Bildgewaltig und feuerfest

Konzertkritik: Avenged Sevenfold @Halle 622
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Konzertplakat, © Gadget

Brandneu ist die Halle 622 in Zürich Oerlikon noch, und schon wird sie von einer riesigen Horde musikhungriger Metalfans geentert. Und das bereits früh. Schon um viertel vor 7 – ab Beginn der ersten Band Chevelle – ist die ausverkaufte Halle gerammelt voll, und offenbart denen, die nicht ganz so früh kommen konnten, ihre Nachteile.

 

Dank der langgezogenen Form der Halle bleibt nämlich auch am Rand fast kein Durchkommen, und wer nicht über besondere Ellbogenkraft verfügt, muss entweder auf ein Sichtfenster hinter der riesigen Technik-Anlage hoffen und die Bühne aus weiter Ferne sehen, oder auf einen der limitierten Sitzplätze auf der Galerie hoffen.

 

Kühl im Foyer - heiss auf der Bühne 

 

Immerhin – sonst fehlt es der Location an nicht viel. Garderoben gibt es mehrere, genau wie Bars (das Bier kann man ausserdem auch von herumgehenden Bauchladen-Verkäufern erwerben) und Verpflegung. Im grossen Foyer ist es ausserdem angenehm kühl.

 

Im Gegensatz zur Halle. Dort heizen nämlich gerade Chevelle ordentlich ein. Die Metalband existiert bereits seit 1995. Trotzdem hat man zumindest hierzulande noch nicht viel von den US-Amerikanern gehört. Die drei Musiker verstehen es zwar, das Publikum aufzuwärmen, und liefern eine gute Show ab, aber sie verblassen erbarmungslos neben dem, was noch kommen wird. 

 

Als erstes sind dies Disturbed, welche das Schweizer Publikum bereits letzten Juni überzeugt haben. Als Very Special Guests von Avenged Sevenfold kommen die Besucher nun wieder in den Genuss eines langen und abwechslungsreichen Sets. Auch das Publikum macht brav mit – bei «The Light» werden auf Kommando Feuerzeuge und Handy-Lichter geschwenkt, und beim Simon & Garfunkel-Cover «The Sound of Silence» rastet es erwartungsgemäss komplett aus. 

 

«The Sound Of Silence» als Live-Highlight 

 

Das, obwohl es wohl der ruhigste Song der Band ist. Es ist aber auch der Song, der Disturbed im vergangenen Jahr auf einen Schlag der breiteren Masse zugänglich gemacht hat, indem er im Radio und auf MTV rauf und runter gelaufen ist. Das Cover wurde zum grössten Hit der Metalband, und bescherte ihr sogar eine Grammy-Nominierung (der Grammy ging jedoch an den verstorbenen David Bowie). Tatsächlich ist der Song ein Gänsehaut-Garant. Sänger David Draimans Stimme zeigt all ihre Facetten, steigert sich von leisen Tönen bis in mächtige Stimm-Vibrationen. Live ein absolutes Highlight. 

 

Den Schluss des Disturbed-Auftritts markieren «Ten Thousand Fists», wobei die Fäuste des Publikums massenweise in die Höhe fliegen (nicht gerade zehntausend, da die Halle «nur» etwa 3500 Leute fasst, aber immerhin), und «Down With The Sickness», bei dem bewiesen wird, dass trotz aller Enge im Publikumsraum doch immer noch Platz für einen grossen Pit bleibt.

 

Die «Sevenfold!»-Rufe erklingen schon Minuten vor dem Auftritt der Kalifornier. «Rocket Man» von Elton John erklingt vom Band und «Space Oddity» von David Bowie. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, und gleichzeitig passen die beiden Songs wie die Faust aufs Auge zum derzeitigen Thema von Avenged Sevenfold: der Weltraum. 

 

Das aktuelle Album der Band heisst «The Stage», und so heisst auch die Single-Auskopplung und der erste Song, den sie an diesem Abend schliesslich zum besten geben. Anders als Disturbed setzen sie nicht auf Feuer, sondern auf Videos. Und so läuft zum Song auch gleich das Video zu «The Stage» in einer leicht anderen Version auf grossen Displays im Hintergrund der Bühne mit. Es ist ein bestimmt sehr aufwendig gemachtes Video mit Marionetten, die die Geschichte der Menschheit in all ihrer Tötungs- und Zerstörungswut zeigt, und ein überraschendes Ende hat (hier anzusehen).

 

Der Sound klingt bei Avenged Sevenfold zu Beginn etwas blecherner als bei Disturbed. Wahrscheinlich ist die Anlage bei der geballten Ladung Heavy Metal etwas überfordert.

Auch hier erweist sich das Publikum als sehr motiviert; auch auf der Galerie machen die Zuschauer fleissig mit, jubeln, singen, klatschen, und recken die Fäuste in die Luft. 

 

Liebeerklärung an die Crew 

 

Es gibt jedoch nicht nur Grund zur Freude bei Avenged Sevenfold und ihren Begleitern. Nach dem Konzert in Stuttgart am 20. Februar kam ein 19-jähriger bei Bühnen-Arbeiten ums Leben. Frontmann M. Shadows nutzt die traurige Geschichte zum Dank und eine Liebeserklärung an die Crew. 

 

Wo kein Musikvideo zum gerade gebotenen Song existiert, werden andere animierte Filmsequenzen oder Bilder gezeigt, oder es flimmern schöne, wenn auch etwas überstilisierte, Weltraumszenen über die Bildschirme. Bei «Planets» wird sogar eine riesige, aufgeblasene Astronautenfigur an die Decke gezogen, die prompt vielen Galerie-Besuchern die Sicht auf die Bühne verdeckt. Nach dem nächsten und letzten Song vor der Zugabe («Acid Rain») darf der Gigant aber wieder auf den Boden zurück. 

 

Für die Zugabe kehrt die Band mit einer Schweizer Flagge zurück. Flaggen gibt es auch im Publikum einige; darunter die von Chicago, Frankreich oder Portugal, welche M. Shadows nicht erkennt und erst vom Publikum aufgeklärt werden muss. 

 

Es bildet sich gerade ein grosser Circle, als das zweitletztes Stück, ein Liebeslied, angekündigt wird. Statt zu moshen, beginnen die Fans im Kreis paarweise zu tanzen und sich zu umarmen. Was folgt ist die nekrophile Zombie-Liebesgeschichte «A Little Piece of Heaven» - mit dazugehörigem Video. Zum moshen bleibt dafür noch Gelegenheit beim letzten Song «Unholy Confessions». 

 

Nun konnten also auch die Metalfans die neue Location Halle 622 testen. Komplett bestanden hat sie nicht. Aber wenn weiterhin solche Mega-Pakete wie Avenged Sevenfold, Disturbed und Chevelle dort gastieren, wird sie auch weiterhin nicht von Nieten und Leder und fliegenden Haaren verschont bleiben.

 

Seraina Schöpfer / Do, 02. Mär 2017