Fjälla ist inzwischen eine Art XL-Hobby-Plus

Interview mit Fjälla
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Pressefoto / ©Binta Kopp

Fjälla aus Zürich bauen Songstrukturen in einem indie-poppigen Kosmos um Texte mit sozial wichtigen Themen auf. Gerade hat das Quartett seine neue EP «Abbastanza» veröffentlicht. Wir haben mit Paula, Ulla, Anouk und Emilio über Musik, Tage im Studio, persönliche Texte, das Konstrukt einer Band und über Choreos und weitere kreative Inputs gesprochen.

 

Fjälla wurden 2020 gegründet. Wie habt ihr euch als Band gefunden?

Paula: Ulla, Emilio und ich kennen uns seit der Primarschule oder sogar seit dem Kindergarten. Anouk und ich haben uns auf einem Festival über eine gemeinsame Kollegin kennengelernt.

 

Anouk: So sind wir Freundinnen geworden. Damals habe ich gerade erst mit Schlagzeugspielen angefangen. Paula wusste das und weil die Band jemanden am Schlagzeug suchte, hat sie mich gefragt.

 

Der Name Fjälla klingt skandinavisch. Wie ist er entstanden?

Emilio: Wir proben in einem ganz kleinen Raum bei mir im Keller. Hin und wieder nutzte ihn mein Vater als Lagerraum. Irgendwann lagen dort Kartons. Bei einer Bandprobe sind diese Kartons bei jedem Song runtergefallen, weil vermutlich der Bass zu laut eingestellt war. Beim Aufheben entdeckten wir den Aufdruck «Fjälla» von Ikea und weil wir gerade einen Bandnamen brauchten, wurde es Fjälla.

 

Eure neue EP «Abbastanza» ist gerade fertig geworden. Wie war der Prozess daran?

 

Paula: Ich glaube, sehr emotional und intensiv.

 

Anouk: Ja, intensiv trifft es gut. Besonders die Tage im Studio waren mega schön.

 

Emilio: Das ist zwar schon eine Weile her, war aber eine coole Erfahrung. Wir konnten mit drei Produzentinnen arbeiten, mit Martina Berther, Franziska Staubli und Catia Lanfranchi. Irgendwie ist absurd, dass seit den Aufnahmen schon fast ein Jahr vergangen ist. Aber die Überarbeitungen, das Mastering und auch die Visuals, von denen wir viele selbst machen oder zumindest involviert sind, haben Zeit gebraucht. Aber diese Zeit wollten wir uns bewusst nehmen.  

 

 

Paula: Wir sind alle ziemlich perfektionistisch und haben meistens nicht diesen einen abschliessenden Moment, in dem es perfekt passt.

 

 

Wie funktioniert bei euch der Songwriting-Prozess? Schreibt ihr gemeinsam?

 

Emilio: Wir schreiben meistens zusammen. Es kann aber schon sein, dass jemand mit einer Idee kommt und wir diese gemeinsam ausarbeiten.

 

Waren eure Songs fixfertig, als die Aufnahmen begannen oder veränderten sie sich noch im Studio?

 

Paula: Wir haben schon noch ausgearbeitet.

 

Emilio: Das variiert stark. Manche Songs standen komplett, bei anderen waren gewisse Strukturen fertig. Wir haben aber noch einige Sachen im Studio angepasst.

 

Paula: Manchmal entstehen aus der Situation noch Ideen oder neue Texte.

 

Emilio: Auch in den Proben kommt das oft vor. Beim Song «Mess» zum Beispiel haben wir sehr viel verändert.

 

Die EP klingt sehr überlegt. Zum Beispiel legt «Raga» erst einen Klangnebel aus, lässt dann das Schlagzeug einsteigen und später Gitarre und Gesang, die sich gegenseitig tragen. Wie entwerft ihr die Strukturen eines Songs?

 

Ulla: Meinem Gefühl nach, ist das sehr stark beim Spielen im Studio entstanden. Beim Spielen ist aufgefallen, welche Anfänge zu ähnlich klingen und wo es sinnvoll wäre, andere Ansätze zu probieren. Hier war der Austausch mit den Produzentinnen sehr wertvoll, weil sie mit etwas Distanz und anderen Ohren einen Song einordnen können.

 

Paula: Noch vor den Aufnahmen im Studio entstehen die Songs aus einem natürlichen Prozess. Wir sitzen selten hin und sagen: «Jetzt wird geschrieben!» Aber irgendwann müssen wir die Ideen schon festhalten. Es ist ein sehr organischer Prozess.

 

Emilio: Es geht mehr von der Musik aus. Wir versuchen etwas und wenn wir das Gefühl haben, dass beispielsweise das Schlagzeug zu früh oder zu spät einsetzt, dann ändern wir und probieren das direkt aus.

 

Anouk: So bewusst arrangieren wir die Songs nicht, sondern lassen ihnen durch das Probieren und gemeinsame Spielen Raum zur Entwicklung. Wir fühlen uns in den Song rein und der Rest ergibt sich wie von selbst.

 

Ulla: Im Studio gab es Momente, in denen wir zwischen den Takes irgendetwas gespielt haben, das nicht direkt aufgenommen wurde.

 

 

Ulla: Im Studio gab es Momente, in denen wir zwischen den Takes irgendetwas gespielt haben, das nicht direkt aufgenommen wurde.

 

 

Wenn bei euch vieles intuitiv läuft, gibt es Momente, in denen ihr merkt, dass ein Song fertig ist?

 

Paula: Das sind für mich zwei unterschiedliche Sachen. Wir sind alle ziemlich perfektionistisch und haben meistens nicht diesen einen abschliessenden Moment, in dem es perfekt passt. Es ist aber trotzdem immer klar, was wir mit einem Song erreichen möchten. Das variiert von Song zu Song und wahrscheinlich gibt es bei allen Vieren noch Nuancen, die man ändern könnte. Wir sind aber immer in einem grossen Austausch darüber.

 

Ihr schreibt eure Texte in mindestens vier Sprachen. War das von Anfang an klar oder hat sich das entwickelt?

 

Paula: Das war auch kein strategischer Gedanke …

 

Emilio: Ich frage mich manchmal auch, wie das kam.

 

(Alle lachen)

 

Paula: Wir hatten ein Cover in Französisch und fanden schön, wie die Melodie in einer anderen Sprache lebt und wie so eine Message vermittelt werden kann. Eine andere Sprache bringt eine unterschiedliche Klangfarbe mit sich und ich glaube, so ist das entstanden.

 

Emilio: Paula ist irgendwann in eine Probe gekommen und war in der Stimmung, in Französisch zu singen. So habe ich das in Erinnerung. Aber es war nur eine Idee, von der aus dann eines zum anderen geführt hat.

 

Anouk: Ich war auf einem italienisch-deutschen Gymnasium und Emilio hat italienische Wurzeln, darum war es irgendwie naheliegend, diese Sprache dann auch zu nutzen. Paula hatte ebenfalls Italienisch in der Schule, so hat das Sinn ergeben. Und Englisch ist sowieso bei allen vorhanden.

 

Fjälla auf der Bühne. (Pressebild / ©Elena Frei)

 

Aber dann textet ihr schon selbst in allen Sprachen?

 

Ulla: Ja, aber es kann schon sein, dass grammatikalisch nicht alles so ganz stimmt.

 

Emilio: Auch in Deutsch kann man Sätze bilden, die nicht perfekt stimmen, aber mit der künstlerischen Freiheit doch funktionieren. Ich frage mich bei anderen Sprachen, ob es ebenfalls sprachliche Unkorrektheiten gibt, die aber trotzdem umgangssprachlich normal sind. Das sind aber vermutlich Levels, die ich nicht so ganz durchschaue. Wir schreiben Texte und wenn sie für uns funktionieren, nehmen wir das so hin, auch wenn etwas nicht ganz stimmt.

 

Wie entscheidet ihr, welche Sprache zu einem Song oder einem Text passt?

 

Paula: Oft ist vermutlich erst die Musik da und dann der Text. So ist es ein Spüren, was für ein Vibe die Musik gibt. Meistens ist die passende Sprache relativ klar und wir sind uns rasch einig. Die grösste Hemmschwelle war bisher in Mundart zu singen, weil man sehr verletzlich ist und die Barriere einer fremden Sprache nicht besteht.

 

Die EP dreht sich um die oft schwierige Heilung psychischer Leiden bzw. um den Kampf damit. Damit greift ihr ein gesellschaftliches Thema auf, das immer noch ein Tabu ist. Wie wichtig ist es euch, mit Texten bestimmten Themen eine Stimme zu bieten?

 

Ulla: Schon sehr wichtig. Ich glaube, man ist immer wieder mit solchen Sachen konfrontiert und da ist es naheliegend, dass man sich äussert und Stellung bezieht.

 

Emilio: Wenn man einen grösseren Sprachkörper hat, ergibt das Sinn. Für uns ist das ein Kernanliegen bei Fjälla.

Ich glaube, dass wir mit der Aussage eines Songs möglichst viele Leute erreichen möchten. Oft sind persönliche Geschichten dahinter, die es aber ermöglichen sollen, dass sich an manchen Stellen die Menschen durchaus wiedererkennen können.

 

Paula: Wir machen Musik sehr stark, um selbst zu verarbeiten und uns zu heilen. Der Grund, wieso wir die Songs veröffentlichen, ist, weil wir einem Thema eine grössere Stimme geben möchten, um vielleicht jemandem Mut zuzusprechen und zu helfen.

 

Ulla: Meistens passieren solche Sachen nicht grundlos und es sind oft strukturelle Probleme, die dahinterstecken, und nicht nur individuelle Geschichten.

 

 

Emilio: Es ist nicht immer effizient, wenn wir beispielweise alle T-Shirts von Hand bemalen, anstatt sie zu bedrucken. Dafür sind alles Unikate und der Prozess macht viel Spass.

 

 

Ihr bewegt euch auf der EP sowohl musikalisch als auch lyrisch geschickt auf einem schmalen Grat zwischen Melancholie und Hoffnung. Wie schwierig ist es, diese Balance zu halten?

 

Paula: Vielleicht aus eigener Erfahrung mit allen Höhen und Tiefen. Das spiegelt sich auch in der Arbeit. Wenn wir uns mehrmals pro Woche sehen, entwickelt sich ein Song auch so, wie wir uns fühlen.

 

Anouk: So geben wir uns aber gegenseitig auch Unterstützung und zeigen, es geht weiter. Der Support, den wir uns beim Musikmachen im Bandraum geben, fliesst auch bei schwierigen Themen mit ein.

 

Der künstlerische Anspruch endet nicht bei der EP. Ihr vertieft das Erlebnis zur EP. Wie kann man sich das vorstellen?

 

Paula: Fjälla ist eine Möglichkeit, sich auf sehr viele Arten auszudrücken. So wie wir gerade das Bedürfnis verspüren. Wir sind alle sehr offen, wenn jemand mit einer Idee kommt. Das geht von einer Website über Schlüsselanhänger bis zu Guetsli in Fjälla-Form.

 

Anouk: Wir sind gerne gemeinsam kreativ und basteln auch mal.

 

Emilio: Es ist nicht immer effizient, wenn wir beispielweise alle T-Shirts von Hand bemalen, anstatt sie zu bedrucken. Dafür sind alles Unikate und der Prozess macht viel Spass.

 

Diese Kreativität kann sich auch in die Perfomance bei Konzerten einbringen. Wir sieht das aus?

 

Paula: Dass wir Lyrik und Choreografien in unsere Konzerte einbauen, kommt schon aus Eigeninteresse. Ich habe lange getanzt und finde es immer noch sehr schön. Manchmal tanze ich mit Ulla im Bandraum und durch die Bewegungen kann aus dem Moment heraus eine Choreo entstehen. Die lyrischen Texte können die Songs vielleicht noch ergänzen und unterstreichen, was wir ausdrücken wollen.

 

Ulla: Es ist wie beim Nutzen von unterschiedlichen Sprachen. Wir haben mit den Choreos eine zusätzliche Möglichkeit, um uns auszudrücken.

 

Passiert das spontan und auch mal kurzfristig oder überlegt ihr euch diese Sachen schon vorher?

 

Paula: Nein.

 

(Alle lachen)

 

Emilio: Wir sind mega schlecht im Improvisieren auf der Bühne. Selbst Ansagen oder so planen und schreiben wir gerne im Vorfeld. Eigentlich mögen wir sie gar nicht besonders. Wir haben aber die Aufteilung, dass jeder etwas sagt. Das ist der Aspekt, mit dem wir uns am schwersten tun.

 

Paula: Bei einem Konzert überlegen wir uns sehr genau, was von Anfang bis Ende passieren und welche Geschichte das Konzert erzählen soll. Ich glaube, durch diesen Aspekt ist ein Konzert nicht sehr spontan.

 

Ulla: Es ist sehr genau kuratiert, was auf der Bühne passiert, wer wann Ansagen bringt und welcher Song wann gespielt wird. Da gehören diese Einschübe, die wir vorab planen, auch dazu.

 

 

Anouk: Manchmal sehe ich in Gesichter und die wirken schon erstaunt, weil sie nicht gleich checken, was passiert.

 

 

Was bekommt ihr auf diese speziellen Elemente an Reaktionen?

 

Paula: Bei Choreografien haben Leute im Publikum schon mitgemacht. Das war sehr schön. Ich glaube, die lyrischen Sachen sind zugänglich, weil die Texte ohne die Musik besser zu verstehen sind, und so der Fokus mehr auf dem Text ist.

 

Anouk: Negatives habe ich nie etwas gehört.

 

Emilio: Vielleicht sind die Leute zu nett, um uns Schlechtes direkt zu sagen.

 

(Alle lachen)

 

Anouk: Ungewohnt kann es für manche sicher sein, aber bisher hat sich niemand gemeldet und kritisiert. Manchmal sehe ich in Gesichter und die wirken schon erstaunt, weil sie nicht gleich checken, was passiert. Aber persönliche Rückmeldungen bekomme ich dazu nur positive.

 

Was habt ihr mit Fjälla langfristig für Ziele?

 

Emilio: Das ist eine sehr schwierige Frage. Es ist jetzt schon ein Punkt erreicht, an dem es eine Art XL-Hobby-Plus ist. Wir sind semi-professionell unterwegs und es existiert rund um die Musik noch viel. Von Promotion bis zum Texten für das Booklet, weil wir diese Sachen grösstenteils selbst machen. Das benötigt neben der Kunst, der Musik, schon viel Zeit. Die Frage ist, wie gross man das Projekt noch machen kann. Wir haben alle nebenbei noch ein Studium. Wir können manche Konzerte schon jetzt nicht spielen, weil Uni und ETH im Sommer genau dann Prüfungen ansetzen. So sind wir am Lernen und müssen Anfragen absagen. Das ist mega schade.

 

Anouk: Wir wollen so viel machen, wie es für uns stimmt. Einen grossen Plan haben wir gar nicht.

 

Paula: Wir schauen einfach, was sich ergibt und machen, was möglich ist und Spass macht.

 

Was ist nach dem Release der EP kurzfristig geplant?

 

Emilio: Wir spielen sicher Konzerte. Beispielsweise am 19. April im Werk 21 oder am 5. Juli im Zytlos in Zürich. Oder am 7. März im Mehrspur als Support von Edb, am 22. März in Frauenfeld mit Gamma Kite sowie am 26. April in Bern im Gaskessel mit Culk. Alle Termine stehen auf unserer Website. Wir bringen demnächst auch eine neue Single mit Musikvideo. Natürlich sind wir auch neue Merch-Artikel am Planen.

 

Mehr Info zu Fjälla gibt es auf www.fjaella.ch.

 

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* Dieser Artikel ist Teil einer Textpartnerschaft mit den Lokalzeitungen von zuerich24.ch

 

Bäckstage Redaktion / Di, 27. Feb 2024