Spannender Trip ins Brasilien der 70er
Es gibt immer wieder Filme, bei denen sind die Vorschusslorbeeren bereits riesig, bevor sie überhaupt in den Schweizer Kinos anlaufen. So ein Fall ist der brasilianische Film «The Secret Agent». Auf Social Media wird das Werk von Regisseur Kleber Mendonça Filho bereits mit den Oscars im kommenden Frühling in Verbindung gebracht und selbst renommierte Medien steigen in den Chor aus Lob ein. Was steckt also hinter dem Film, der Hauptdarsteller Wagner Moura («Narcos», «Civil War») die Tür zur Welt endgültig öffnen könnte?
Brasilien 1977, eine Zeit voller Schikane – so sagt es eine Beschreibung im Film. Ein fast kitschig gelber Käfer biegt in eine Tankstelle ab. Im Staub liegt ein Toter, beim Stehlen erwischt und erschossen, verweht er jetzt in der Sonne, weil ihn im Karneval niemand abholt. Ein unscheinbarer, aber charismatischer Mann sitzt im Käfer und ist ab der Situation sichtlich angespannt. Irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein. Plötzlich taucht die Polizei auf und kontrolliert den Mann und sein Auto. Der Mann - Marcelo heisst er, erfahren wir später - bleibt ruhig, seine Augen zeugen aber von Nervosität. Als der Polizist unverhohlen Bestechungsgeld fordert, kann ihn Marcelo mit Zigaretten abwimmeln.
Die Eröffnungsszene legt gleich die Parameter fest. Da ist der Mann, Marcelo, unser Hauptdarsteller. Gespielt wird er vom eingangs erwähnten Wagner Moura mit Coolness und Charisma. Gleichzeitig wird in den ersten Minuten der Ton des Films festgelegt. Es ist eine feine Mischung aus trockenem Humor und einer kühlen, sich in Alltäglichkeiten verlierenden, aber trotzdem Interesse weckenden Ästhetik, die durchaus auf dem Konsum des einen oder anderen Werks von Tarantino beruhen könnte. Und man fühlt sich so heftig in die 70er versetzt, dass man sich ab der hervorragenden Arbeit der Ausstattung völlig vergisst.
Eine Welt voller skurriler Figuren
Marcelo fährt also weiter nach Recife, wo er bei einer älteren Dame, Dona Sebastiana, einzieht. Das Haus ist ein wunderbar kunterbunter Haufen, der das Herz am rechten Fleck hat. Einst war Marcelo Institutsleiter an der Uni, aber ein geldgieriger, korrupter Vorgesetzter ist ihm blutig dazwischen gegrätscht. Marcelo bliebt nur die Flucht nach vorne, zurück zu seinen Wurzeln. Jetzt jobbt er in einem Archiv, um sich mit seinem Sohn ein neues Leben aufzubauen. Aber so leicht ist das nicht, wenn man mächtige Menschen verärgert hat.
Mehr sollte man zur Geschichte gar nicht wissen, denn «The Secret Agent» lässt seine Hintergründe bewusst lange im Unklaren, baut dafür langsam und genüsslich sein Narrativ auf, zieht die Welt hoch, in der wir uns befinden. In dieser wimmelt es vor skurrilen Figuren. Da ist natürlich Dona Sebastiana, die quirlig und lieb ist, aber auch ein Geheimnis zu haben scheint. Oder Udo Kier als genervter, deutscher Soldat, der kurz mächtig auf den Putz hauen darf. Oder eine Katze mit zwei Gesichtern, die locker aus dem Verstand von David Lynch geflohen sein könnte. Dem Film gelingt es hervorragend, aus solch liebevoll gestalteten Kleinigkeiten, aber auch als Alltäglichkeiten Spannung zu generieren. Einerseits erzeugt das eindringliche Spiel von Wagner Moura eine Nähe, man fühlt mit seiner Figur mit. Andererseits macht die Geschichte neugierig.
Marcelo (Wagner Moura» und der gelbe Käfer. (©trigon-film.org)
«The Secret Agent» entfaltet sich wie ein gemächliches Puzzle. Nach einer halben Stunde weiss man knapp den Namen der Hauptfigur, die aber genau wegen dieser Geheimniskrämerei interessant bleibt. Zwar gibt es immer mal wieder kleine Hinweise. Mal ein Foto oder ein Satz, aber wirklich viel erfahren wir lange nicht über Marcelo. Erstaunlicherweise zieht genau dieser Ansatz immer mehr in den Film. Man will mehr über die Menschen und ihre Geschichte wissen.
Zweifellos ist der beeindruckende Cast ein immens wichtiger Punkt, warum der Film so wunderbar funktioniert. Allen voran Wagner Moura, der oft ohne Worte Emotionen und Gedanken zu vermitteln im Stande ist. Aber auch sein Sohn wird berührend verkörpert. Dona Sebastiana ist ein Highlight und ein Bisschen die gute Seele des Films. Aber auch die Polizisten und Marcelos Schwiegervater oder die ominöse Elza sind grossartig besetzt.
«Das Omen» und «Der weisse Hai» als Referenzen an die Filmgeschichte
Für Filmnerds wirft «The Secret Agent» einen amüsanten Seitenblick auf die Historie des Films. Wenn etwa im Kino des Schwiegervaters von Marcelo eine Frau kreischend aus dem Kino kommt, weil sie beim Sehen von «Das Omen» besessen wurde, greift das durchaus bewusst die kontroverse Diskussion um den Einfluss von Horrorfilmen auf, die in der Filmgeschichte immer wieder ein Thema war. Ebenfalls findet «Der weisse Hai» prominente Erwähnung, was im erzählerischen Kosmos der 70er durchaus Sinn ergibt und zudem direkten Bezug auf die Story nimmt.
Von Anfang an wird die Story fein gestrickt, was über weite Strecken funktioniert. Allerdings bleiben einige Stränge offen, möglicherweise bewusst. Gerade ein zentraler Handlunsstrang bleibt teilweise ungewiss, was dazu führen könnte, dass das Ende kontrovers diskutiert wird. Trotzdem ist es plausibel gelöst. Und die schlaue Nebenstory, die die Geschichte begleitet, hätte etwas mehr Screentime verdient, weil sie jetzt etwas blass bleibt. Aber trotz dieser kleinen Schönheitsfehler, die dazu noch subjektive betrachtet werden können, ist Kleber Mendonça Filho ein bemerkenswerter und packender Film gelungen.
Bleibt noch die Frage nach eingangs erwähnten Vorschusslorbeeren auf die Oscars. Für «Bester fremdsprachiger Film» dürfte «The Secret Agent» klar eine Nominierung bekommen und auch realistische Chancen haben. Auch für «Bester Film» und als Hauptdarsteller für Wagner Moura könnte es reichen. Bedenkt man, dass die Academy in den letzten Jahren offener ist («Bester Film»-Oscar für «Parasite», «Anora» oder «Everything Everywhere All At Once»), ist viel möglich und verdient wären alle Preise.
«The Secret Agent» versteht es mit geschickter Erzählweise, visuell überzeugender Bildsprache und einem hervorragendem Cast über 2,5 Stunden zu überzeugen.
- The Secret Agent (Brasilien 2025)
- Regie: Kleber Mendonça Filho
- Drehbuch: Kleber Mendonça Filho
- Besetzung: Wagner Moura, Maria Fernanda Candido, Udo Kier, Tania Maria, Gabriel Leone, Carlos Francisco
- Laufzeit: 158 Minuten
- Kinostart: 13. November 2025





















