Wenn das Paradies trostlos erscheint

Von Thomas Hügli
Der Dokumentarfilm «The Village Next to Paradis» ist ein leiser, aber erschütternder Blick in eine Welt, in der Hoffnung kaum mehr als ein ferner Schatten ist. In einem abgelegenen, staubigen Ort, geografisch nicht genau verortet, aber symbolisch universell, porträtiert der Film drei Schicksale, die sinnbildlich für viele stehen: Mamargade, ein selbstständiger Totengräber, der dem Tod mehr begegnet als dem Leben; seine Schwester Arawello, die sich mit unermüdlicher Kraft ihren Traum von einem Schneideratelier erfüllen will; und Cigaal, Mamargades achtjähriger Sohn, der täglich zur Schule geht, nur um dort stets auf einen Lehrer zu warten, der nie erscheint.
Diese Figuren leben am Rand des Existenzminimums, in einer Realität, in der jeder Tag einem endlosen Überlebenskampf gleicht. Was der Titel des Films fast zynisch andeutet, entlarvt sich als bitterer Kommentar auf das Unerreichbare. Das «Paradies» bleibt ein leerer Begriff, eine Illusion, deren Licht niemals bis in dieses Dorf vordringt, weder geografisch noch emotional.
Die Kamera bleibt lange auf Gesichtern, die nicht lächeln, die alles gesehen haben, ausser Erlösung. Die Protagonist:innen sprechen kaum, und wenn sie es tun, kreisen ihre Worte um Verluste, Enttäuschungen und verpasste Chancen. Kein Lachen, kein Trost, keine Pausen vom Schmerz. Ihr Alltag besteht aus monotonen Routinen, schwerer Arbeit, mühsames Organisieren des Nötigsten, immer unter der Drohung von Drohnen und Kampfjets am Himmel, die aus der Ferne Tod bringen, emotionslos, kalt, als wäre Krieg ein Spiel, das an einem anderen Ort gespielt wird.
Die emotionale Wucht des Films entsteht genau durch diesen Verzicht auf dramatische Zuspitzung. Keine Musik, keine Kommentare, keine inszenierten Höhepunkte. Stattdessen: Rohheit, Nähe, Ehrlichkeit. Das Ergebnis ist eine beklemmende Authentizität, die sich nicht abwendet, sondern hinsieht.
«The Village Next to Paradis» bietet keine Lösungen, keine Hoffnungsschimmer, keine Narrative der Erlösung. Es ist ein Film, der in seiner Trostlosigkeit unbequem bleibt und gerade darin liegt seine Stärke. Er zeigt eine Welt, in der selbst das Träumen gefährlich scheint und in der die Zukunft so weit entfernt ist, dass sie nicht mehr gedacht wird.
Ein zutiefst trauriger Film und vielleicht gerade deshalb ein notwendiger.
- The Village Next to Paradise (Somalia 2024)
- Regie: Mo Harawe
- Drehbuch: Mo Harawe
- Besetzung: Ahmed Ali Farah (Mamargade), Anab Ahmed Ibrahim (Araweelo), Ahmed Mohamud Saleban (Cigaal)
- Laufzeit: 133 Minuten
- Kinostart: 19. Juni 2025