Tromperie – Täuschung in der Täuschung

Moviekritik: Tromperie
Bildquelle: 
©Xenix Films

Wo beginnt Wirklichkeit, wo endet Fiktion?

 

Diese Frage prägt das Werk von Philip Roth. Arnaud Desplechin greift das Thema in seinem neuen Film auf, basierend auf dem Buch «Deception» vom jüdisch-amerikanischen Autor.

 

Die erzählerischen Ebenen überschlagen sich, als das Buch, auf den erotischen und emotionalen Erfahrungen basierend, welche den Film inspiriert haben, im Film selbst veröffentlicht wird. In einer Szene behauptet der Protagonist gar, alle Dinge, die er in sein Notizbuch über seine Affären niederschreibt, seien Fiktion. Wenn also das Notizbuch, das beschreibt, was der Film zeigt, basierend auf einem Buch eines in der Realität in einer anderen Version existierenden Schriftstellers, in dessen Werk nie ganz klar wird, inwiefern er über sich selbst spricht, frei erfunden ist, gibt es dann einen wahren Kern? Ihre Autobiographie werde für Fiktion gehalten, ihre Romane für ihr authentisches Leben, ruft die Hauptfigur an einer Stelle in «Tromperie» entnervt aus.

 

Ambig ist im Film die Trennschärfe zwischen Fiktion und Realität, zwischen echten und falschen Lieben, und genau so unklar bleibt die Motivation des Protagonisten. Hauptdarsteller Denis Podalydés versteht es, diese Ambiguität überzeugend zu spielen. Das Gesicht von Philip Roth ist nur schwer zu interpretieren. Aus seinem Blick auf die Frauen, welche er trifft, spricht unbestreitbar Aufmerksamkeit. Er sieht die Frauen nicht obsessiv an, aber unaufhörlich. Er saugt in sich auf, wie sie sind, was sie zu ihm sagen, und gibt es – zumindest im Film – in seinem Werk als Inhalt wieder. Zu diesem Fokus passt auch der Iris Shot, der vermehrt zum Einsatz kommt. Wenn er nicht aufmerksam zuhört, fliessen ihm trockene und ironische Pointen aus dem Mund, die die Figuren und Zuschauer amüsieren und verunsichern.

 

Spannend ist auch die Thematisierung des Konflikts zwischen Darstellung von Frauenfiguren und der Haltung zu Frauen des (fiktiven?) Autors im Film. In einer Szene findet sich Roth kurz nach einer Anspielung des Films auf Kafkas Buch in einem Prozess wieder und muss sich für seine Eskapaden rechtfertigen. Vor Gericht bittet die Hauptfigur um eine klare Trennung zwischen Autor- und Erzählfigur, bevor sie die Staatsanwältin mit groben Worten zu verführen versucht – auch hier ist nicht klar, auf wie vielen Ebenen Ironie mitschwingt.

 

Der Surrealismus wird im Werk durch den Schnitt verstärkt. Teils sind Erzählungen von Figuren durch frappante, aber flüssig editierte Einschübe zu Erinnerungen begleitet. Zwischen verschiedenen Szenen scheinen oft auch Monate oder Jahre zu vergehen, was die fehlende Kontinuität unterstreicht. Im Kontrast dazu gibt sich «Tromperie» einer Ästhetik hin, die sehr ansprechend ist. Die Kostüme sind in geschmackvollen und passenden Farben entworfen, die Bildkomposition meist harmonisch.

 

Bezeichnend ist, dass sich das Publikum wie die Frauen nach einiger Zeit nicht mehr sicher ist: Was ist echt? Was ist fiktiv? Was ist ironisch gemeint? Bis zum Ende wird diese Spannung nicht aufgelöst. Auf den Punkt bringt es der Protagonist selbst, als er seiner Ehefrau erklärt, er habe die weibliche Gestalt in seinem Notizbuch erfunden. Er liebe sie mehr, weil sie nicht existiere. Wenn auch sie, seine Frau, nicht existierte, würde er sie genau so lieben können.

 

Ein Trip durch die Erinnerungen an Liebschaften von Philip Roth, der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt.

 

  • Tromperie (Frankreich 2021)
  • Regie: , Arnaud Desplechin 
  • Besetzung: Denis Podalydès, Léa Seydoux, Emmanuelle Devos, Anouk Grinberg
  • Länge: 103 Minuten
  • Kinostart: 9. Juni 2022

 

Jonas Stetter / Di, 14. Jun 2022