«Die Sonne wird auf jeden Fall scheinen heute Nacht»

Interview mit FILTER
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Facebook: FILTER

Bäckstage traf bei bestem Wetter am Open Air Gampel die Band FILTER vor ihrem ersten Europakonzert nach über zwei Jahren. Bestens gelaunt erzählten der Frontmann und ehemalige Nine Inch Nails Gitarrist, Richard Patrick, sowie der FILTER-Gitarrist Jonny Radtke über ihr neues Album, die Freundschaft zu Trent Reznor und die kommende Support-Tour mit den Stone Temple Pilots.

 

Kürzlich konnte man auf Facebook lesen, dass ihr Probleme mit dem Tourbus hattet, was zu diversen Showabsagen führte – wie seid ihr nun hierher nach Gampel gekommen?

 

Richard: Wir hatten viele Probleme mit diesem Bus, aber wir werden in diese Städte zurückkehren und spielen. Glücklicherweise haben wir einen lokalen Bus-Service hier in Europa engagiert. So weit ist alles gut, jedoch riecht er etwas nach WC. Aber es ist ein netter Bus.

 

Wir sind hier inmitten der Alpen. Habt ihr jemals während der 20-jährigen Karriere von Filter umgeben von Bergen gespielt?

 

Richard: Ich habe noch nie an einem solch wunderbaren Ort gespielt während meiner Karriere. Der einzige Ort, der ähnlich ist, ist Österreich.

 

Jonny: Ja, Österreich ist wunderschön. Ich war zuvor in den Schweizer Alpen, jedoch habe ich noch nie hier im Tal der Alpen ein Konzert gespielt. Ich bin heute von einem Nickerchen aufgestanden, habe aus dem Fenster des Tourbusses geschaut und gesehen, wo wir sind und es hat mich weggeblasen – es ist wunderschön.

 

Richard: Gampel ist wohl einer der majestätischsten Orte, an denen ich jemals war.

 

Als wir angefangen haben mit der Platte, fühlte es sich richtig an. Du kannst Jahre mit deiner Karriere verbringen und findest nie die Person, mit welcher die Zusammenarbeit wirklich funktioniert.

 

Euer neues Album «The Sun Comes Out Tonight» kam Ende Mai heraus. Ein interessanter Name für ein Album – wie kam es zu diesem Titel? 

 

Richard: Während meiner Kindheit, besser gesagt, während meinen Entwicklungsjahren, war die einzige Hoffnung, die du haben konntest, dass es besser wurde. Die Sonne, die während der Nacht rauskommt, beschreibt auch das Licht am Ende des Tunnels – etwas Unmögliches passiert, das dazu führt, dass es dir besser geht.

 

Jonny: Die Inspiration, woher der Titel kommt, besteht in der Erinnerung an längst vergangene Zeiten, als wir sehr oft Drogen genommen haben. Jeder kann es so interpretieren, wie er gerne möchte. Für uns war es vom Unmöglichen inspiriert zu sein, das Licht am Ende des Tunnels, die Zündung der Kreativität.

 

Richard: Selbst in der dunkelsten Stunde – sei es wegen Drogen, sei es wegen totalen Abstürzens – du kannst die Sonne rauslassen in der Nacht.

 

Richard, für fast jedes Album hattest du einen anderen Kollegen an deiner Seite. Für das neue Album ist dies Jonny Radtke – hast du jetzt das Gefühl, dass es funktionieren wird mit ihm?

 

Richard: Mit allem Respekt an die Bandmitglieder, die ich hatte, aber Jonny bringt eine extreme Expertise als Gitarrist mit. Er kommt auch aus derselben Art Welt wie ich und versteht, was FILTER tun. Stil ist alles. Wenn also jemand dabei wäre, der alles kann und mit einem Eddie-Van-Halen-Solo kommt, müsste ich ihm sagen: Du, das ist etwas, das wir nicht machen! Jonny ist einfach jemand, der genau weiss, was wir spielen und stilistisch passen wir sehr gut zusammen. Er bringt sowohl alles als Gitarrist in die Band, jedoch auch Textideen, Melodieideen – eigentlich alles und bis zu Ideen zum Artwork der Platte. Es rockt halt einfach! Jonny, was sagst du über unsere Art der Zusammenarbeit?

 

Jonny: Als wir angefangen haben mit der Platte, fühlte es sich richtig an. Du kannst Jahre mit deiner Karriere verbringen und findest nie die Person, mit welcher die Zusammenarbeit wirklich funktioniert. Gleich zu Beginn, als wir zusammen mit der Arbeit an den Songs gestartet haben, fühlte sich die Zusammenarbeit einfach richtig an. Und so eine Person zu finden, geschieht selten.

 

Jonny, wie war es für dich, als du FILTER beigetreten bist. Du wurdest also gleich zu Beginn in das neue Album involviert?

 

Jonny: Es ist eine Ehre und ein Vergnügen, mit Rich zu arbeiten! Wir kennen uns bereits seit vielen Jahren, da wir beide in Chicago lebten. Wir wollten immer zusammenarbeiten – speziell ich wollte immer mit Rich arbeiten. Nicht nur zusammen spielen, sondern auch zusammenwirken. Es passte wie die Faust aufs Auge. Sei es im Studio, auf Tour wie auch auf der Bühne, was grossartig ist!

 

Ich habe einen Tweet von Richard gelesen, dass du zu Trent Reznor gegangen bist und ihm dein neues Album vorgespielt hast  - konntest du auch bereits das neue Nine Inch Nails Album anhören?

 

Richard: Er sagte mir, dass er im Augenblick an einem neuen Nine Inch Nails Album arbeitet und war zu diesem Zeitpunkt am Mixen. Dies war gleich, nachdem die How to Destroy Angels Sachen rauskamen. Ich dachte mir nur: Wow, es gibt ein neues Nine Inch Nails Album und niemand ausser mir, Trent und einer Handvoll anderer Leute wissen davon. Deshalb musste ich meinen Mund dazu halten. Trent macht grossartige Dinge und es macht immer Spass, ihn zu treffen. 

 

Als du Nine Inch Nails verlassen hast, hörte man oft, dass Trent und Du getrennte Wege gehen. War dies so?

 

Richard: Wir sind ein paarmal aufeinandergetroffen. Es war freundlich und wir waren Bekannte. Aber wenn du in ein gewisses Alter kommst, dann fragst du dich: Wie viele Leute kenne ich noch von ganz früher? Dies ist meist nur eine Handvoll Leute. Deshalb sagte er zu mir: «Ich will, dass wir Freunde sind» und ich sagte auch, dass ich dies will. Früher, als wir in Cleveland waren, waren wir kurz vor dem Knast, weil wir Biere aneinander geschmissen haben in Bars. Es war rücksichtlos und apathisch – wie wenn wir aufgeben würden. Dies war mit 20. Und nun ist Trent so ein Riesending und ich arbeite selbst sehr viel. Man muss seine Freunde behalten und es ist wichtig, die Leute zu kennen, die du gekannt hast. Schlussendlich kenne ich Trent seit ich 14 Jahre alt war und wir haben so viele Dinge gemeinsam. Es ist eine lange Bekanntschaft und es wurde uns bewusst, dass wir diese Bekanntschaft in eine positive und gute Freundschaft umwandeln sollten.

 

Bald werdet ihr mit den Stone Temple Pilots auf US Tournee gehen. Nach dem Rausschmiss von Scott Wieland haben sie nun Chester Bennington von Linkin Park als Sänger. War Stone Temple Pilots mit Richard Patrick nie eine Option?

 

Richard: Wir hatten zusammen das Projekt Army of Anyone. Dies war für mich eine Lektion, dass die Leute mich bei FILTER wollen. Es gibt viele Leute, die dieses Album sehr mögen, jedoch wurde auch mir bewusst, dass ich FILTER liebe und sehr mag, was ich dort mache. Army of Anyone war ein grosses Unterfangen, denn wenn du einen neuen Bandnamen branden willst, dann ist dies sehr schwierig in der heutigen Zeit. Selbst Bands wie The Black Keys gibt es bereits seit zwölf Jahren. Sie mussten sich das alles während dieser Zeit hart abverdienen um dorthin zu kommen, wo sie jetzt sind. Rebranding zieht auch einen automatischen Vergleich mit sich. Es wird Leute geben, die sagen: «Oh, Scott ist jetzt bei Velvet Revolver, also haben sie diesen Typen von FILTER genommen und nennen sich nun Army of Anyone!». Dem Projekt wurde nie eine faire Chance gegeben, sondern es wurden immer automatisch Vergleiche herbeigezogen. Chester ist ein Riesenname in der Musik. Dies wird den Leuten von Stone Temple Pilots sicher helfen. Und er ist sehr gerne dort dabei! Jedoch war ich schockiert, als ich die Facebook Seite von STP besucht habe. Es gab tausende von Likes für diese Meldung, jedoch auch dieses Rummeckern von Fans, wie «Es ist nicht STP ohne Scott». Jedoch versuchen sie voranzugehen und ein Leben zu haben, was mit Scott halt einfach nicht mehr möglich war. Manche Leute verstehen das einfach nicht, jedoch ist dies nun einfach so! Ich hoffe, dem Ganzen wird eine faire Chance gegeben. Sie haben so viele tolle Songs und ein grosses Erbe – irgendwie tut es mir leid für sie und es ist schwierig, denn Scott ist ein grossartiges Talent.

 

Wir waren jedoch mal in einer riesigen Arena in New Jersey und diese musste zweieinhalb Stunden länger wegen Scott geöffnet bleiben. In solchen Arenen gibt es hunderte von Leuten, die dort arbeiten und schlussendlich nur bleiben mussten, weil Scott noch ein Nickerchen machte und das Konzert verschob. An einem gewissen Punkt hat man einfach eine Berechenbarkeit – sie wollen professionell sein und Rock spielen, dann müssen sie auch professionell sein, zur rechten Zeit auftauchen, die Show spielen und eine grossartige Zeit beim Spielen haben. Ich hoffe, dies bringt Scott zur Vernunft und sorgt dafür, dass er sich wieder mehr fokussiert, denn er ist ein grossartiges Talent! Ich mag auch die DeLeo-Brüder und stehe hinter ihren Entscheidungen, denn ihnen geht es nur um die Fans, während Scott dies scheissegal ist. Ich kann dies nicht verstehen, denn auch für mich sind die Fans das Wichtigste und ich schüttle jedem Fan nach der Show die Hand und jeder, der mich treffen will nach dem Konzert, kann dies auch tun. Leider ist dies in Gampel etwas schwierig, da wir keinen Merch-Stand haben, aber normalerweise bin ich nach dem Konzert vor der Bühne und treffe die Leute, weil ich es schätze, dass die Leute kommen, wie auch die Leute es schätzen, dass ich dies mache! Scott hat jedoch nicht dieses Denken. STP sind momentan Nr. 1 in den Rock Charts und da wir Freunde sind und sie unsere Musik mögen, nehmen sie uns als Support mit, was ich sehr schätze, denn sie hätten jeden mitnehmen können.

 

                FILTER (Quelle: Facebook von FILTER)

 

Werdet ihr auch ein paar Army of Anyone Songs spielen auf der Tour?

 

Jonny: Wir haben eine E-mail erhalten, in der steht: Probt ein paar Songs.  Es könnte also etwas geben …

 

Kürzlich hatten wir ein Interview mit einer jungen, aufstrebenden Band, die ihr Debüt-Album durch Crowdfounding finanziert hat – was sind eure Erfahrungen hierzu als ältere, profilierte Band? (Anm. d. Red: FILTER hatten ein Crowdfounding Projekt, um ihre Welttournee zu finanzieren)

 

Jonny: Wir haben um die ganze Welt eine Fanbasis, jedoch ist heutzutage der Toursupport der Plattenfirma nicht mehr derselbe, der er früher war. Klar haben wir die Möglichkeit, nach Europa zu kommen und zu touren, jedoch ist dies mit zahlreichen Kosten verbunden – die Crew, Flüge, Tourbusse, Ausrüstung – das summiert sich. Jedoch wollen wir auf der ganzen Welt für unsere Fans da sein. Das Coole an diesen Start-ups, wie Kickstarter und Indiegogo ist, dass es dir eine direkte Beziehung zu den Fans gibt. Die Vorteile, die dabei waren, waren zum Beispiel mit Richard einen Kaffee zu trinken oder solche Sachen, was wirklich cool ist, denn für einen Hardcore-Fan können so Träume erfüllt werden und dies ist auch die schöne Seite an solchen Projekten. Als etablierte Band haben wir natürlich viel mehr Ressourcen für solche Projekte und können viel mehr Leute erreichen als eine brandneue Band. Ich weiss also nicht, wie dies funktioniert für eine Band, die noch keine Fanbasis hat – die haben es sicher ziemlich schwierig. Für uns hat es jedoch gut funktioniert. 

 

Richard: Es ist schon eine Zeit her, seit FILTER das letzte Mal hier waren. Wir haben vor zwei Jahren in einem kleinen Club in Zürich gespielt (Anm. d. Red.: im Abart). Wir sind also nicht oft genug hier. Und als wir dieses «Army of Anyone»-Projekt hatten, da haben wir in London vor 5000 Leuten gespielt. Als ich dann wieder mit FILTER gespielt habe, da haben wir vor 2000 Leuten gespielt. Es ist offensichtlich, dass der Markt übersättigt von Bands und Musik ist und man sich alles erarbeiten muss. Wir sind also nun hier zum Arbeiten. Zurück zum Crowdfounding: Wenn du für Musik nichts bezahlst, können es sich die Plattenfirmen auch nicht leisten, ihre Bands touren zu lassen. Die Budgets sind überall am Schrumpfen, jedoch muss man auch rausgehen können und spielen! Wenn die Leute also nichts für die Musik bezahlen wollen und die Plattenfirmen es sich nicht leisten können, ihre Bands rauszuschicken, dann muss man die neuen Wege nutzen, zu den Leuten zu kommen. Und Kickstarter usw. scheinen zu funktionieren! Schlussendlich geht alles über die Fans! Wir sind nun nur 11 Tage auf Europatour – hier geht’s nicht ums Geld machen, sondern es ist ein Investment zum Zeigen, wie unsere neuen Sachen sind und damit wir im Januar zurückkommen und während sechs bis acht Wochen richtig in Europa spielen können.

 

Ihr werdet um 1 Uhr morgens spielen – wird die Sonne heute Nacht rauskommen?

 

Richard: Wird um diese Zeit eigentlich jemand auftauchen? Kennen uns die Leute in der Schweiz? Kennen uns die Leute hier in Gampel? 

Falls sie euch nicht kennen, werden sie euch garantiert nach dem Auftritt kennen.

 

Richard: Genau das ist unser Ziel! Die Sonne wird auf jeden Fall scheinen heute Nacht. Es wird furchteinflössend, grossartig, aufputschend und eine Riesenfreude – schlussendlich wird es eine grosse Entlastung, also eine grosse Erleichterung! Wir wollen die Leute auf eine Reise nehmen mit unserer Musik. Wir wollen nicht rausgehen und immer das Gleiche machen. Unser Set ist massgeschneidert, damit es dich glücklich, schockiert, wütend, zufrieden und fröhlich macht – also alles auf einmal.

 

FILTER - «What Do You Say»

 

Hansjürg Stämpfli / So, 25. Aug 2013