Musik, mit herrlich viel Ecken und Kanten

Konzertkritik: Tina Dico im Kaufleuten
Bildquelle: 
www.tinadico.com

Beim Verlassen eines Konzertsaals drehen sich oft die Gedanken. Es wird versucht, das eben Gesehene in klare Strukturen zu zwängen und einzuordnen. Im Fall der dänischen Sängerin Tina Dico war es jedenfalls so und die Frage, die sich kristallisierte, war: Was ist die Essenz der Tina Dico?

Ein Teil ist klar die Wandlungsfähigkeit von Tina Dico und die konstant stabile Stimme. Ein anderer ist die leidenschaftliche Band, die sich zwischen reduziertem Begleiten und dominanten Tragen absolut in den Dienst von Tina stellt. Keine Eitelkeiten oder lästiges Vordrängen. Der Schlagzeuger platziert zum Teil nur einzelne Schläge, aber immer im rechten Moment. Der Keyboarder legt feine Nuancen in die Musik und die beiden Saitenmänner ergänzen sich behände mit ihren Instrumenten. Doch wenn sie Zeit bekommen, zaubert jeder von ihnen ein wunderbares Solo auf’s Parkett. Dazu kommt noch der saubere Soundmix. Das sind wohl die Zutaten, die das Konzert zum Genuss machen.

Tina startet ruhig und psychedelisch in den Abend. Begleitet von drei Keyboards beziehungsweise Synthesizern und dem Schlagzeug. Gitarre und Bass bleiben noch in den Haltern. Doch schon beim zweiten Song greift Tina selbst zur Gitarre. Bei «When You’re Away» wird Tina plötzlich zur sensiblen Countrysängerin zwischen zärtlicher Stimme und kraftvoller Röhre. Überhaupt spielt die Dänin sehr gekonnt mit ihrer klaren und charismatischen Stimme. Sie säuselt sanft von den Anfängen ihrer Karriere, wird bei einzelnen Passagen sehr aufbrausend und erlaubt sich gelegentlich sogar willkommene Abstecher in poppigen Gesang. Also Musik mit herrlich viel Ecken und Kanten.

 

Zum Teil hört man Sigur Ros raus


Nach gut einer halben Stunde lässt die Band Tina alleine und sie singt nur von einer Akustikgitarre begleitet davon, wie sie über Gott und die Welt nachdenkt. Sie besteht auch in dieser Situation problemlos. Für einen zweiten Song kehrt der Keyboarder zurück, der, wie er erzählt, erfreut ist, wieder da zu sein. Er stand nämlich vor vier Jahren bereits mit Sigur Ros in Zürich auf der Bühne. Und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass sich Tina Dico von den Isländern mit beeinflussen ließ - zumindest einzelne Passagen sind hörbar mit der für Sigur Ros typischen Melancholie gefärbt.

Nach eineinhalb Stunden ist das Publikum begeistert. Standing Ovation für Tina Dico und diese beendet dafür den Abend mit einer Mischung aus «Copenhagen», ihrer Hymne auf die dänische Hauptstadt, und «Where Do You Go To Disappear?», dem Titelstück der aktuellen CD. Nochmals reduziert auf eine Akustikgitarre und mit dem leisen Gesang aus dem Publikum. Ein gebührender Schluss für ein wunderbares Konzert. 

 

Informationen zur Künstlerin unter www.tinadico.com

Patrick Holenstein / So, 14. Okt 2012