Alltag einer Singapurer Familie

Movie-Kritik: Ilo Ilo
Bildquelle: 
Trigon-film.org

Es ist nur eine kurze Zeit, die die philippinische Hausangestellte Teresa (Angeli Bayani) bei Familie Lim in Singapur verbringt. Dennoch gelingt es ihr, eine Bindung zum widerspenstigen und aufmüpfigen Jungen Jiale (Koh Jia Ler) herzustellen, obwohl sein ablehnendes Verhalten ihr gegenüber und die Schwierigkeiten, in die sie seinetwegen gerät, Teresa zunächst an ihre Grenzen zu bringen scheinen. Erschwert wird die Situation zusätzlich durch das Misstrauen, das Jiales Mutter Hwee Leng (Yeo Yann Yann) ihr entgegenbringt. Doch Teresa braucht diesen Job und das Geld, um die Zukunft ihres Kindes, das sie in ihrer Heimat zurückgelassen hat, zu sichern. Unterdessen geht auch bei Familie Lim die Wirtschaftskrise, die den ganzen südost-asiatischen Raum erfasste und 1997 ihren Gipfel erreichte, nicht spurlos vorbei. Hwee Leng tippt als Sekretärin in einem finanziell angeschlagenen Unternehmen ständig Entlassungsschreiben an die Mitarbeiter, während zeitgleich ihr Mann Teck (Chen Tianwen) Opfer der Sparmassnahmen seines Arbeitgebers wird. Absorbiert von ihren eigenen Sorgen, wird der kleine Jiale vernachlässigt, der sich durch sein auffälliges Verhalten in der Schule die Aufmerksamkeit seiner Eltern sichern möchte und dabei nur deren Ärger auf sich zieht.

 

Die Eltern arbeiten viel und Jiale sehnt sich nach der Aufmerksamkeit seiner Familie. 

 

Nach 8 Kurzfilmen legt der Singapurer Regisseur Anthony Chen mit «Ilo Ilo» seinen ersten Langspielfilm vor, der beim letztjährigen Cannes Film Festival eine grosse Begeisterung auslöste und mit der Caméra d’Or als bester Erstling ausgezeichnet wurde. Chen bedient sich einer unaufdringlichen Bildsprache und lässt die Geschichte der vier Protagonisten sich langsam entfalten. Die mehrheitlich starren Kameraeinstellungen sowie der bewusste Verzicht auf Musik, erzeugen eine dokumentarische Stimmung und lassen den Zuschauer zum Beobachter der alltäglichen Sorgen und Schwierigkeiten einer Singapurer Familie werden. Während die typische Geräuschkulisse einer Grossstadt eine Unmittelbarkeit erzeugt, erlauben die Halbnah- und Nahaufnahmen den Darstellern, ihre ganze Ausdruckskraft in ihre Gesichter zu legen. Ohne viele Worte gelingt es ihnen, die Sorgen und Ängsten ihrer Figuren zu verdeutlichen. Die Unfähigkeit der Protagonisten, sich einander mitzuteilen und die psychische Isolation, die dadurch entsteht, vermittelt der Film auf eindrückliche Weise, indem er sie häufig einzeln in den Frames zeigt.

 

Alle vier Darsteller überzeugen mit ihrer schauspielerischen Leistung, sodass beim Zusehen das Gefühl entsteht, man beobachte gewöhnliche Menschen bei ihrem All-tag. Die dezente Spielweise ohne jegliche Übertreibung fasziniert umso mehr, weil dadurch die Verhaltensweisen der Figuren unvorhersehbar bleiben und sie somit realistisch und menschlich werden. Falsche Entscheidungen und irrationale Verhaltensweisen rufen bisweilen ein Schmunzeln hervor. Dennoch ist es kein böswilliger Humor, dessen sich Chen bedient. Er gibt seine Figuren nie der Lächerlichkeit preis und urteilt nicht über sie.

 

Mit der Nanny versteht sich Jiale gut. 

 

«Ilo Ilo» ist ein kleiner, leiser Film, der den Zuschauern einen Einblick in eine fremde Kultur gewährt, wobei sehr schnell klar wird, dass die Unterschiede doch nicht so gross sind. Die Angst vor einer ungewissen Zukunft, das Fehlen von finanzieller Sicherheit – eine Wirtschaftskrise beeinflusst die Menschen auf der ganzen Welt in ähnlicher Weise. Trotzdem ist der Film nicht düster und lässt Raum für Hoffnung, genau wie die Figuren der Geschichte, die sich von den widrigen Umständen nicht unterkriegen lassen. 

 

Ein sehenswerter Film mit unaufgeregter Filmsprache, der durch seine zurückhaltende Erzählweise, die Gefühlswelt seiner Protagonisten greifbar macht. 

 

  • Ilo Ilo (Singapur, 2013)
  • Regie & Drehbuch: Anthony Chen
  • Darsteller: Yeo Yann Yann, Chen Tianwen, Angeli Bayani, Koh Jia Ler,
  • Jo Kwek
  • Laufzeit: 99 Minuten
  • Kinostart: 5. Juni 2014
Sule Durmazkeser / Mi, 04. Jun 2014