Melissa Etheridge war in Zürich eine Wucht

Kritik: Melissa Etheridge im Kongresshaus
Bildquelle: 
www.melissaetheridge.com

Melissa Etheridge ist besser denn je, das bewies die mittlerweile 54-jährige Rockröhre vergangenen Mittwochabend gemeinsam mit ihrer vierköpfigen Band im Zürcher Kongresshaus. «Eine Wucht!». So lässt sich der Auftritt von Melissa Etheridge wohl am ehesten in Kürze beschreiben. Während intensiver zwei Stunden sorgte sie für authentische Gänsehautmomente voller Eindringlichkeit, ohne dabei jedoch aufdringlich zu sein.

 

«Hello Zurich, how are you doing? It’s been a while», begrüsste Etheridge das Publikum. Tatsächlich sind seit ihrem letzten Auftritt in der Limmatstadt – damals im ausverkauften Volkshaus - dreieinhalb Jahre vergangen. Auch wenn sie noch immer den Touch eines Geheimtipps hat, ihre Konzerte locken stets eine Vielzahl an Musikfans an. Spätestens nach dem Konzert dürfte auch dem Letzten klar gewesen sein, warum das so war.

 

Neuer Rekord?

 

Bei Melissa Etheridge kommen viele Besucher ins Schwärmen, denn sie ist nicht nur eine begnadete Musikerin, sondern auch eine ebenso starke Frau. Ihre charismatische Art, ihr strahlendes Lächeln und ihre rotzig-stilvolle Rockattitüde entzückten das Zürcher Publikum von Anfang an und liessen dabei keinen Moment vermuten, dass Melissa Etheridge nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens unterwegs war. Vor zehn Jahren wurde ihr die Diagnose Brustkrebs gestellt. Dank Chemotherapie hat sie die Krankheit damals jedoch besiegt.

 

Trotz oder gerade deswegen scheint die Sängerin aus Kansas heute mehr denn je vor Energie nur so zu strotzen. Von jener Energie angesteckt und beflügelt, dauerte es genau einen Song lang, bis die Sitzplätze zur Alibiübung verkamen und so manche Konzertbesucher während «Chrome Plated Heart» vor die Bühne strömten. Das dürfte für das Kongresshaus ein neuer Rekord sein. Die Band heizte dem Publikum mit treibenden Drumbeats, donnernden Bassläufen und stürmischen Gitarrenriffs ein, wobei Etheridges Reibeisenstimme, die trotz allem eine Zerbrechlichkeit und Sanftheit in sich trägt, stets Mittelpunkt des Geschehens war.

 

 

„Like The Way I Do“

 

Auch wenn man Melissa Etheridges musikalisches Repertoire der letzten Jahre nicht kennt, einen Song haben wohl die meisten schon gehört: «Like The Way I Do». Der Song ist der krönende Abschluss eines durchwegs gelungenen Konzerts. Doch wer dachte, Etheridge würde den Song einfach nur eins zu eins, wie man ihn ab Platte kennt, spielen – weitgefehlt.

 

Der Unterschied zwischen einem grossen und grossartigen Künstler ist das Talent zu improvisieren und darauf versteht sich die Sängerin bestens. Unter tosendem Applaus und lautstarkem Mitsingen des Publikums begeisterte Etheridge mit einem ausschweifenden «Like The Way I Do»-Gitarrensolo und machte auch beim Drumsolo gemeinsam mit ihrem Drummer eine durchweg gute Figur. Mit Standing Ovations wurde sie begrüsst und mit Standing Ovations wurde sie auch verabschiedet – die Herzlichkeit zwischen Melissa Etheridge und Zürich beruht auf Gegenseitigkeit, da blieben zum Schluss auch die Augen der Rockröhre nicht ganz trocken.

Dominique Rais / Do, 16. Jul 2015