Am Ende eines Lebens zählen die Erinnerungen

Moviekritik: Les Souvenirs
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Pathé Films AG

Studium, Nebenjob, die Suche nach der grossen Liebe und keine konkreten Pläne für die Zukunft – eigentlich ist Romain Esnard (Mathieu Spinosi, «Les Nuits d‘ Été») ein gewöhnlicher junger Mann, dessen bescheidenes, geordnetes Leben durchei-nandergerät, als seine Familie plötzlich anfängt verrücktzuspielen. Romains Vater Michel (Michel Blanc, «Madame Mallory und der Duft von Curry») geht nach langjäh-riger Tätigkeit als Postbeamter in den Ruhestand und tut sich damit schwerer als er zugeben mag. Gleichzeitig muss er den Tod seines eigenen Vaters verkraften und der Gedanke, dass seine Mutter Madeleine (Annie Cordy, «Vorsicht Sehnsucht») nun ganz alleine leben muss, behagt ihm ganz und gar nicht. Deshalb verfrachtet er sie kurzerhand ins Seniorenheim. Allerdings kann sich die lebenslustige Madeleine, trotz der regelmässigen Besuche ihres Enkels Romain, so gar nicht mit dieser Situation anfreunden und verschwindet eines Tages sang- und klanglos. Da weder die Heimleitung noch die Polizei sonderlich daran interessiert sind Madeleine zu finden, bleibt die Familie angesichts der Umstände zunächst einmal ratlos. Schliesslich er-hält Romain eines Tages eine Postkarte von Madeleine, die auf ihren Aufenthaltsort hinweist. Ohne zu zögern macht sich Romain von Paris auf in die Normandie, wobei er nicht ahnt, wie sehr diese Reise sein Leben verändern wird.

 

Nach «Sans Arme, Ni Haine, Ni Violence» und «Quand Je Serai Petit» ist «Les Souvenirs» die dritte Regiearbeit des Schauspielers Jean-Paul Rouve («Zwei Ungleiche Freunde», «La Vie En Rose»). Die Geschichte basiert auf dem gleichna-migen Roman von David Foenkinos aus dem Jahr 2011, den Rouve mit ihm zusam-men für die Leinwand adaptiert hat. Herausgekommen ist ein berührender, kleiner Film mit sympathischen Figuren, der mit einem Augenzwinkern auf die Phasen des Umbruchs im Leben blickt.

 

Romain und seine Mutter sind an besonderen Punkten in ihrem Leben. 

 

Grossmutter, Vater, Sohn – alle befinden sich in einem anderen Lebensabschnitt, aber gleichzeitig auch an einem Wendepunkt in ihrem Leben. Während Romain noch etwas unbedarft über eine Schriftstellerkarriere nachdenkt, aber eigentlich auf der Suche nach der grossen Liebe ist, stellt sich sein Vater Fragen über seine eigene Identität, die all die Jahre ausschliesslich von seinem Beruf definiert wurde. Wo gehöre ich hin? Wo ist mein Platz im Leben? Das sind auch die Fragen, die sich Ma-deleine stellt. Der Tod ihres Mannes und der Umzug ins Seniorenheim bringen sie dazu, sich Gedanken zu machen. Am Ende ihres Lebens wird sie sich bewusst, dass sie eigentlich dorthin möchte, wo alles Begann: nach Étretat, einer kleinen Gemeinde in der Normandie – an den Ort ihrer Kindheit.

 

Trotz dieser philosophischen Suche nach dem Sinn des Lebens, die standesgemäss mit der Beisetzung des Grossvaters auf dem Friedhof beginnt, driftet «Les Souvenirs» nie in eine bedrückende Schwermut ab, die dieser Thematik anhaftet, sondern schafft es, eine lebensbejahende, positive Stimmung zu erzeugen, ohne die Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Romains Vater, der am meisten unter den Verände-rungen des Lebens zu leiden hat und alles nur noch schwarz sieht, wird von Michel Blanc gekonnt verkörpert. Ihm gelingt es, den Hang zum Melodramatischen, die die Figur aufweist, auf eine solche Weise umzusetzen, dass eine Gratwanderung zwischen Mitleid und Komik entsteht, ohne dabei ins Klamaukige abzurutschen und eine Karikatur aus der Figur zu machen.  

 

Leise und ohne jede Hektik entfaltet Jean-Paul Rouve die Geschichte vor den Augen der Zuschauer. Der fein dosierte Humor nimmt der universell-philosophischen Frage nach dem Sinn des Lebens die Schwere und die sympathischen Figuren run-den das Ganze ab. 

 

  • Les Souvenirs 
  • Regie: Jean-Paul Rouve
  • Darsteller: Annie Cordy, Mathieu Spinosi, Chantal Lauby, Michel Blanc
  • Laufzeit: 96 Minuten
  • Kinostart: 7. Mai 2015

 

Bild: © Pathé Films AG

Sule Durmazkeser / Mi, 06. Mai 2015