Der Wald in deinem Kopf

DVD-Kritik: The Forest

Sara und Jess sind Zwillinge (Doppelrolle für Natalie Dormer aus «Game of Thrones». Als Jess in Japan vermisst wird, macht sich Sara auf die Suche nach ihrer Schwester. Sie soll im sagenumwobenen Aokigahara, dem berüchtigten Selbstmordwald am Fusse des Fuji, zuletzt gesehen worden sein und die Japaner sagen, dass aus dem Wald nur wenige zurückkehren. Sara ist jedoch überzeugt, dass Jess noch lebt. Auf der Suche begegnet Sara dem Blogger Aiden, der sich sehr gut auszukennen scheint und an der Geschichte der verschwundenen Zwillingsschwester sehr interessiert ist. Doch wie kommt ein Bild von Jess auf das Handy von Aiden? Sara beginnt zu zweifeln. 

 

Die Prämisse ist wunderbar und ziemlich zügig eingeführt. Sara ist direkt in Japan und man erfährt via Rückblenden mehr über sie und die Zwillingsschwester Jess. Die besondere Verbindung, die Zwillinge haben sollen, ist ebenso ein Element auf der Metaebene wie der Wald, der in Japan tatsächlich existiert und um den sich viele Geschichten ranken. Es ist keine Legende, dass viele Menschen in den Wald gehen, um sich das Leben zu nehmen, weil er so dicht ist, dass man sich gut verstecken kann. Dann ist da aber noch die Legende von bösen Geistern und die Seelen der Verstorbenen sollen auch noch im Wald sein. Diese «Urban Legens» nutzt «The Forest» wunderbar, um Spannung aufzubauen. So hat beispielsweise der einheimische Guide fast schon panische Angst im Dunkeln im Wald zu sein. Natalie Dormer soll in Interviews erzählt haben, dass sie den Wald für Recherchezwecke besucht habe und ohne darüber nachzudenken vier, fünf Meter in den Wald gelaufen sei, um Bilder zu machen. Ihre Führer hätten jedoch nicht einen Fuss neben die Wege im Wald gesetzt. Kann durchaus PR sein, kann aber auch zeigen, wie stark die Legende im japanischen Zeitgeist verankert ist. 

 

Mit Twists dem 08/15-Fluch entgangen 

 

Der Wald funktioniert auf alle Fälle. Er ist unheimlich. Er ist undurchschaubar und scheint immer bedrohlicher zu werden. Das funktioniert auf zwei Ebenen. Erstens kennt man die Angst, sich im Wald zu verirren, die Kontrolle zu verlieren und verloren zu gehen. Andererseits sind Wälder in Film und Literatur oft Hort für Übernatürliches. Regisseur Jason Zada verlässt sich in seinem Spielfilmdebüt jedoch nicht nur auf die subtilen Töne, sondern hat zusätzlich den einen oder anderen Schreckmoment versteckt. Er übertreibt es aber nicht, denn im Grunde lebt «The Forest» von der geschickt arrangierten Geschichte um die beiden Schwester und als Zuschauer wird man in ein Wechselbad geschickt. Ein paar geschickte Twists funktionieren, manchmal denkt man sich jedoch, dass der Film in 08/15-Horror driftet. Doch er kriegt die Kurve mehrmals wieder. Immer weniger weiss man, was aus der Perspektive von Sara noch real ist und wenn man erkennt, was der Wald versteckt, staunt man. 

 

Wer will erkennt sogar Anleihen an Luis Bunuel und Salvator Dali, deren Inszenierungen bis heute wirken. Stichwort: «un chien andalou». Aber Schluss mit klugscheissen, denn abgesehen davon trägt Natalie Dormer den Film quasi alleine auf ihren Schultern. Ausser ihrer Sara bleiben nämlich alle Beteiligten seltsam zweidimensional. Taylor Kinney, der als Feuerwehrmann Kelly Severide aus «Chicago Fire» und ein wenig auch als Mann an der Seite von Lady Gage bekannt wurde, bringt mit seinem Part etwas zusätzliche Spannung in die Geschichte, dient aber eigentlich nur als Mittel zum Zweck und ist nettes Beiwerk. Der Fokus liegt klar auf den Schwestern und auf dem Mythos um den Aokighara, den Selbstmordwald. Das funktioniert bis zum Schluss recht gut, wenn auch an einzelnen Stellen mehr aus der psychologischen Story zu holen gewesen wäre.

 

Die Story ist manchmal verwurzelt wie der symbolische Wald, doch immer wieder gelingt es dem Drehbuch, alle Fäden zu entwirren. So wird aus «The Forest» ein schönes Gruselvergnügen. 

  • The Forest (USA 2016)
  • Regie: Jason Zada
  • Drehbuch: Nick Antosca, Sarah Cornwell, Ben Ketai
  • Besetzung: Natalie Dormer, Taylor Kinney, Eoin Macken, Stephanie Vogt
  • Laufzeit: ca. 94 Minuten
  • Verkaufsstart: 2. Juni 2016

 

Patrick Holenstein / Mo, 30. Mai 2016