Utama: Warten auf Erlösung

Moviekritik: Utama
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Das Ehepaar Virginio und Sisa lebt in der bolivianischen Hochebene. Sie altern still in gemeinsamer Einsamkeit. Virginio ist schwer krank, verheimlicht das aber vor seiner Ehefrau. Tagtäglich treibt er seine Lamaherde in die Dürre hinaus, während Sisa Essen für die beiden kocht oder Wasser holt. Es wird allerdings immer schwieriger, Wasserquellen zu finden, die noch nicht versiegt sind. Die Dynamik verändert sich, als ihr Enkel Clever zu Besuch kommt. Schnell stellt sich heraus, dass sein Vater ihn geschickt hat, um das alte Ehepaar zu einem Umzug in die Stadt zu bewegen. Für Virginio ist klar: Er möchte in seiner Heimat bleiben.

 

Ein Mann mit Hut, den Rücken zum Zuschauer, schreitet langsam in die Richtung eines dämmernden Himmels. Unscharf gleiten Lamas über die bolivianische Hochebene. Frauen waschen Kleider in einem Fluss, der die bis zum Horizont gehende Hochebene in zwei Hälften teilt. Virginio sieht sein Spiegelbild im Wasser, über ihm durchquert ein Condor das Bild. Kamerafrau Bárbara Álvarez fängt diese Eindrücke ein, die viel Stimmung erzeugen. Von Beginn an fallen einem die bestechenden Bilder des Films auf.

 

Diese Stimmung wirkt besonders, solange die Szenen still sind. Wenn Virginio schweigsam in die Weite blickt, spricht sein Gesicht mehr Worte, als der Regisseur und Drehbuchautor in seinen Mund legen könnte. Das Gleiche lässt sich über das Skript und die Schauspieler nicht sagen. Ob es mehr am Drehbuch liegt oder an den Darstellern, ist unklar. Aber viele der Szenen überzeugen nicht ganz. Häufig wirken sie gekünstelt und inszeniert, wodurch man als Zuschauer regelmässig aus der immersiven Stimmung gerissen wird. Dass die Hauptdarsteller Amateure sind, verwundert nicht.

 

Auch die Wahl der Tonmischung ist unkonventionell: Mal hört man etwas, das im Bild nah ist, sehr laut, obwohl in der Nähe gerade eine Lamaherde durch das Bild trampelt. Mal sprechen die Figuren leise miteinander, obwohl sie mit beträchtlichem Abstand und mit dem Rücken zueinander stehen. Gleichzeitig ist die schwere Atmung des kranken, alten Mannes häufig als fast einziges zu hören – ein Umstand, der zu Beginn irritiert, sich mit der Zeit aber als Bedeutungsträger offenbart und sich dann als unheilvolles Zeichen in den Vordergrund drängt.

 

Verschiedene relevante Themen werden im Film besprochen. Einerseits gibt es einen beträchtlichen Generationenunterschied zwischen dem Ehepaar und ihrem Enkel. Clever zieht sich nicht an wie seine Grosseltern, er hat eine andere Kultur und ein Smartphone, er isst normalerweise nicht dasselbe wie sie, die drei Verwandten sprechen nicht einmal die gleiche Muttersprache. Clever versteht seine Grosseltern nicht, wenn sie sich in der indigenen Sprache verständigen. Der alte Mann, bei dem der Sterbeprozess begonnen hat, steht also auch für eine sterbende Verbindung zu den kulturellen Wurzeln des eigenen Landes. Das ist ein Phänomen, das sich global in vielen verschiedenen Gemeinschaften abspielt.

 

Global ist andererseits auch die Thematik des Klimawandels. Wo früher Gletscher Bäche gespeist haben, ist im Film kein Tropfen Wasser mehr zu finden. Die Verzweiflung der Dorfbewohner angesichts der Tatsache, dass sie seit einem Jahr auf Regenfall warten, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Sisa läuft in einer Szene mit zwei leeren Eimern durch die staubtrockene Ebene ins nächste Dorf – ohne Erfolg, da der Brunnen im Dorf ausgetrocknet ist.

 

Trotzdem teilt Virginio sein Wasser in einer anderen Szene mit einem sterbenden Lama. Der Tod und die Vergänglichkeit verfolgen die Ehegemeinschaft, aber der Film präsentiert gelegentlich auch von Momenten wie diesen, in denen Zärtlichkeit und Harmonie durch kleine Gesten ins Leben gerufen werden.

 

Die Amateurschauspieler in diesem bolivianischen Film überzeugen nicht ganz, die Bilder der bolivianischen Hochebene lassen aber bestimmt niemanden kalt. Alejandro Loayza Grisi bespricht in seinem Film Themen, die für die ganze Welt von Bedeutung sind.

 

  • UTAMA (Bolivien, 2022)
  • Regisseur: Alejandro Loayza Grisi
  • Drehbuch: Alejandro Loayza Grisi
  • Besetzung: José Calcina, Luisa Quispe, Santos Choque
  • Länge:87 Minuten
  • Kinostart: 23. Juni 2022
 
Jonas Stetter / Fr, 24. Jun 2022