Electroboy – Aufstieg und Fall eines Schweizer Topmodels

Movie-Kritik: Electroboy
Bildquelle: 
© Vincafilm

Der Dokumentarfilm «Electroboy» erzählt die bewegte Lebensgeschichte des Schweizer Fotomodells, Webdesign-Pioniers und Musik-Designers Florian Burkhardt, der auf der Suche nach Ruhm und Anerkennung in die weite Welt hinauszieht, richtig abhebt, um dann ebenso weit abzustürzen. 

 

Kernstück dieses Filmes sind die Interviews mit dem Hauptdarsteller Florian Burkhardt alias «Electroboy». Der Name «Electroboy» stammt aus der Zeit seines dreissigsten Geburtstags, zu welchem er eine Electro-Party organisierte: «Electro» für die elektronische Musik, „Boy“ für Gay. 

 

Burkhardt sitzt in seiner Wohnung in Bochum, er ist mittlerweile 40 Jahre alt. Er trägt einen Hausanzug, das Licht im Raum ist gedämpft, es ist eine Single-Wohnung und vermittelt einen Eindruck des Verlassenseins. In ruhigem, beschreibenden Ton erzählt er seine Geschichte.  

 

Electroboy in seiner kleinen Wohnung. (© Vincafilm)

 

Aufgewachsen in den 70er Jahren in der Innerschweiz in einem katholisch-moralischen Elternhaus, beendete er mit 21 Jahren das Lehrerseminar – und erwarb sich damit das Ticket in die Freiheit, das ihn seine enge Umgebung entfliehen liess. Er sah sich als Star und fand überall sofort Leute, die dasselbe glaubten. Burkhardt wollte Filmschauspieler werden, reiste ohne Umweg nach Hollywood und wurde dort von einem Agenten unter Vertrag genommen, brach aber das Experiment nach vier Monaten ab, weil gerade ein Angebot reinkam, in Mailand als Modell zu arbeiten. Dort startete er praktisch aus dem Stand eine Karriere als Model, wurde von exklusiven Agenturen unter Vertrag genommen und lief sofort Modeschauen für Dolce & Gabbana und Moschino. Gucci und Prada stritten sich sogar um Exklusiv-Verträge für ihn. Dann schmiss er alles hin und arbeitete erfolgreich im Internet-Business der frühen 90er Jahre. Erneut warf er alles hin und begann in Zürich unter dem Label «Electroboy» eine Karriere als Partyorganisator – im grossen Stil. Diese zu guten Teilen unglaublich erfolgreichen Selbst-Erfindungen des Florian Burkhardt sind schon für sich genommen derart phantastisch, dass es manchmal schwer fällt, alles für bare Münze zu nehmen. Aber verblüffenderweise ist es dann ausgerechnet Florian Burkhardts eigenes, distanziertes und analytisches Erzählen, welches die Glaubwürdigkeit herstellt. Der Mann hat in den wenigen Jahren, seit seinen Höhenflügen, eine kritische Distanz zum eigenen Leben entwickelt, die mitreisst und mitleiden lässt.

 

Doch plötzlich, auf dem Höhepunkt seines Erfolgs als Modell, konnte er nicht mehr weitermachen. Er erzählt, wie er sich am Bahnhof Zürich auf eine Bank setzen musste und gezwungen war, dort sitzenzubleiben, weil er merkte, dass seine Beine plötzlich ihren Dienst versagten. Das tönt ganz nach den Symptomen eines Burnout-Patienten, dessen Körper plötzlich sagt: «Ich mach keinen Wank mehr, es reicht», nachdem diese Message vom Gefühlskörper und Verstand über lange Zeit ignoriert wurden.  

 

Lange Reisen sind Teil von Florians Leben. (©Vincafilm)

 

Burkhardt weist sich daraufhin selbst in die psychiatrische Klinik Burghölzli ein. Und dort muss er sich mit der Frage konfrontieren: Warum geht nichts mehr? Diese Frage wird im Verlauf des Filmes nachgegangen, und der Regisseur zieht dabei mittels seiner «Zwiebelschäldramaturgie“ immer mehr Beteiligte hinzu – die Eltern, der Bruder, ein paar enge Freunde –, welche dann plötzlich gewahr werden, während sie eigentlich Florian Burkhardts Aufstieg und Fall kommentieren, dass sie wohl selbst Teil eines Familiendramas geworden sind. Und so macht Regisseur Gisler auch den konsequenten nächsten Schritt und greift sichtbar ein, macht sich und sein Kamerateam zu einem therapeutischen Instrument, seinen Film zu einer Art «Familienaufstellung».

 

Florian Burkhardst Lebensweg enthält gleichzeitig zwei Handlungsstränge: einerseits eine glamouröse «Hochstaplerstory» mit Locations wie Hollywood, Milano und New York.  Und anderseits die schwierige Entwicklungsgeschichte eines schwulen Jugendlichen im rigid-katholischen Milieu. Regisseur Marcel Gisler schafft es dabei gekonnt, beide Geschichten aufzugreifen und miteinander zu einem Ganzen zusammenzufügen. So entwickelt der Film eine Leichtigkeit, die bei der Premiere im August dieses Jahres am Filmfestival Locarno im kleinen Teatro Kursaal immer wieder für Gelächter sorgte – ohne dass die psychische Krankheit und das damit verbundene Familiendrama abgeschwächt würden.

 

  • Electroboy (CH 2014)
  • Regie: Marcel Gisler
  • Besetzung: Florian Burkhardt (Electroboy) und Familie
  • Gregory David Mayo, Urs Keller (Fidji), Urs Althaus, Theophil Butz  
  • Sprache: Schweizerdeutsch
  • Laufzeit: 113 min  
  • Kinostart: 27.11.2014

 

markusfreiwillis / Mi, 26. Nov 2014