«Pop Art am Ganges» : Tradition, Moderne und ein Aufbruch

Filmkritik: Pop Art am Ganges
Bildquelle: 
© Lekha Sarkar

Autor: Tenzin Samten Khangsar

 

Indien – Sinnbild eines Landes voller Gegensätze: auf der einen Seite eine farbenprächtige Kultur, auf der anderen soziales Elend. Abseits aller gängigen Kontraste und Klischees zeichnet uns die Schweizer Filmerin mit indischen Wurzeln, Chitra-Lekha Sarkar, ein etwas anderes Bild: Der Dokumentarfilm «Pop Art am Ganges» ist ein intimer Einblick in die junge Kunstszene von Kalkutta.  

 

Heilige Kühe, riesige Menschenmengen, atemberaubende Paläste und eine uralte Weltkultur. Und natürlich Bollywood. Wahrscheinlich ist aber das Befremdlichste an einem Land wie Indien, dass selbst die trivialsten Dinge im Alltag eine Herausforderung sein können. Zumindest was unsere Wahrnehmung hier im Westen angeht. Das Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel. Oder das Erkennen von Gerüchen, das Einordnen der exotischen Gewürze, die einem zwangsläufig von überall her entgegenwehen. Das alles ist und gehört zu Indien.

 

Künstler Debanjan Roy beschäftigt sich mit Gandhi. (© Lekha Sarkar)

 

Doch im Dokumentarfilm «Pop Art am Ganges» stehen für einmal weder die kulturellen Besonderheiten noch gesellschaftliche Stereotypen im Vordergrund. Schauplatz ist Kalkutta, die Hauptstadt des Bundestaates Westbengalen. Die Millionenmetropole am Ganges zeichnet ein anderes Bild des indischen Subkontinents, weit entfernt von westlichen Wertungen. Es ist eine Welt der Künstler, Maler und Gelehrter, die eine neue Generation von selbstbewussten jungen Inderinnen und Inder repräsentiert. Eine, die völlig unbefangen mit gesellschaftlichen Zwängen, sozialkritischen Aspekten und religiösen Mythen in ihrer Heimat umgeht. Und sich nicht scheut, diese experimentierfreudig und innovativ durch ihre Kunst zur Schau zu stellen. 

 

Gandhi hat einen Vogel 

 

Einer davon ist Debanjan Roy (39). Bereits kurz nach dem Studium in visueller Kunst hatte er 2002 seine erste Einzelausstellung unter dem Motto «Sculpture Solo» realisiert.  Weltweite Beachtung fanden seine zeitgenössischen Skulpturen Mahatma Gandhis. Sie stellen den indischen Freiheitskämpfer und Pazifisten in heutiger Zeit dar -  in banalen Alltagssituationen: in Badelatschen, am iPhone oder in freundlicher Umarmung mit Soldaten. Auch Skurriles wie einen Vogel auf dem Kopf des indischen Nationalhelden lässt er nicht aus. «Gandhi ist weltweit ein Synonym für den gewaltlosen Widerstand, er ist ein Mythos. Mich aber reizte die Vorstellung, wie er wohl in unserer heutigen Gesellschaft gelebt hätte, ohne den ganzen Personenkult um ihn herum», erklärt er seine Beweggründe. Gab es keine Kritik aus konservativen Kreisen in seiner Heimat? «Nein, bis jetzt noch nicht», antwortet er.  Und fügt hinzu: «Die indische Gesellschaft ist offener, als man im Ausland denkt.» 

 

«Die meisten Frauen in Indien haben keine eigene Identität» 

 

Kritik übt hingegen die 35jährige Künstlerin Piyali Sadhukhan. Die junge Bildhauerin thematisiert in ihren Werken offen die Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft. Ein Land, in dem Frauen und Mädchen immer noch stark benachteiligt und unterdrückt werden. Ihre Kunstobjekte sind fast beängstigende Standbilder: nackte entblößte Frauen, denen Blut aus dem Gesicht und Oberkörper quellen. «Die meisten Frauen in Indien haben noch immer keine eigene Identität», sagt sie bedauernd. 

 

 

Setzt sich für die Frauen in Indien ein: Künstlerin Piyali Sadhukhan © Lekha Sarkar

 

«Mir geht es darum, ihnen eine Stimme zu geben. Meine Kunst gibt mir die Möglichkeit dazu.» Doch es zeichne sich langsam ein Wandel in der Gesellschaft ab. Sie fügt hinzu: «Vor allem in den großen Städten wie Kalkutta begehren immer mehr junge und zunehmend emanzipierte Frauen gegen die patriarchalen Machtstrukturen auf. Und ich sehe mich zweifellos als eine von denen.» 

 

«Pop Art am Ganges» ist ein eindrücklicher Dokumentarfilm über ein Land im Aufbruch. Der Regisseurin Chitra-Lekha Sarkar ist es gelungen, eine große Nähe zu den Künstlern aufzubauen. Gesellschaftspolitische Themen als auch die kulturellen Besonderheiten Indiens werden dem Zuschauer durch das künstlerische Schaffen der Protagonisten näher gebracht. Seine ganz besondere Stärke bezieht der Film jedoch aus der teilweise subjektiven Wahrnehmung der Regisseurin, die sich wie ein roter Faden durch das Ganze zieht. Dabei vermischen sich persönliche Eindrücke, Kindheitserinnerungen und Geschichten ihres Vaters, Suniti Sarkar, zu einem bemerkenswerten Gesamtbild. Und genau das macht diese Dokumentation authentisch und zugleich bewegend.

 

Sehenswert – nicht nur für Künstler oder Kunstinteressierte.   

Filmpremiere:  «Pop Art am Ganges» Sonntag, 10. Mai 2015, 11.55 Uhr, Sternstunden, SRF 1 

 

Die Regisseurin hat uns ein Interview gegeben. Ihr findet es HIER

Bäckstage Redaktion / Di, 05. Mai 2015