Musik als Lebenselixier

Movie-Kritik: Imagine waking up ...
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Jenseits von YouTube, Smartphone und iPod beschäftigt sich der ehemalige Frontmann der Band The KLF, Bill Drummond, mit der Frage nach dem Ursprung der Musik. Er begibt sich auf eine Reise rund um den Erdball, um verschiedenste Stimmen im Chor The 17 zu vereinen. 

 

«Stell dir vor, du wachst Morgen auf und alle Musik ist verschwunden. Es gibt keine Instrumente, CDs oder iPods mehr. Eine Welt ohne Musik. Du kannst dich nicht einmal daran erinnern, wie Musik klang oder wie sie gemacht wurde. Du kannst dich nur daran erinnern, dass sie existiert hat und sie für dich und deine Zivilisation wichtig war. Und du sehnst dich danach, wieder Musik zu hören. Stell dir dann vor, wie Menschen zusammenkommen, um Musik zu machen, einzig mit ihren Stimmen, ohne Kenntnisse davon, wie Musik klingen sollte.» Mit diesem Gedankenexperiment startet Daniel Schwieterts neue Musik-Dokumentation Imagine waking up tomorrow and all music has disappeared. 

 

«The 17»

 

Im Zentrum des Films steht Bill Drummonds Gemeinschaftsprojekt «The 17». Der Chor «The 17» setzt sich aus verschiedensten Stimmen aus aller Welt zusammen, die gemeinsam Partituren, so genannte Scores einüben. Die Stimmen hätten ihn schon immer begleitet, sitze er im Landrover, schwelle das Brummen des Motors zu einem ganzen Wikingerchor an, erklärt der Musiker im Film. Drummond startete das Projekt 2003. Während zehn Jahren nahmen weltweit mehrere Tausend Menschen daran teil, und hatten die Möglichkeit, einen Score selbst zu schreiben, oder in einem Chor à 17 Personen einzuüben. Im Film begleitet Daniel Schwietert Bill Drummond mit der Kamera u.a. von England bis nach Irland, um Score 318 «Consider» aufzunehmen. Unterwegs zeichnet der Musiker die Stimmen von Arbeitern, Kindern und Nonnen auf und komponiert daraus einen Song. 

 

What is music for? 

 

Anfangs der 90er, auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit The KLF, beschäftigte sich Drummond bereits mit der Frage nach der Funktion von Musik. Das Duo verbrannte damals auf der Bühne eine Million Pfund vor laufender Kamera, löschte sämtliche Rechte und verabschiedete sich so aus dem Musikbusiness. Im Film wird erneut nach dem Stellenwert der Musik gefragt – What is music for?

 

Spätestens seit dem Durchbruch der MP3 hat sich die Bedeutung der Musik in der Gesellschaft verändert. Die soziale Einbettung der Musik ist verloren gegangen und hat aufgrund ihrer ständigen Verfüg- und Konsumierbarkeit stattdessen einen beliebigen Charakter erhalten. Streaming-Dienste beglücken zwar den Konsumenten, für den Künstler aber, sind sie ein Fluch. 

 

Der Musiker Bill Drummond und der Filmemacher Stefan Schwietert, beide auf der Suche nach der Ursprünglichkeit der Musik, lernten sich 2010 in Oldenburg kennen: „Ich suchte nach Orten und Möglichkeiten, wo das Spannungsfeld Musiker auf der einen und Konsument auf der anderen Seite aufgehoben wird. Während meinen Recherchen stiess ich auf Bill Drummonds Projekt“, erzählt Stefan Schwietert, „Ich nahm am Score Surround teil, wo sich 100 Menschen in einer Grossstadt im Abstand von 50 Metern in einem Kreis aufstellen und sich eine Melodie zurufen bis der Ruf wieder beim Erstplatzierten im Kreis ankommt.“ Die beiden Künstler einigen sich auf eine filmische Zusammenarbeit. 

 

Die Parameter der Zukunft 

 

Gemäss Drummond wird das Aufnehmen und Speichern von Musik an Bedeutung verlieren. Zukünftige Generationen würden, nachdem alles auf CDs aufgenommen, vom Internet runtergeladen und als MP3 konsumiert wurde, nun Musik machen wollen, die sie zelebrieren können, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort und Anlass. Musik, die erst dann ihre ganze Magie entfaltet und somit unvergesslich wird. Der Zuschauer wird mit einem Ende überrascht, das diese Kernaussage des Films unterstreicht. 

 

 

Ein inspirierender Dokumentarfilm über die Punklegende Bill Drummond und sein verwegenes Projekt The 17 und sicherlich ein Aufruf – weg vom Konsum, hin zur eigenen Kreativität, ohne dabei zu vergessen, dass die eine ohne die andere Seite nicht existieren kann. 

 

  • Imagine waking up tomorrow and all music has disappeared (Deutschland, Schweiz, Grossbritannien) 
  • Dokumentarfilm
  • Regie: Stefan Schwietert 
  • Laufzeit Kinoversion: 86 Min. 
  • Kinostart: 5. November 2015

 

Yolanda Gil / Do, 05. Nov 2015