Liebeskummer in pseudointellektuell

ZFF 2023: Moviekritik zu Ingeborg Bachmann
Bildquelle: 
© 2023 Filmcoopi AG

Ingeborg Bachmann gilt als bedeutendste Lyrikerin des 20. Jahrhunderts, ja der nach ihr benannte Literaturpreis wird seit 1977 verliehen. Nun bekam auch sie endlich das Filmtreatment. Keine geringere als Margarethe von Trotta setzte sich mit einem selbstgeschriebenen Drehbuch auf den Regiestuhl. Bekannt für Biografien wie «Hannah Arendt» oder «Rosa Luxemburg», besitzt Margarethe von Trotta gewiss das richtige Gespür. Leider ist davon aber so rein nichts zu erkennen in ihrer Ingeborg Bachmann-Biografie mit Vicky Krieps in der titelgebenden Rolle und Ronald Zehrfeld als Max Frisch.

 

Max Frisch bekommt undankbare Rolle

 

Ingeborg Bachmanns Leben und Schaffen wird in ihrer Max Frisch-Periode beleuchtet. Also in der Zeit, in der die zu Ruhm erlangte Dichterin den Dramatiker kennen und lieben lernte. Und hier beginnen schon die Unschönheiten. Die bedeutenden (Liebes-) Beziehungen zu thematisieren gehört eindeutig in eine Biografie mit rein. Aber Ingeborg Bachmann wird hier «nur» auf die Beziehung zu Frisch reduziert. Ihr Schaffen und generell ihr Wesen, ihre Ideen, ihre Vorstellungen ausserhalb der Beziehung bekommen nur wenig Platz. Schlimmer noch. Da zutiefst aus der Ingeborg-Perspektive erzählt, wird vor allem ihr Herzschmerz gross ausgeschlachtet. Max Frisch bekommt die undankbare Rolle des an alten Konventionen (Frau kocht) haltenden Mannes zugeschrieben. Ihre Beziehungsprobleme werden recht banal dargestellt und es wird versucht diese mit pseudointellektuellen Gesprächen im Film aufzuarbeiten. Dass sich beide für eine offene Beziehung ausgesprochen haben, in der auch und vor allem Ingeborg profitierte, kommt fast nicht rüber. Vielmehr ist Max der chronisch eifersüchtige Kerl, der überall Konkurrenten sieht. Von Trottas Entscheid nicht auf die Affären von Bachmann einzugehen und diese überhaupt zu thematisieren, mündet schon in einer drastischen Verfälschung von Tatsachen.

 

Ingeborg Bachmann reist mit ihrem Liebhaber in die Wüste. (Scene Picture © Wolfgang Ennenbach.jpg / © 2023 Filmcoopi AG)

 

Generell die ganze Aufarbeitung von Bachmann als die primär Leidende in der Beziehung, kippt recht schnell in tiefstes Selbstmitleid. So beginnt sie wissentlich eine Beziehung mit einem verheirateten Mann, der Vater von drei Kindern ist und damit auch ein wenig an die Schweiz, an Zürich, gebunden bleibt. Einen Mann, der sich von Beziehungen häufig in Ketten fühlt, also Bindungsprobleme besitzt. Dies alles scheint doch die so intellektuelle Bachmann gar nicht zu reflektieren, klar, weil sie verliebt ist und auch bei ihr da mal die Gefühle das Steuer übernehmen. Dies wäre auch nicht weiter schlimm, doch die Darstellung der leidenden Bachmann in Zürich mündet in einem lächerlichen Höhepunkt als Bachmann in Zürich einen Espresso bestellt, aber nur zweitklassischen Kaffee bekommt. Ah, welch Schmerz, die vorher in Rom lebende Lyrikerin muss nun auch schlechten Kaffee trinken, oh die Arme. Wirklich Sympathie oder Verständnis wecken solche Szenen nicht.

 

Ingeborg Bachmann feiert wenig sinnvolle Rache-Orgie 

 

Aber kann es noch schlimmer werden? Yes. Der Film thematisiert wie im Titel angedeutet ihre Reise in die Wüste. Auch hier: ein Ort, den ihr Max Frisch zeigen wollte, aber zu dem es aufgrund ihres Bruches nie gekommen ist, also macht sich Bachmann selbst mit einem Jüngling auf nach Ägypten. Zuvor hatte sie selbstverständlich einen Nervenzusammenbruch aufgrund der gescheiteten Beziehung. Oje, die liebe Ingeborg zerbricht an den kleinsten Sachen und ja, sie allein leidet, leidet, leidet. Oder doch nicht? Könnte es doch vielmehr ein Kratzen am eigenen Ego sein? Dies wird wenigsten ein wenig angedeutet, als Bachmann eine kleine Orgie mit drei Männern erlebt und sich endlich dadurch an Max rächen kann. Wirklich? Als ob dies Frisch kratzen würde, ob und mit wem die Bachmann Monate nach ihrem Beziehungsende ins Bett hüpft. 

 

Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld leisten sehr gute Arbeit, aber das komplett in Melodramatik verfallene Drehbuch können auch sie mit ihren gekonnten Darstellungen nicht retten. Wir haben 2023 und dass eine bedeutende Künstlerin wie Bachmann als unreflektierte Frau mit Liebeskummer dargestellt wird, ist an Konservatismus nicht zu überbieten. Von ihr stammt der berühmte Satz: «Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar». Wir hoffen, dies gilt auch für Frau von Trotta.

 

Der Film war evtl. gut gemeint, aber erwies sich leider als ein echter Tritt in die Wüste. 

 

  • Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste (AT, LU, CH, DE 2023)
  • Regie: Margarethe von Trotta
  • Besetzung: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch, Basil Eidenbenz, Luna Wedler, Marc Limpach, Renato Carpentieri, Katharina Schmalenberg, Nickel Bösenberg, Philip Leonhard Kelz
  • Laufzeit: 111 Minuten
  • Kinostart: 26. Oktober 2023

 

Tanja Lipak / Fr, 06. Okt 2023