Von Menschen und Betriebsystemen

Movie-Kritik: Her
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Im Verleih von Ascot Elite

«Wir verbringen ein Viertel des Lebens im Schlaf und sind vielleicht genau dann frei», ist ein zentraler Satz in «Her». Er bringt das Dilemma auf den Punkt, das Spike Jonze in seinem Film auf die Spitze treibt. Wir sind ständig vernetzt, dringen in virtuelle Welten vor, verstecken uns hinter Avataren, chatten mit Mr. und Mrs. Unbekannt und dringen immer tiefer in den Datendschungel vor. Die Technologie um uns herum macht das Leben zwar einfacher, aber sie macht auch abhängig und - das ist oft ein schleichender Prozess - einsam. Ist daher die Rückzugsmöglichkeit des Schlafs die wirklich letzte wahre Freiheit?

 

Theo beim Diktieren von gefühlvollen Briefen. 

 

Theo lebt in einer durch und durch modernisierten Welt und fälscht ein Stück zwischenmenschliche Magie, ein Quäntchen Romantik, eine letzte Bastillon quasi. Er diktiert einem Computersystem fremde Briefe, die dann in perfekter Handschrift ausgedruckt werden und den Schein von Menschlichkeit vorgaukeln. Tagein, tagaus macht Theo nichts anderes, als Worte zu formulieren, die andere Menschen als die eigenen ausgeben. Dann geht er nach Hause, plätschert mit dem Menschenstrom durch Betonschluchten und taucht in die Anonymität der U-Bahn ein. Schliesslich verkriecht er sich in seinem Appartement und sieht geliebte Menschen kaum noch. Seine Ehe ist längst zerbrochen. Woran es gelegen hat, weiss selbst Grübler Theo nicht so ganz.. Theo ist heilloser Träumer und Romantiker. Sind Romantiker in der technologisierten Welt auf verlorenem Posten? Das Beispiel von Theo legt diesen Schluss nahe, denn mit realen Frauen kann er nicht wirklich umgehen, doch in virtuellen Welten fehlen ihm nie die richtigen Worte und doch verstärkt die Flucht in die Virtualität seine menschlichen Makel nur noch.

 

Theo nach Feierabend. 

 

Eines Tages verändert sich das Leben von Theo grundlegend. Er kauft OS1. Was bezeichnenderweise sehr leer klingt, erweist sich letztendlich als Glücksgriff. OS1 ist ein Betriebssystem, das selbstständig denken kann, lernfähig ist und sich auf den User einstellt. Plötzlich spricht die Stimme des Betriebssystems mit Theo und es dauert nicht lange, bis er verzaubert ist und sich immer mehr in die Computerstimme Samantha, die wie Scarlett Johansson spricht, verliebt. Der romantische Theo trifft Sam auf einer neuen metaphysischen Ebene zu intimen Gesprächen und plötzlich funktioniert die Beziehung auf Basis der Vorstellungskraft. Aber langsam schleichen sich gar menschliche Probleme wie Eifersucht und Neid ein. 

 

«Her» ist ein kleiner Film über eine weltumspannende Liebe, die trotz der perfekten Prämisse doch ihre Fehler hat. Gibt es die perfekte Liebe überhaupt? Und muss es sie geben? Und ist sie in der digitalen Welt leichter zu finden? Solche Fragen stellt der neue Film von Spike Jonze («Being John Malkovich») gleich reihenweise und nicht sehr subtil. Subtil ist allerdings die Art, wie auf die Fragen eingegangen wird, das geschieht auf sehr direkte, aber nicht voyeuristische Art. Der Film zeigt, wie sich die sanften Sympathien zwischen Betriebssystem und Mensch zärtlich entwickeln, zeigt, wie der Mensch langsam den Bezug zur Realität verliert, erzählt von Zweifel und Erfüllung und geht so auf eine gesellschaftliche Entwicklung ein, die zwar noch weit entfernt scheint, aber doch beängstigend nah ist. 

 

In der Freizeit schaut sich Theo schöne Sachen an. Immer im Ohr: Die virtuelle Freundin Samantha. 

 

Auf jeden Fall haben wir es hier mit einem vielschichtigen Film zu tun. Neben der zärtlich inszenierten Geschichte ist auch der feinfühlige und sehr durchdachte Stil immens wichtig. Es sind zum Teil lange Einstellungen, die durch die ruhige Bildebene den Ausführungen von Samantha sehr viel Gewicht geben, zusätzlich unterstreicht die emotionale Sprache, die Johansson findet, die menschliche Note des Computers. Es ist aber auch der optische Widerspruch zwischen der kühlen und modernen Thematik und dem optisch an den 70ern orientierten warmen Kleider- und Einrichtungsstil. Moderne versus Sehnsucht nach bekannten Mustern. Und nochmals gebrochen wird die Ebene mit der Musik von Arcade Fire und Karen O, die mit ihrer Musik die poetische Seite zusätzlich unterstreichen und dabei sehr handgemacht klingen. Wunderbar. Die Geschichte von Theo und Sam ist nämlich sehr intensiv inszeniert und die Thematik gibt sowohl als ungewöhnliche Liebesgeschichte viel her als auch durch die Thematik der Vereinsamung in der Gesellschaft und der Suche nach neuem – oder sich selbst. Fast ist man versucht, sie als kleines Roadmovie über die Prärien zwischen den Datenautobahnen zu metaphorisieren. Joaquin Phoenix als Theo und Scarlett Johansson, die Sam spricht, geben dem durchdachten Drama durch ihre jeweiligen Parts das gebührende Leben. Johansson durch die frechen und manchmal sarkastischem Sprüche und Phoenix durch die Darstellung des liebenswerten Romantikers, der zunehmend mit realen Frauen überfordert ist.

 

Und so fragt man sich am Schluss, ob Jonze mit «Her» eine schöne Utopie zeigt oder doch eine beängstigende Diystopie.

 

Her (USA 2013)

Regie: Spike Jonze

Drehbuch: Spike Jonze

Darsteller: Joaquin Phoenix, Scarlett Johanson, Amy Adams, Rooney Mara

Laufzeit: ca. 126 Minuten

Dvd-Start: 28. August 2014

Patrick Holenstein / Mo, 08. Sep 2014