Der Club der unverbesserlichen Optimisten

Der Club der unverbesserlichen Optimisten
Der Club der unverbesserlichen Optimisten
Bildquelle: 
www.suhrkamp.de

1959 und zu Beginn des Romans ist der in Paris lebende Michel Marini zwölf Jahre alt. Er interessiert sich für Bücher, Tischfussball und Rock’n’Roll. Seine grössten Probleme sind seine Mathenoten, seine unerträglich mitteilungsbedürftige Schwester und das Verbot seiner strengen Mutter, zu der Geburtstagsparty eines älteren Freundes zu gehen. 1964 und somit am Ende der Geschichte ist Michel siebzehn und trägt einen guten Freund zu Grabe. Er fragt sich, wo sein Bruder wohl steckt. Dieser befindet sich — des Mordes an einem Offizier der französischen Armee angeklagt — auf der Flucht. Auch sehnt sich Michel nach seiner ersten grossen Liebe Camille, die mit ihrer Familie nach Israel ausgewandert ist.

 


Ein historischer Abenteuer-Coming-of-Age-Liebesroman

 

Unmöglich, in ein paar kurzen Zeilen zusammenzufassen, was dazwischen alles geschehen ist. Was Jean-Michel Guenassia dem Leser da auf knapp siebenhundert Seiten an unvorhersehbaren Katastrophen, unglaublichen Glücksfällen, sich plötzlich einwindenden Nebenhandlungssträngen und  immer wieder neuen Figuren, die in die bereits illustre Runde treten,  serviert, ist schon allerhand. So viel, dass es wohl auch für drei Bücher gereicht hätte. Das Leben des Michel Marini ist dermassen aufregend, dass man Jean-Michel Guenassias Roman kaum mehr realistisch nennen kann. Zu sehr versucht der Autor, unterschiedliche Genres in ein Buch zu packen. Nennen wir es einen historischen Abenteuer-Coming-of-Age -Liebesroman mit sozialkritischen Elementen für Jugendliche und junggebliebene Erwachsene.

 

Das wirkt manchmal ein wenig chaotisch, richtig. So schlimm ist das aber nicht. Denn die bunte Mischung sorgt dafür, dass es spannend bleibt. Im Zentrum steht nämlich nicht nur Michels turbulente Jugend. Auch die Geschichten seiner Freunde, die er im «Club der unverbesserlichen Optimisten» kennen lernt, werden uns erzählt. Eher zufällig gerät Michel in den Kreis dieser schachspielenden Männer, die alle aus einem Land auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs stammen und auf mehr oder weniger abenteuerliche Weise nach Paris gelangt sind. Sie treffen sich im Hinterzimmer eines Bistros, weil sie sonst keinen Ort haben, an den sie gehen könnten. In diesem Bistro sind sie unter ihresgleichen und finden ein wenig Ablenkung und Heiterkeit. Michel freundet sich mit ihnen an und bekommt die unglaublichsten Dinge zu hören, die natürlich auch dem Leser nicht vorenthalten werden.

 


Viel Tempo, wenig Entwicklung

 

Doch es nicht nur der Inhalt, der dafür sorgt, dass sich dieses Buch leicht und flüssig liest und man vor lauter Spannung gar nicht mehr aufhören möchte. Immer wieder wechselt Jean-Michel Guenassia die Erzählperspektive, lässt manche Handlungsstränge fallen, um sie viel später wieder aufzugreifen. Nämlich dann, wenn der Leser nicht mehr damit rechnet. Guenassias Sätze sind auffallend kurz und prägnant und der gesprochenen Sprache angelehnt. Das allerdings wirkt, wie so oft bei Autoren mit einem eher informellen Stil, in der deutschen Übersetzung zuweilen etwas holprig. Alles in allem verleihen diese Merkmale dem Roman ein Tempo, das sich durchaus mit den schnellen Rhythmen eines Rock’n’Rollsongs vergleichen lässt. Es ist nicht verwunderlich, dass «Der Club der unverbesserlichen Optimisten» den Prix Goncourt des Lycéens gewonnen hat. Ein Literaturpreis, dessen Jury aus 1500 französischen Gymnasiasten besteht.

 

Guenassias Roman bietet beste Unterhaltung, ohne dabei oberflächlich zu sein. Dennoch hätte es der Spannung nicht geschadet, hätte sich der Autor etwas mehr Mühe mit der Entwicklung der Figur des Helden Michel Marini gegeben. Denn eine Coming of Age Geschichte ist es ja letztlich doch und Michel wird dabei zwar irgendwie erwachsen, irgendwie aber auch nicht. Er bleibt angesichts der vielen erschütternden Ereignisse, die sein Leben bestimmen, merkwürdigerweise in den Kinderschuhen stecken. Zugleich wirkt er von Anfang an in manchen Momenten sehr viel älter als er ist, sodass man aus ihm nicht so recht schlau wird. Gerade in der Phase seines Lebens, in der wir ihn begleiten, vom Beginn der Pubertät bis an die Schwelle des Erwachsenseins, passiert unglaublich viel. Nicht nur rundherum, sondern auch was Denken und Fühlen anbelangt. Dieser Aspekt des sich Veränderns kommt definitiv zu kurz.

 

 

Charmante Szenerie

 

Nichtsdestotrotz bleibt Michel ein geschickter Führer durch das Dickicht an Ereignissen und auch durch das Paris der Sechzigerjahre, das vom Algerienkrieg und der tiefen Spaltung der Welt in West und Ost, in Kapitalismus und Sozialismus, geprägt ist. Wir tauchen ein in diese Welt. Wir gehen mit Michel in die «Cinématique» und im «Jardin du Luxembourg» spazieren, trinken andauernd Milchkaffee und verstrubbeln uns rebellisch die Haare, sobald wir den Argusaugen der Mutter entflohen sind.

 

«Der Club der unverbesserlichen Optimisten» ist eine schöne Geschichte, oder besser, schöne Geschichten. Für alle jene, die sich wieder einmal einen Abenteuerroman mit einem jungen Helden, ein bisschen Sechziger Jahre und ein bisschen Paris wünschen. Man darf sich hier nicht von einer etwas nachlässigen Figurenpsychologie und einer leider manchmal etwas merkwürdig anmutenden Sprache das Lesevergnügen verderben lassen.

 

  • Buch: Der Club der unverbesserlichen Optimisten
  • Autor: Jean-Michel Guenassia
  • Verlag: Verlag Suhrkamp/Insel
  • ISBN: 978-3-458-17496-7
  • : Im Handel erhältlich
  • Originaltitel: Le Club des Incorrigibles Optimistes
Jasmin Camenzind / So, 17. Mär 2013