Ahnungslose Männer

Movie-Kritik: Promising Young Woman
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© Universal Pictures International Switzerland.

Oscarprämierte Drehbuchautorin und Regisseurin Emerald Fennell war im achten Monat schwanger als sie in nur 23 Drehtagen ihr Spielfilmregiedebut abdrehte. Drei Wochen nach Drehschluss kam ihr erstes Kind auf die Welt. Dies allein ist eine beachtliche Leistung. Und lässt einen sehr schmunzeln, beachtet man wie viele von Fennells männlichen Filmemacher Kollegen gerne das Image des leidenden Künstlers benutzen. Ahnungslose Männer eben. Und darum dreht sich der Film gemäss seiner Trailer-Synopsis. Cassandra (Carey Mulligan, «Far from the madding crowd») geht jedes Weekend in Bars und Clubs auf Beutefang. Dabei verhält sie sich komplett benommen und betrunken. Das typisch «dumme» Mädchen, welches zu viel Alkohol trinkt und dann nicht mehr auf dein eigenen Beinen stehen kann. Nur eben dass Cassandra weder dumm noch wasted ist. Dies merken dann auch alle netten Kerle, die so nett waren sie aus der Bar, rein in ihr Bett zu bringen und sexuell auszunutzen. Nur dass es eben nichts auszunutzen gibt.

 

Handelt es sich bei «Promising Young Woman» um einen Rachefilm? Ja. Und den ersten wahrhaft weiblichen Rachefeldzug. Sieht man sich Gewalt- und Suizidstatistiken an, fällt auf, dass Frauen weitaus weniger Gegenstände wie Messer, Schwerter oder Schusswaffen gebrauchen. Aber in den meisten Revenge-Filmen scheinen dies die präferierten Waffen zu sein, sagen wir, im Vergleich zum Intellekt. Schaut man sich diese Kultfilme genauer an, stammen sie zu 100% aus der Feder von männlichen Autoren, ahnungslosen Männern eben, die von sich auf die weibliche Hauptfigur projezieren. In «Promising Young Woman» gibt es also keine Gewalt, keine Toten und Cassandra benutzt nie Waffen? Die Antwort lautet drei Mal nein, es gibt Gewalt, es gibt Tote und ja Cassandra packt an, siehe auch das aufschlussreiche Poster. Nur eben nicht so plump wie in den meisten anderen Filmen, wo voll und ganz nach Wasserfall gearbeitet wird. Die Protagonistin heckt jahrelang einen Rachefeldzug aus, den sie dann ganz stur von A bis Z abarbeitet. Nope Cassandra ist da eher agil und Scrum-mässig unterwegs.

 

Und genauso agil gestaltet Fennell die Geschichte. Cassandra ist keine Überfrau die alles im Griff hat. Das Gegenteil ist der Fall. Sie ist 30, lebt bei ihren Eltern und ihre wöchenendlichen Ausfüge sind als üble Sucht dargestellt und nicht als eine befreiende, erlösende oder befriedigende Tätigkeit. Sie sitzt fest. Dies wird insbesondere durch das zufällige Wiedertreffen mit ihrem ehemaligen Studienkollegen Ryan (Bo Burnham) sichtlich. Plötzlich muss sich Cassandra zwischen Rachefeldzug oder Date entscheiden. Fennell fackelt auch hier nicht lange rum, sondern wechselt gern mal ohne Vorwarnung in das Rom-Com Genre. So bringt sie Cassandra in eine verzwickte Sitation, als diese durch Ryan erfährt, dass Alex Monroe (Chris Lowell) - mit dem Cassie eine Rechnung offen hat - wieder in der Stadt ist.

 

«Promising Young Woman» ist eine Wucht. Auch stilistisch. Regenbogenfarben, viel «Girlie Stuff», Popsongs, und last but not least, gelbes Karo, sorgen für Feel-Good-Laune. Fennell war dieser Aspekt sehr wichtig. Zum einen, weil sie diesen Stil persönlich einfach liebt und zum anderem weil sie es satt hatte, dass weiblicher Stil in Filme immer als unterlegen repräsentiert wird. Kann Frau Pink tragen und trotzdem durchtrieben sein? Yes, she can. Kameramann Benjamin Kračun zitiert «Clueless» (einer von Fennells Lieblingsfilmen) explizit als Vorlage. Uns so macht «Promising Young Woman» auch einfach enorm viel Spass ohne an Substanz, Subtilität, Tiefe oder Konsequenz zu verlieren. Der Film ist gar so konsequent, dass bei einem Testscreening zwischen zwei Zuschauern ein Streit entfachte. Während die eine Person das Ende als nicht vertretbar empfand, fand es die andere Person genial und perfekt. Dieser Zwist zeigt sich auch in den Texten vieler Filmkritiker. Insbesondere ahnungsloser männlicher Kritiker, die meinten Fennel hätte sich gegen Mitte des Filmes in eine Ecke geschrieben und käme da nicht raus. Besagte Männer meinten auch, dass Ende sei komplett unerwartet und ein Hammer ins Gesicht. Aber den grössten Vogel schoss ein männlicher Kritiker ab, der meinte er hätte lieber Produzentin Margot Robbie in der Rolle der Cassandra gesehen, weil sie «heisser» sei. Der arme, ahnungslose Mann verstand wohl nicht, dass der Film explizit darauf hinweisen möchte, dass Cassandra eben nicht komplett verführerisch im Ausgang aussieht und viel wichtiger: das Verhalten der Männer wäre eben nicht gerechtfertigt, würde eine Margot Robbie herumliegen, statt einer Carey Mulligan. Das Verhalten ist nie gerechtfertigt. Punkt. Besagter ahnungsloser Mann wurde öffentlich von Carey Mulligan gezwungen, sich zu entschuldigen, da er sie als «zu unattraktiv für eine Vergewaltigung» deklarierte. Was sein Blatt dann tat. Ja in so einer Zeit leben wir.

 

Das Leben als Frau ist anstrengend. Deshalb ist die Katharsis am Ende des Films auch so fassbar und real. Und mit dem wohl perfektesten Schlusssong seit «Time of my Life» bei «Dirty Dancing». Gefolgt vom Wunsch im Kino eine Standing Ovation zu geben.

 

… um es in Cassandras Worte zu packen: ;-)

 

  • Promising Young Woman (UK, USA 2020)
  • Regie & Drehbuch: Emerald Fennell
  • Besetzung: Carey Mulligan, Alison Brie, Adam Brody
  • Laufzeit: ca. 113 Minuten
  • Kinostart: im Kino

 

Tanja Lipak / Di, 15. Jun 2021