Der Papiersaal im Amistat-Bann

Konzertkritik: Amistat im Papiersaal
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«Being perfect is about to look your friends in the eye and know that you didn’t let them down. Because you told them the truth. And that truth is, is that you did everything that you could. There wasn’t one more thing that you could’ve done. Can you live in that moment as best as you can with clear eyes … and love in your heart … with joy in your heart… if you can do that, then you’re perfect.»

 

Dieses Intro ertönte während kompletter Dunkelheit im Papiersaal und brachte die Aufmerksam des Publikums dorthin, wo sie sein sollte: zur Bühne. Der Speech liess nur erahnen, auf was das Publikum sich an jenem Abend einlassen durfte und mit ein bisschen Interpretation wusste man, welche Werte für Amistat an ihren Konzerten im Vordergrund stehen.

 

Unerwartete Momente

 

Nach dem kurzen Speech als Intro betraten Josef und Jan von Amistat die Bühne. Mit ihnen erschien ausserdem Dimitri, ein langjähriger Freund der beiden, und setzte sich an seinen Platz mit der Geige. Eröffnet haben Amistat das 1.5-stündige Set mit dem Song «Vada», der 2016 erschienen ist. Ihre gefühlsvollen Stimmen verbreiteten praktisch sofort eine Harmonie im Saal, die präsenter nicht hätte sein können. Von Sekunde eins an war das Publikum bei ihnen, lauschte ihren Stimmen und liess sich unbeschwert in den Amistat-Bann ziehen. Nicht nur die Stimmen der Twins machen ihre Musik aus, sondern auch ihr vielfältiges, musikalisches Talent. Gezielt klopfte Jan während einigen Liedern mit Handfläche und Fingern auf seine Gitarre und verblüffte wahrscheinlich manche mit dieser Technik.

 

Mit ihrem Song «Remember Me» wurde es das erste Mal richtig laut im Saal: «Come on!», rief Jan, blickte kurz zu Josef an der Gitarre und zu Dimitri an einer Trommel. Die Menge liess sich von der positiven Energie mitreissen und unterstützte die drei mit lautstarkem Gesang. Die Freude darüber war den Jungs deutlich ins Gesicht geschrieben. Josef grinste über beide Ohren und Jan schmunzelte ins Publikum. «This is insane», fand Josef, als er nach dem Stück nach rechts ins Publikum schaute und fragte, ob alle noch hier sind. Er erhielt winkende Hände und Jubel als Antwort. Dasselbe machte er mit der linken Publikumshälfte und zum Schluss noch mit dem Teil direkt vor der Bühne. «Das wollte ich schon immer mal machen, dachte aber, dass ich das nie machen würde. Was für ein geniales Gefühl», betonte er, strahlte in ebenso strahlende Gesichter und ein Lachen raunte durch den Papiersaal.

 

Progress, not perfection

 

Darauf meldete sich Jan zu Wort und erzählte kurz etwas über den nächsten Song, «ready now», der neuste Release von Amistat. «Bei diesem Song habe ich bemerkt, dass es auf kleine Erfolge ankommt, und nicht immer alles perfekt sein muss.» Aber genau das macht den Song ja perfekt – dieser Meinung war auch Josef und das Publikum erst recht. Die Reaktion auf dieses Stück war dann umso lauter: heftiger Applaus, Pfiffe, Jubel – die Schweizer liebten es.

 

Josef, Jan und Dimitri stellten sich danach an den vorderen Bühnenrand und performten eine Akustikversion von «Brave». Es wurde still und alle anwesenden Augenpaare waren auf die drei Jungs gerichtet. Josef stimmte den Song an und wurde sofort mit Schnipsen begleitet, woraufhin er schmunzeln musste und den Song abbrach. Auch Dimitri und Jan lachten und Jan erklärte: «Dazu kommen wir gleich, aber erst nachher, damit ihr nicht lauter seid als Josefs Gesang.» Diese Ansage hat sich gelohnt. In der Stille kam Josefs sonore und gefühlsvolle Stimme umso besser zum Ausdruck. «We can’t move your mountains, but we can hold your hand», heisst es im Lied. Josef hat das Stück für einen Freund geschrieben, um ihm in einer besonders schwierigen Zeit zu zeigen, dass er nicht alleine sei. Wie viel Emotionen, wie viel Bedeutung in diesen Zeilen von «Brave» steckt, ist kaum wörtlich wiederzugeben, aber man hat es deutlich gespürt. Das Schnippen durfte dann natürlich nicht fehlen und erneut liess sich auch die Menge zum Mitsingen mitreissen, was den Moment an sich noch spezieller machte, als es die Akustikperformance ohnehin schon war.

 

Nach diesem Lied kündete Jan einen Special Guest an. Es war Carole von «Ginger and the Alchemists». Mit ihr performte das Trio «heart on fire». Einen Song, den Amistat zusammen mit Carole aufgenommen haben und der erst kürzlich erschienen ist.

 

Nach dem Stück legten alle eine kurze Gesangspause ein und Jan kam auf ihren Support Act, JPson aus Südafrika, zu sprechen. Er hat Amistat an einem Strand in Holland entdeckt und ist seither für das Booking der beiden verantwortlich. Über die Jahre ist er ein enger Freund geworden und ihnen nie von der Seite gewichen. Für seinen bisherigen Support – auf, neben und hinter der Bühne – seien die beiden ihm besonders dankbar.

 

Ganz viel Liebe, Licht und Dankbarkeit

 

Wer noch nicht genug vom Mitsingen hatte, war bei den Zwillingen weiterhin an der richtigen Adresse. Obwohl der nächste Titel «Listen to the Silence» hiess, war die Stille in diesen Minuten ein Fremdwort für die 400 Besucherinnen und Besucher. Textsicher sangen sie fast jedes Wort mit, was die Twins wiederum mit purem Adrenalin beflügelte. Ihre Mimik verriet mit welchen Gefühlen sie überschwemmt wurden: ein Mix aus Freude, Fassungslosigkeit und Dankbarkeit. «It’s like being on drugs, just better», bestätigte Jan. Die Emotionen, die die Band gerade verspürte, wollte sie kurzerhand zurückgeben: «Das nächste Lied geht an alle da draussen, als Dank für eure Unterstützung. Ganz viel Liebe für euch». Dimitri machte mit sanfter Streichmelodie den Anfang von «Love & Light», bevor Jan an der Gitarre und Josef am Piano einsetzten. Josef brachte zudem noch eine Handrassel in die instrumentale Begleitung und Dimitri wechselte vom Geigenstreichen zum Geigenzupfen und hielt seine Violine plötzlich wie eine Gitarre in den Händen. Dimitri beherrscht nicht nur die Violine wie im Schlaf, sondern verblüffte immer mal wieder während des ganzen Sets. So sass er einmal an der Geige, wechselte zu Gitarre und Piano und begleitete die Twins sogar mit der Trommel, bevor er zum Schluss ein unglaublich beeindruckendes Geigensolo an den Tag legte. Mit «Still Alive» verabschiedeten sich Amistat und Dimitri von singenden und klatschenden Musikbegeisterten und wieder stand ihnen die Freude ins Gesicht geschrieben, als konnten sie nicht glauben, was gerade in Zürich passiert ist.

 

Aber es war kein Traum, es war Realität und das Resultat von langjährigem, kreativem Erschaffen und harter Arbeit, die Jan und Josef in «Amistat» gesteckt haben. All das für Abende wie diesen.

Bis bald, «somewhere, sometime».

 

Ein Set wie eine Achterbahn; Höhen und Tiefen, Momente zum Mitsingen und Augenblicke, die einem zum Schweigen bringen. Das Kribbeln im Bauch, wenn man sich darauf einlässt und das «bitte noch eine Runde», sobald das Ende in Sicht ist. Das ist der Zauber von Amistat.

 

 

Rahel Inauen / Fr, 06. Mai 2022