Rückkehr in eine fremd gewordene Heimat

Movie-Kritik: Go Home
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© Filmcoopi

«GO HOME» steht an einer Wand im Haus ihrer Grosseltern geschrieben – ihrem Zuhause. Nada (Golshifteh Farahani, «Paterson», «Exodus (Gods and Kings)») kehrt als junge Erwachsene an den Ort ihrer Kindheit zurück. Doch das vermeintliche Zuhause ist schon längst keines mehr. Das Haus ihrer Grosseltern ist nur noch eine Ruine voller Einschusslöcher, Patronenhülsen und Blutspuren – ein stummer Zeuge des verheerenden Bürgerkriegs, der im Libanon gewütet hat. Menschen sind gestorben, geflüchtet, verschwunden und die, die geblieben sind haben sich mit den Ereignissen arrangiert. Umso argwöhnischer beobachten die gebliebenen Dorfbewohner denn auch Nadas Rückkehr und ihre Versuche die Ruine wieder auf Vordermann zu bringen, um dadurch ein verlorengegangenes Stück Heimat wiederzuerlangen. Auch wenn Nada es zunächst nicht wahrhaben will, scheint die Vorstellung einer idyllischen Kindheit nur in ihrer Fantasie zu existieren. Denn je mehr sie sich mit den Dorfbewohnern auseinandersetzt, umso mehr Fragen werden aufgeworfen. Was geschah wirklich während des Kriegs? Wer waren die Guten, wer die Bösen? Auf welcher Seite stand der von ihr idealisierte Grossvater und was wurde aus ihm? Plötzlich läuft Nada Gefahr sich im Sog der Gerüchte, Erinnerungen und Gefühle zu verlieren. Doch der Besuch ihres Bruders Sam (Maximilien Seweryn) und die Bekanntschaft mit dem Nachbarsjungen Jalal (François Nour) verankern sie wider Willen mit der Realität und zwingen sie dadurch sich den Tatsachen zu stellen.

 

Nada lacht gerne, auch wenn sie sich mit ihren Wurzeln beschäftigen muss. (© Filmcoopi) 

 

Die libanesische Regisseurin und Drehbuchautorin Jihane Chouaib («Pays rêvé») setzt ihre Geschichte dort an, wo die Themen Flucht und Krieg eigentlich schon längst der Vergangenheit angehören sollten und verdeutlicht damit, dass auch Jahrzehnte im Exil es nicht schaffen, die vergangenen Wunden zu heilen. Nada kommt voller Hoffnung und Tatendrang in ihre Heimat zurück, nur um festzustellen, dass sie zu einer Fremden im eigenen Land geworden ist. Gleichzeitig möchte sie es nicht wahrhaben, dass ihr das Land, das ihr in ihrer Fantasie eine Heimat bot, in Wirklichkeit schon längst fremd geworden ist. «Go Home» ist somit eine Coming-of-Age-Geschichte unter erschwerten Bedingungen. Nadas Rückkehr ist gleichzeitig auch die Suche nach ihrer Identität, ihren Wurzeln, ihrer Geschichte. Doch jeder Aspekt dieser Suche wird durch den vergangenen Bürgerkrieg überschattet. 

 

Poetische wie auch beklemmenden Atmosphäre

 

Golshifteh Farahanis Verkörperung der Protagonistin ist beeindruckend. Es gelingt ihr auf überzeugende Weise, Nadas innerem Kampf zwischen Realität und Wunschvorstellung sowie ihrer Verzweiflung und Sehnsucht Ausdruck zu verleihen. Ihr zurückhaltendes, aber intensives Spiel wird unterstützt durch die vielen Nah- und Detailaufnahmen, die dazu führen, dass die Zuschauer nur Fragmente zu sehen bekommen, die sich erst allmählich zu einem Ganzen zusammenfügen. Neben der Kameraführung trägt auch das Set-Design massgeblich dazu bei, einen Zugang zum Innenleben der Hauptfigur zu ermöglichen. Gleichzeitig wird dadurch aber auch eine poetische wie auch beklemmenden Atmosphäre erzeugt. Um zu berühren und zum Nachdenken anzuregen, braucht der Film keine schockierenden Bilder. Nur einige wenige Gegenstände und winzige Details – ob Einschusslöcher, Blutspuren oder eine Kinderzeichnung an der Wand – reichen schon aus, um eine Geschichte zu erzählen. Dieser fast schon philosophisch anmutenden Dimension der immer noch hochbrisanten Thematik trägt auch die Location Rechnung. Denn das zerstörte Haus könnte überall stehen, in irgendeinem Land im Nahen Osten.

 

In ruhigen Bildern entwickelt «Go Home» eine ungeahnte emotionale Dichte und wirft Fragen auf, die zum Nachdenken anregen. Durch die fragmentarische und distanzlose Erzählweise ist es ausserdem möglich, das Gefühlschaos der Hauptfigur nachzuempfinden.

 

  • Go Home (Frankreich, Schweiz, Belgien, Libanon 2015)
  • Regie: Jihane Chouaib
  • Darsteller: Golshifteh Farahani (Nada) 
  • Laufzeit: ca. 98 Minuten
  • Kinostart: 28. September 2017

 

Sule Durmazkeser / Do, 28. Sep 2017