Angekommen im fremden Zuhause

Moviekritik: Camille
Bildquelle: 
Im Verleih von Trigon Film

Zwischen 2013 und 2015 beherrschte ein Bürgerkrieg die Zentralafrikanische Republik. Tausende Tote und rund eine Million Umsiedler waren das grausame Ergebnis der Kämpfe zwischen Séléka und den Anti-Balaka-Milizen und somit im unerbitterlichen Kampf Muslime gegen Christen. In diese aufgeheizte Stimmung reist die ambitionierte französische Fotojournalistin Camille Lapage, um über die prekäre Lage zu berichten. Sie nistet sich in einem Campus ein und so lernt die offene Journalistin schnell Land und Leute kennen. Besonders gut versteht sie sich mit einer Gruppe Jugendlichen. Über diese Kontakte kommt sie in den inneren Kreis der Anti-Balka-Milizen, gewinnt ihr Vertrauen und bekommt so die Gelegenheit, ganz nahe am Geschehen zu sein und alles festzuhalten, was ihr vor die Linse kommt. Das bringt sie immer wieder vor persönliche und ethische Entscheidungen.

 

«Camille» ist das Portrait einer mutigen und empathischen jungen Frau. Sie zeigt keine Berührungsängste, freundete sich quasi sofort mit den Einheimischen an, speziell mit einer jungen Frau, und taucht immer mehr in die Welt in Zentralafrika ein. Die wuchtigen Emotionen des allgegenwärtigen Todes quälen die Französin dagegen sehr. Wenn sie etwa erstmals eine Leiche fotografieren muss und Sekunden auf dem Auslöser verharrt, bis es klickt, spricht das Bände. Es widerspricht ihrem nach Frieden strebenden Weltbild, dass sich Menschen bis auf das Blut bekämpfen und doch will sie genau darüber berichten. Für sie ist wichtig, dass diese Menschen eine Stimme haben. Auch wenn Chefredaktoren finden, die Geschichte sei gegessen, Camille reist erneut nach Afrika. Immer wieder hört sie zudem Meinungen und Geschichten auf der Strasse – meistens von nur einer Seite der Kriegsparteien. Der Film wertet jedoch nie, ist kaum politisch. Camille wird verbal hart angegriffen, hört, sie sei nicht besser als alle Franzosen, die eh nicht helfen, und wolle eh nur ihre Fotos machen und verschwinden. Die Republik Zentralafrika ist zwar seit 1960 unabhängig von Frankreich, trotzdem hat die Grande Nation am 5. Dezember 2013 die Erweiterung des Militäreinsatzes beschlossen. Im Grunde ist «Camille» gar nicht primär ein Film über den Bürgerkrieg, sondern über Menschen und deren Schicksale.

 

Trailer zu «Camille»

 

 

Immer wieder lässt der Film uns durch die Augen von Camille beobachten, direkt durch ihren Sucher blicken. Stilistisch wird das durch das Einblenden der Fotos, die Camille schiesst, plastisch. Diese sind manchmal brutal, aber oft auch poetisch. Die Poesie des Bürgerkrieges? Vielleicht ist dies, das Talent von Camille Lapage. Dazu erklären Schrifttafeln immer wieder, was im Krieg passiert und wo man sich als Zuschauer gerade befindet. Das ist sehr angenehm, weil es ein Fokussieren auf Camilles Geschichte erlaubt. Sie taucht ein in die Welt der Einheimischen, singt mit ihnen, hört ihnen zu, trauert um Verstorbene und fotografiert ungezwungene Momente.

 

Man schliesst Camille und ihre offene Art schnell ins Herz und fiebert mit ihr. Egal ob sie in Afrika die Menschen retten bzw. auf deren Leiden aufmerksam machen will oder ob sie zurück in Frankreich in den Wirren der westlichen Welt zu trudeln, fast fehl am Platz zu sein scheint. Es wirkt als ob sich die Fotografin bei den Milizen wohler fühlt. Irgendwie ist diese Ambivalenz zwischen den Frieden ersehnen und sich an die Kriegenden annährend ein interessanter Teil an Camille.

 

Ohne zu beschönigen, ohne zu verurteilen, aber würdig.

 

«Wenn jemand getötet hat, sieht man das in seinen Augen», schreibt Camille in ihren Notizen über die Miliz. Dieser eindrückliche Satz geht durch Mark und Bein. Dass sie sich gut mit der Geschichte bzw. den Hintergründen des Krieges auskennt, rettet Camille bei der Ankunft im Lager der Milizen jedoch das Leben. Später nehmen die Milizen sie gar mit auf Patrouille. Camille ist oberflächlich akzeptiert, mindestens geduldet, also mittendrin, sieht die Schrecken auf beiden Seiten. Auch die Milizen töten ihre Feinde nicht nur, sondern schlachten sie regelrecht und jubeln dabei. Schuld ist nämlich immer die andere Seite. Da kann schon mal ein Arm als Trophäe dienen. Im Gesicht von Camille spiegelt sich in solchen Momenten die Abscheu regelrecht. Die 31-jährige Französin Nina Meurisse spielt ihre Rolle sehr beindruckend und glaubwürdig.

 

Camille hat sich in das Land verliebt, das wird rasch klar und das sagt sie im Film auch selbst. Es sind die Menschen und deren Herzlichkeit, die es Camille angetan haben. Sie ist angekommen im fremden Zuhause. In ihrer Konsequenz beeindruckt die Figur von Camille. Sie lässt sich vom redlichen Antrieb ihres Auftrags nicht abbringen und schafft es, über den Bürgerkrieg zu berichten. Selbst ihr zweifelnder Bruder lobt sie dafür. Das Leben der realen Camille Lapage wird mit «Camille» würdig erzählt. Ohne zu beschönigen, ohne zu verurteilen, dafür in einer intensiven und je nach Situation passend gewählten, gemächlichen Bildsprache.

 

«Camille» ist ein Plädoyer für Menschlichkeit und Fotojournalismus, aber auch eine Verneigung vor einer mutigen Frau. Ein intensives Werk.

 

  • Camille (FR, 2019)
  • Regie: Boris Lojkine
  • Besetzung: Nina Meurisse, Fiacre Bindala, Bruno Todeschini, Grégoire Colin, Augustin Legrand, Michel Zumstein
  • Laufzeit: 90 Minuten
  • Kinostart: 27. Februar 2020

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 19. Feb 2020