre lang auf der Suche nach sich selbst ist und dabei Fehler macht, stolpert, Zweifel hat und auch mal fällt. Selbst wenn Clark seinen Superman-Anzug trägt, wirkt er nie erhaben. Er strahlt zwar Selbstbewusstsein aus, wenn er aber sein unsicheres Lächeln aufsetzt und wutentbrannt auf Zod losgeht, der Clarks Mutter Martha (Diane Lane, unter anderem «Mord im Weißen Haus» und «Der Sturm») angegriffen hat, bricht der Mensch aus ihm heraus.

 

Die Suche nach dem Sinn des Lebens

 

«Was sind meine Aufgaben? Wo ist mein Weg?», scheint Clark sich zu fragen. Er ist ein Getriebener. Unruhig und von seinen Emotionen gesteuert. Das trifft den Nerv der Zeit und vor allem spricht es die jüngeren Generationen an, die immer noch ihren Weg suchen. Clark Kent ist ein Aussenseiter und ein Missverstandener, der einzig und allein seine Eltern als Bezugspersonen hat. Zwei starke Felsen in seinem Leben, die ihn ohne zu hinterfragen, bedingungslos lieben und schützen. Denn sie wissen, dass ihr Sternenkind ein willkommenes Fressen für die Medien und Wissenschaft wäre. Vater Jonathan (Kevin Costner, unter anderem «Der mit dem Wolf tanzt» und «Bodyguard») opfert gar sein Leben, um seinen Sohn zu schützen.

 

Bild 1: Clark schaut als Teenager völlig unauffällig aus. Tarnung ist eben alles, das sagt ihm immer wieder sein Vater (Bild 2). Aber was verstecken sie im Keller? (Mit Maus über Bild fahren)

 

Clark ist ein ausserirdisches Wesen, aber irdischer als so mancher Mensch. Denn er ist sich den Konsequenzen seines Handelns bewusst und muss sich deshalb stets beherrschen, was vor allem als Pubertierender nicht immer einfach ist. Während andere Grenzen überschreiten, weiss Clark wo seine sind. Er wächst emotional schneller als seine Altersgenossen. Nur innere Stärke bietet die Basis, seine körperliche zu kontrollieren. Dafür sucht er nach Antworten in der griechischen Antike. In einer Szene wird Clark von seinen Schulkameraden angepöbelt und hält ein Buch über den griechischen Philosophen Platon schützend vor seiner Brust. Dieser suchte in seinen Dialogen nach dem Wesen der Gerechtigkeit. Platon definierte Gerechtigkeit als die Bereitschaft eines Staatsbürgers, sich nur den Aufgaben zu widmen, für die er von Natur aus geeignet ist. Des Weiteren war sich Platon sicher, dass auch im Inneren jedes Individuums erst dann Gerechtigkeit herrschen kann, wenn seine Seelenteile, sprich das Begehrende, das Muthafte und das Vernünftige, im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Ein Weg, den Clark gehen muss, um seine Bestimmung zu finden. Am Ende trifft Clark wieder auf Platon in einem griechischen Museum und erkennt seine Bestimmung.

 

Muskelmasse für die Rolle des Stählernen 

 

Der Brite Henry Cavill hat für die Rolle des «Man of Steel» selbst eine Transformation durchlebt. Er befasste sich stark mit der Figur des Superman, las die Comics und taste sich so an die komplexe Persönlichkeit dieses Überwesens heran. Der ohnehin schon athletisch gebaute Schauspieler trainierte konsequent jeden Tag stundenlang und baute somit zusätzlich sieben Kilo Muskelmasse auf, um die körperliche Kraft authentisch zu transportieren und wie er selbst sagte «auch ohne Anzug genauso auszusehen wie mit Anzug». Auch sein Selbstbewusstsein wuchs. Als er den Superman-Anzug überstreifte, stülpte er sogleich Superman mit über. Selbstbewusstsein braucht jeder Schauspieler, der diese Rolle spielt. Die Comicfigur wird seit 75 Jahren verehrt und prägte ganze Generationen. Als Schauspieler lastet eine grosse Verantwortung auf einem, den Part des stählernen Helden nicht zu vergeigen. Henry Cavill hat diese Aufgabe gemeistert.

 

Bild 1: Superman im zeitgemässen rot-blauen Anzug während der Ruhe vor dem Sturm, die auf den Namen Zod hört. / Bild 2: Der kryptonische Gegne Zod macht es Superman nicht leicht.  

 

Die Filmmacher Zack Snyder, Christopher Nolan und David S. Goyer haben eine moderne Story mit den Problemen der Gegenwart kreiert, Kontext und Grundcharakter der Figur blieben aber erhalten. Dass sich Christopher Nolan nach dem erfolgreichen Revival von Batman wieder einem Comic-Helden widmet, dürfte man als gutes Omen deuten.

Jedes Zeitalter braucht eine Heldenfigur. In Zeiten von Abhörskandalen und «Big Brother»-ähnlichen Zuständen, aber auch in Zeiten, in denen höchste Perfektion erwartet wird, erscheint ein unperfekter Held wie eine leuchtende Sirene. Er ist Sinnbild für den Mann von heute. Eine Mischung aus Rambo und Romeo. Einerseits hart und dennoch sensibel. Der Filmcharakter bringt viel Identifikationspotenzial. Der Superman aus dem Jahr 2013 ist eine glaubwürdige und nachvollziehbar Figur, die sich mit irdischen Problemen befasst.

 

«Man of Steel» ist ein Sommerblockbuster der Extraklasse, der sich fliessend zu einem harmonischen und sich ergänzenden Gesamtbild zusammenfügt.

 

  • Man of Steel (USA, Kanada, UK) 2013
  • Regie: Zack Snyder
  • Darsteller: Henry Cavill, Amy Adams, Russell Crowe, Kevin Costner, Diane Lane
  • Laufzeit: 143 Minuten
  • Kinostart: 20. Juni in 2D und in ausgewählten Kinos auf 3D

 

 

 

Bilder: © 2013 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved. 

 

catarina martins / Do, 20. Jun 2013